Die Serie «Sleepy Hollow» legt ordentlich vor zur neuen US-Season: Spannend inszeniert versetzt sie die klassische Geschichte um Ichabod Crane und den Kopflosen Reiter in die Gegenwart. Unsere Kritik.
Cast von «Sleepy Hollow»
- Ichabod Crane: Tom Mison («Parade's End»)
- Abbie Mills: Nicole Beharie («American Violet», «Shame»)
- Cpt. Frank Irving: Orlando Jones («MadTV», «Dr. House»)
- Katrina Crane: Katia Winter («Dexter», «Arena»)
New York, Hudson Valley. Es ist das Jahr 1781, der amerikanische Unabhängigkeitskrieg tobt. Unter General George Washington schlägt sich der Soldat Ichabod Crane tapfer durch die gegnerischen Reihen, plötzlich kommt ein maskierter Reiter auf ihn zu. Crane schießt ihn vom Pferd, doch der Feind lebt: Mit seiner Axt stürmt er auf Crane zu, dieser nimmt sein Schwert, beide schlagen gleichzeitig zu. Während Ichabod Crane zu Boden sinkt, triumphiert er in seinen (vermeintlich) letzten Lebenszügen: Seinem Gegner hat er den Kopf abgeschlagen.
Nach diesem mörderischen Beginn setzt die eigentliche Story der neuen Fantasy-Crime-Serie «Sleepy Hollow» 232 Jahre später ein, in unserer Gegenwart: Ichabod Crane erwacht in einer Höhle von den Toten und erkennt bald, dass in einer fernen Zeit lebt, in einem veränderten Sleepy Hollow, das zur modernen Kleinstadt herangewachsen ist.
Die TV-Serie, vor mehr als zehn Millionen US-Zuschauern in dieser Woche gestartet, erzählt die klassische Kurzgeschichte „Sleepy Hollow“ von Washington Irving weiter. Im literarischen Original wird der Dorfschullehrer Ichabod Crane bei einer Feier in die Sagengeschichte um den Kopflosen Reiter eingeweiht, der in Sleepy Hollow sein Unwesen treiben soll. Auf dem nächtlichen Heimweg durch den Wald begegnet Crane dieser Gruselgestalt wirklich – und ist des Morgens spurlos verschwunden.
Irvings Geschichte wurde bereits vielfach verfilmt, unter anderem mit Johnny Depp und von Disney als Zeichentrick. Nun, im Schatten erfolgreicher Fantasy-Formate wie «Once Upon a Time» oder «Grimm», versucht sich FOX an einer seriellen Adaption um Ichabod Crane und den Kopflosen Reiter. Die beiden Figuren duellieren sich diesmal im Jahr 2013 – und dass die heutigen Einwohner von Sleepy Hollow die Welt nicht mehr verstehen, wenn plötzlich zwei Soldaten aus dem 18. Jahrhundert für Unruhe sorgen, ist nur allzu verständlich. Der Kopflose Reiter mordet, ohne Motiv, ohne Erklärung; sein erstes Opfer ist der Sheriff der Stadt. Kollegin Abbie Mills sieht die unglaubliche Gestalt noch davonreiten, doch da ist es schon zu spät: Der Sheriff wurde geköpft – und Abbie schwört Rache.
Fast gleichzeitig wird Ichabod Crane von der Polizei festgenommen und des Mordes am Sheriff verdächtigt. Niemand weiß, wer dieser offenbar verwirrte Mann ist, niemand kann seine Aussagen verstehen. Die Gegensätze zwischen der Lebenswelt Cranes und der heutigen Realität werden mit einem Augenzwinkern dargestellt. So gibt es eine kleine, amüsante Unterredung zwischen Crane und der schwarzen Abbie Mills, nachdem dieser verwundert feststellt, dass Mills sich gar nicht wie eine Sklavin benimmt. Abbie klärt ihren Gefangenen darüber auf, dass die Sklaverei vor 150 Jahren abgeschafft wurde – „It’s a whole new day in America“, sagt die Polizistin selbstbewusst.
Sie ist es auch, die Crane zunächst kaum ein Wort glaubt, als er Hinweise darauf findet, dass der Kopflose Reiter einer der vier biblischen apokalyptischen Reiter ist und den Tod persönlich verkörpert. Als aber das zweite Opfer – der Priester von Sleepy Hollow – gefunden wird, beginnt Abbie zu zweifeln: Was, wenn der Verrückte aus dem 18. Jahrhundert doch Recht hat? Die rational erklärbare Welt der Polizistin bröckelt immer mehr.
Gegen ihre Vorgesetzten und Kollegen lässt sie sich auf Crane ein, die beiden entwickeln sich zum ungleichen Duo. Für Abbie ist er der einzige, der zur Lösung der Mordfälle beitragen kann, wenn auch auf unkonventionelle Weise. Auf den ersten Blick mag diese allzu langweilige und tausendfach gesehene Konstellation zweier gegensätzlicher Partner («Castle», «Sherlock» etc.) enttäuschen, in «Sleepy Hollow» wird sie durch die teils grandiosen Dialoge und die stimmige Chemie zwischen den Schauspielern gerechtfertigt. Tom Mison spielt seinen Ichabod Crane bodenständig und vielleicht etwas zu gewöhnlich, Nicole Beharie die Polizistin Abbie sympathisch und selbstbewusst.
Auch die leichte Selbstironie des Formats gefällt, die vor allem bei den wirren Reaktionen Cranes auf die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts pointiert werden. Und trotzdem schafft es die Serie in ihrer Pilot-Episode, Spannung und Suspense aufzubauen – besonders bei den zahlreichen nächtlichen Szenen und der starken visuellen Inszenierung des mörderischen Antagonisten. Regisseur Len Wiseman («Underworld», «Total Recall») kreiert die passende Atmosphäre mit starken Bildern und überraschenden Kameraeinstellungen – beispielsweise, getreu dem Thema, auf dem Kopf.
Größter Pluspunkt aber ist der Fokus dieser ersten Episode auf die beiden zentralen Charaktere Crane und Mills – ihnen wird genug Platz eingeräumt, eigene Hintergrundgeschichten zu entwickeln und ihre Figuren mit Inhalt zu füllen. Bei Crane geschieht dies durch häufige Rückblenden in das 18. Jahrhundert, bei Mills durch Gespräche und Solo-Szenen, in der sie unter anderen von ihrer psychisch kranken Schwester erzählt. Trotz des engen Fokus werden – auch in den Flashbacks – genügend Andeutungen gemacht, dass es sich bei «Sleepy Hollow» um eine Geschichte epischen Ausmaßes handeln wird, mit einem geheimnisvollen Mysterium um das Jüngste Gericht, das mit dem Kopflosen Reiter seinen Anfang genommen haben soll.
Zwangsweise kommen andere Serienfiguren zu kurz; so erscheint Abbies Vorgesetzter mit seinen einfältigen Sätzen mitunter unfreiwillig komisch. Auch erweckt sich gegen Ende der leichte Eindruck, dass die Geschichte doch arg konstruiert ist – aber bei Fantasy-Serien wie dieser sind solche Makel nebensächlich. Insgesamt hat «Sleepy Hollow» mit seinem Auftakt die Befürchtung widerlegen können, dass das gesamte Format lächerlich und ‚cheesy‘ wirkt; und als Zuschauer ist man froh über jede neue US-Serie, die etwas anders daherkommt als typische episodische Krimi-Vertreter. Ist «Sleepy Hollow» kopflose Unterhaltung? Ja. Aber richtig gute dazu.
Unsere First Looks zu einigen Serien-Neustarts der US-Season gibt es ab sofort jeden Samstag bei Quotenmeter.de.