Ein starker Cast, eine zu lange Einzugsshow und viel Altbekanntes: «Big Brother» ist seit Freitagabend zurück auf den deutschen Bildschirmen.
Die Wichtigkeit von «BB» für Endemol
"Endemol hat ein so breites Format-Portfolio und ist inzwischen viel unabhängiger von einer einzelnen Programmfarbe", sagte der für «BB» verantwortliche Michael Kollatschny vergangene Woche bei Quotenmeter.de auf die Frage, wie wichtig «Big Brother» für das Produktionsunternehmen ist. Die Wahrheit: «Big Brother» ist allein aus wirtschaftlichen Faktoren immens wichtig, weil sich damit mehr Geld verdienen lässt als mit Joko&Klaas-Shows oder Produktionen, die zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Pilawas Firma Herr P. entstehen. Ohne Frage hat Endemol Deutschland-Chef Marcus Wolter in den vergangenen Jahren keinen schlechten Job gemacht, ein Makel aber heftet ihm an. Er hat «Big Brother» in die schwerste Krise seit der Geburt hierzulande geführt. Ohne Sat.1 (und vor allem dem dorthin gewechselten Holger Andersen) hätte die Marke tot sein können. Das weiß man bei Endemol und deshalb hofft man dort, dass «Promi Big Brother» nur der Anfang einer neuen Ära ist. Hoffentlich weiß man dort aber auch, dass vor allem 2010 und 2011 teils schwere Fehler beim Umgang mit dem großen Bruder gemacht wurden. Marcus Wolter reagiert gerne empfindlich, wird er darauf angesprochen. Jetzt ist es an der Zeit, diese Fehler auszumerzen - denn auch er braucht ein tägliches «Big Brother» in Deutschland recht dringend.
Kommentar von Manuel Weis
Selten hat eine dreieinhalbstündige Fernsehshow mehr Erkenntnisse gebracht – und selten konnte man all diese ganz einfach zusammenfassen: «Big Brother» ist zurück im deutschen Fernsehen und trotz der zahlreichen Skeptiker ist genau das gut. Vor genau zwei Jahren und zwei Tagen lief das große Finale der elften Staffel des großen Bruders – seitdem hat die authentische Soap «Berlin – Tag & Nacht» die Mutter aller Realitys verdrängt. Über 700 Tage später und auf einem anderen Sender kehrt der große Bruder zurück. Unverkennbar, aber dennoch leicht überholt. Für ein normales über mehrere Monate andauerndes «Big Brother» reicht es noch nicht, aber immerhin gibt es den WG-Spaß nun zwei Wochen lang, erstmals in Deutschland als reines
«Promi Big Brother». Die mit einer Gesamtlänge von über 200 Minuten zu lang geratene Eröffnungsshow hat gezeigt, dass sich die Sendung auch in Sat.1 nicht von ihrem Kern verabschiedet.
Das ist auf der einen Seite gut, auf der anderen hätte etwas mehr Innovation nicht geschadet. Welchen Ballast hat man also abgeworfen, in welchen Punkten hat sich das Format in den zwei Jahren verändert? Es sind auf den ersten Blick nicht allzu viele. Klar ist, dass sich Sat.1 sein Showhighlight im Herbst deutlich mehr Geld kosten lässt als das zuletzt bei RTL II der Fall war. Die Eröffnungsshow erinnerte in ihrem Ausmaß an die Zeit, in der die Entscheidungsshows noch bei RTL liefen und das ist zehn Jahre zurück. Ähnlich imposant erscheint also auch das neue Haus, eines der beeindruckendsten, das «Big Brother» in der deutschen Geschichte je hatte. Es ist eine Mischung aus dem „reichen Bereich“ der Staffeln fünf und sechs und Häusern, die man in der international ebenfalls von Endemol kommenden Sendung «The Golden Cage» kennt.
Bewusst verzichtet haben die Macher wohl auf einen Satz, der einst Geschichte von «Big Brother» schrieb. „Die Tür ist geschlossen, «Big Brother» hat begonnen“, geprägt vom ersten Moderator der Formategschichte, Percy Hoven, wurde am Freitagabend umgeändert in „«Big Brother» ist eröffnet“ – angelehnt an die Zeremonie der Olympischen Spiele. Gemeinsam mit dem veränderten Logo des Formats ein deutliches Zeichen, dass nun eine neue Ära beginnen kann.
Ansonsten ist aber vieles gleich geblieben. Auffälligstes Überbleibsel ist „die Stimme von «Big Brother»: Ein Element, das international inzwischen üblich ist, in Deutschland seit Staffel sieben verwendet wird. Und seit dieser Staffel spricht Phil Daub (moderierte vor vielen Jahren mal eine RTL II-Quizshow) den großen Bruder. Verschiedene Sätze wurden quasi 1:1 übernommen. Doch auch Anderes hat sich nicht geändert: Etwa, dass die Eröffnungsshows an sich stets ermüdend wirken. Zwölf Menschen drei Stunden lang ins Haus einziehen zu lassen, ist eigentlich zu lang. Die Macher haben diesmal voll und ganz auf den Promi-Faktor gesetzt und die drei ganz großen Namen geschickt über die Sendung verteilt. Semmelrogge kam gegen 21 Uhr ins Haus, wenige Minuten später Jenny Elvers. Superstar David Hasselhoff zog ganz zum Schluss ein, als die Uhr schon auf Mitternacht zusteuerte.
Anders als das Dschungel-Camp, das es bei RTL immer wieder auf’s Neue schafft sowohl Reality-Show als auch sich selbst nicht zu ernst nehmende Comedy-Sendung zu sein, geht «Big Brother» auch in der Promi Version wieder den Weg, ein klassisches Reality-Format zu sein, dass seine Stars auch als solche ansieht (selbst wenn Moderator Oliver Pocher sich die ein oder andere Spitze nicht verkneifen konnte). Dramatische Musik, wenn Mareike in den Strafbereich muss oder unglaubliche Übertreibungen beim ersten Match verdeutlichen genau dies. Die brennenden Pappkartons werden von Endemol-Mitarbeitern zur „bestialischen Brandmauer“ – effekthascherischer geht es nicht mehr. Wie schon aus den zurückliegenden Staffeln bekannt, erwies sich das große Live-Match dann eher als recht laues Lüftchen, das vielleicht gut aussehen sollte – aber nicht mal das schaffte.
Die der Staffel zu Grunde liegenden Ideen sind zudem nicht gänzlich neu. Ex-No Angels-Sängerin Lucy zum Beispiel gibt (ähnlich wie eine Kandidatin in Staffel drei) eine Art Maulwurf, bekommt vom großen Bruder immer wieder Aufgaben ins Ohr geflüstert und auch die erste Möglichkeit der Zuschauer über „Sat.1 Connect“ abzustimmen, behandelte ein Thema, das so alt ist wie «Big Brother» selbst: Dürfen die Promis denn am Samstagmorgen ein Luxus-Frühstück zu sich nehmen oder müssen sie Kohlsuppe essen? Dass die Zuschauer die Suppe wählten, dürfte niemanden überraschen, zumal auch Pocher vorher entsprechend freundliche Hinweise gab, sich doch so zu entscheiden. Das Rad wurde also trotz einer anderen Führungscrew hinter den Kulissen nicht neu erfunden. Vielleicht braucht es das aber auch nicht. Zum einen, weil die Sendung in Sat.1 jetzt Zuschauer erreicht, die vieles noch nicht kennen. Und vielleicht auch weil klar gilt: «Big Brother» steht und fällt – egal ob jetzt als normale oder als Version mit Promis – mit den Kandidaten und da haben Sat.1 und Endemol ganze Arbeit geleistet.
Der Cast ist hochkarätig besetzt und deckt etliche Schichten ab. Semmelrogge, Elvers und Hasselhoff werden die Boulevard-Mädchen in den kommenden Tagen füttern. Es ist in diesem Punkt auch ganz egal, wie lange „The Hoff“ im Haus bleibt. Am Freitag erweckte er nicht den Eindruck, als hätte er vor, über die volle Distanz zu gehen. Vermutlich würden Sat.1 schon drei oder vier Tage reichen, hat Hasselhoff doch wohl allein am Freitag schon eine Unmenge an Zuschauern zum Einschalten bewegt. Mit Kandidaten wie Jan Leyk und dem You-Tube-Star Simon Desue bindet der Sender das Publikum unter 30 an sich. Und mit Charakteren wie Sänger Percival oder Sarah Joelle hat man sich recht exzentrische Bewohner in die TV-WG geholt.
Wie gut das alles klappt, lässt sich im Vorfeld nicht am Reißbrett planen. Geschichten zu erzeugen, wie es 2011 oder 2013 bei «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» gelang, ist zum Teil Glück und zum Teil auch harte Arbeit der Redakteure hinter den Kulissen. Bei «Big Brother» wird dies noch wichtiger, auch weil die Bewohner wirklich der einzige Grund sind, das Format zu verfolgen. Die Moderatoren, die am Freitagabend einen ordentlichen, aber unauffälligen Job machten, werden anders als beim Dschungel-Camp vermutlich kein Einschaltgrund sein.
Fazit: «Big Brother» hat mit diesem Cast in den kommenden zwei Wochen die Möglichkeit, Sat.1 glasklar davon zu überzeugen, dass der deutsche Fernsehmarkt die Marke braucht. Ein Publikum für das Format gibt es zweifelsohne. Pro Jahr nur zwei Wochen der Reality-Show sind zahlreichen Fans zu wenig. Ein großartiger Erfolg der Promi-Version würde wohl den Weg ebnen zu einer Staffel mit Normalos – darauf spielte auch Moderator Oliver Pocher am Freitag schon an. Die Weichen dafür könnten in diesen Tagen gestellt werden… Die Auftaktquote macht jedenfalls Hoffnung.