Die «Wahlarena» kann nicht des Bürgerforums letzter Schluss sein, meint unser Redakteur Julian Miller.
Nur noch etwas mehr als eine Woche bis zur Bundestagswahl. Sehr gut. Hauptsächlich auch, weil sich dann diese endlosen Schwafelrunden aufhören. Und diese Doppelmoral, dass Entertainer Raab keinen seriösen Polit-Journalismus betreiben könne, während man einem Suggestivfragensteller und Kartenkneter wie Günther Jauch diese Kompetenz zuspricht, auch wenn er sich
beim RTL vom Helikopterbügel hängen lässt.
Nun kann man diese Bürger-fragen-Politiker-Runden verschiedenartig gestalten. Überraschend unprätentiös wie RTL bei seinen beiden
«Am Tisch mit...»-Ausgaben, die wahrscheinlich einen wirklichen Beitrag zur politischen Willensbildung der Zuschauer geleistet haben. Wie «Task Force Berlin» bei ProSieben, das auf die Jungwähler gehen wollte, aber oft in der Belanglosigkeit ersoff.
Oder eben wie die «Wahlarena» im Ersten, das letzte Aufbäumen des televisionären Bürgerforums. Ein Format, das mitunter zeigte, was man alles falsch machen kann, wenn man Bürger Politikern Fragen stellen lässt.
Nun war auch «Am Tisch mit...» kein sonderlich investigatives Format. Aber für die öffentlich-rechtlichen Sender müssen hier andere Kriterien gelten als für RTL, dessen Aufgabe in den Wochen vor den Wahlen hauptsächlich darin besteht, die politikfernen Zuschauerschichten überhaupt einmal für die Materie zu sensibilisieren. So gut das eben geht.
Die ARD muss höhere Ansprüche verfolgen. Das heißt nicht, dass sie sich nur in Feuilleton-Sphären bewegen darf. Aber sie muss journalistisch härter sein. Dem wurde die «Wahlarena» im besten Fall nur am Rande gerecht.
Denn aus dem Fragenstellen wurde oft eher ein gekünsteltes Aufsagen suggestiver Soundbites.
Und, Wahnsinn, wie diese Themen auf den Nägeln brennen: Gleich die Erste wollte wissen, wieso die Kanzlerin nicht beim Finale der Frauenfußball-EM war. Das war wohlgemerkt kein kurzer Einstieg, um ins Gleichstellungsthema zu kommen – die Fragestellerin schwadronierte minutenlang über diesen banalen Unsinn.
Eine andere sprach die bösartigen Karikaturen in vielen südeuropäischen Ländern an, in denen Merkel in SS-Uniform dargestellt wurde. Nach Merkels Antwort noch ein kurzes Nachhaken: Sie wollte nicht die Antwort der Bundeskanzlerin, sondern die „des Menschen dahinter“. Später fordert eine Lehrerin, deren Duktus vermuten ließ, dass entsetzt sprechen auch ein Beruf sein könnte, dass in Deutschland endlich der Menschenhandel „abgeschafft“ werden muss. Ja, genau so hat sie das formuliert: Als warte sie auf einen Gesetzesbeschluss, der das Problem aus der Welt schaffen könnte. Ein anderer wollte wissen, ob die Bundeskanzlerin privat gerne Auto fährt. Man begann, nach einem versteckten Stuckrad-Barre im Publikum zu suchen.
Und dann war da noch die in solchen Sendungen obligatorische Pflegerin, die „Worte der Anerkennung und Wertschätzung“ für ihren Berufsstand hören wollte. Ja, wieder richtig gelesen: keine Frage oder so. Einfach nette Worte. So castet die ARD ihr Personal für's Bürgerforum oder lässt es sich von dimap zuliefern. Hauptsache repräsentativ.
Das soll nun nicht das Town-Hall-Format per se kritisieren. Dieser Ansatz ist ja prinzipiell sehr löblich und kann auch funktionieren. Sogar in der «Wahlarena» gab es viele sinnige und interessante Ansätze für Diskussionen. Man merkte auch: Das ist kein Problem des Alters, denn eine der besten Fragen kam von einer 16-jährigen #Neuländerin. Man müsste nur genauer sondieren, wen man da ans Mikro lässt.
So stellt sich die ARD also Volksnähe vor: Fragen über's Autofahren und aufmunternde Worte für Pflegende, gepaart mit möglichst seriös angezogenen Männern, denen bei ihren Fragen Contenance und Neutralität wichtiger sind, als konsequent nachzuhaken, bis die Widersprüche ausgeräumt sind.
Das zweitgrößte Problem in der «Wahlarena» waren, nach den oft eher menschelnden als wirklich politisch relevanten Fragen, letztlich die beiden Moderatoren, Jörg Schönenborn vom WDR und Andreas Cichowicz vom NDR. Beide sahen aus wie der lebende öffentlich-rechtliche Proporz und verhielten sich auch so. Da wird eingeschritten, wenn ein Bürger mit einer der intelligenteren Fragen möchte, dass die Kanzlerin „ihr Wort gibt“, als hätten die beiden befürchtet, Kurt Georg Kiesinger könnte gleich vom Stühlchen aufstehen. Da wird, als Merkel beim Thema Homo-Adoption deutlich ins Schwimmen gerät, von den beiden nur pseudokritisch nachgefragt, anstatt wirklich nachzuhaken, warum sich Merkel mit der Vorstellung einer vollkommenen Gleichstellung einschließlich voller Adoptionsrechte so „unwohl“ fühlt. Ein Stefan Raab hätte nicht so leicht locker gelassen.
Gut, dass wenigstens Günther Jauch während der ersten «Wahlarena» parallel bei RTL zu tun hatte. Sonst hätte die Kanzlerin womöglich noch ins
Brathähnchen beißen müssen.