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360 Grad: Der Deutsche Fernsehscheiß

Der Deutsche Fernsehpreis ist schon länger nicht mehr unumstritten. Die Nominierung von «Berlin - Tag und Nacht» eröffnet ein neues Kapitel - insbesondere wegen der Kategorie, in der es aufgestellt wurde.

Marcel Reich-Ranicki wird unvergessen bleiben. Wegen seiner Literatursendungen, wegen seiner manchmal scharfen, aber immer unterhaltsamen Kritiken, wegen seiner Geisteskraft und seines Weltverständnisses, wegen seiner manchmal aufbrausenden, aber immer sympathischen Art. Und ja, auch wegen seines legendären Auftritts beim «Deutschen Fernsehpreis».

Denn dieses Jahr bräuchte man ihn dort mehr als je zuvor, insbesondere wegen der Nominierung von «Berlin – Tag und Nacht» in der Kategorie „Beste Unterhaltung Doku / Dokutainment“.

Man stelle sich einmal den Ablauf des Abends vor, wenn Reich-Ranicki dieses Jahr den Preis für sein Lebenswerk bekommen würde und dann fast im selben Atemzug Laiendarsteller von RTL II die Bühne betreten, die in ihrem Format das Subproletariat abfeiern.

Nun wäre eine Nominierung dieser Sendung in einer der Fiction-Kategorien eine außerordentliche Kuriosität und würde den Eindruck zementieren, dass der Deutsche Fernsehpreis als Auszeichnung nichts mehr wert ist, wenn «Berlin – Tag und Nacht» mit einer Nominierung bedacht würde und gleichzeitig «Verbrechen», «About: Kate» oder «Add a Friend» leer ausgingen.

Doch «Berlin – Tag & Nacht» tritt als Doku, bzw. Dokutainmentformat an. Dabei wird hier nichts dokumentiert. Die Sendung ist eine „Scripted-Reality“, die Protagonisten agieren nach Drehbuch, Handlungen und Figuren sind frei erfunden. Mit Reality hat das nichts zu tun, auch wenn man in den Anfangsjahren des Genres zu «Abschlussklasse»-Zeiten gerne ein wenig so tat, als wäre das alles echt.

Letztlich ist es aber nichts anderes als Billigfiction. Die nun – das ist das eigentlich Sonderbare – auch von einer Fachjury als Doku(tainment) einsortiert wird. Dabei definiert die Wikipedia eine Dokumentation folgendermaßen: „In Filmen und im Rundfunk wird mit Dokumentation ein journalistisch aufbereiteter Bericht bezeichnet, der mithilfe von Quellen und Zeugnissen Anspruch auf Nichtfiktionalität, auf Bezug zur realen Welt, erhebt.“ «Berlin – Tag und Nacht» ist das Gegenteil davon – es ist fiktional von vorn bis hinten. Und nun mag man bitte nicht damit ankommen, Dokutainment würde heißen, dass man fiktionale Stoffe mit der Ästhetik einer Doku filmt. Oder dass der Zusatz "Unterhaltung" diesen sprachlichen Kniff zuließe.

Denn damit würde man den «Deutschen Fernsehpreis» noch mehr ins Lächerliche ziehen als mit der Nominierung einer Scripted-Reality in der "Unterhaltung Doku/Dokutainment"-Kategorie.
20.09.2013 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/66227
Julian Miller

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