Im August startete der US-Ableger von Al Jazeera. Mit eigenem Programm, vielen abgeworbenen Nachrichtenstars und mit dem Anspruch, News wieder ausgewogen zu zeigen.
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„Al Jazeera ist eine erfrischende Erinnerung an das, was Journalismus tun kann“, schreibt Murray Fromoson in der Huffington Post. Andere pflichten ihm bei: Die L.A. Times spricht dem Sender zwar das Revolutionäre ab, vergleicht ihn aber mit den hochwertigen Beiträgen beim Sender PBS. Und stellt fest, dass die Berichterstattung ausgewogen ist. Der britische Guardian erkennt in Al Jazeera America einen Nachrichtensender, „den die US-Amerikaner verdient haben.“ Einen Vergleich zu PBS zieht auch die Variety, und The New Republic bestätigt das Versprechen fairer und ausbalancierter Nachrichten. MSNBC und FOX News sollten sich Gedanken machen, so die Website.
Das republikanisch geprägte FOX News ist vielleicht der größte Feind, dem Al Jazeera America gegenübersteht: 1996 ging man auf Sendung, es war der bis jetzt letzte große Start eines US-Nachrichtensenders. Die Zuschauer eroberte man schnell, ist heute Marktführer in der Branche. Und hat – für Außenstehende – eben jene Branche zum Schlechteren verändert: Nachrichtenjournalismus wurde auch durch FOX News immer mehr zum Meinungsjournalismus, ausgewogene Berichte und mehrere Perspektiven sind kaum noch gefragt. Das Sensationelle und das Schnelle stehen im Zentrum der Berichterstattung, zunehmend auch bei anderen US-Nachrichtenkanälen. Getreu dem übergeordneten Motto: „Hauptsache, es passiert etwas. Lasst uns darüber urteilen.“
Dass FOX News und andere den Senderstart kritisch beäugen, ist wenig verwunderlich. Schließlich will Al Jazeera America nicht nur ausgewogener berichten (und dem einseitigen Meinungsjournalismus eine Absage erteilen), sondern wird auch noch von denen produziert, die Osama bin Laden einst eine Plattform gegeben haben. Das Image von Al Jazeera ist das wohl größte Problem in den USA; viele Zuschauer müssen erst vom neuen, alten Nachrichtenjournalismus mit arabischen Wurzeln überzeugt werden. So wurden in den ersten Tagen auch keine messbaren Einschaltquoten erzielt, eine direkte Bedrohung für das News-Etablissement scheint also vorerst auszubleiben. Trotz der ernüchternden Zuschauerzahlen will man den Weg des ausgewogenen Journalismus konsequent fortsetzen – Geld genug ist ohnehin vorhanden, dank des milliardenschweren Scheichs und Chairman Hamad bin Thamer Al Thani.
Und doch wären es nicht die Nachrichten-Meinungsmacher, würde man den neuen Konkurrenten nicht mit aller Macht herunterreden: Im Februar sagte Megyn Kelly von FOX News, dass Al Jazeera America das Land infiltrieren und mit terroristischen Schläferzellen in Verbindung stehen würde. FOX News-Analyst Jim Pinkerton vermutete jüngst, dass die meisten Araber Bin Ladens Sichtweise unterstützten und Al Jazeera deswegen dort so erfolgreich sei. Und der erzkonservative Moderator Glenn Beck von TheBlaze bezeichnete den Sender kurz nach seinem Start als „Stimme des Feindes“.
Es wird ein harter Weg gegen diese Meinungsmache. Ob er sich lohnt? Al Jazeera America ist ein wichtiges Experiment zur richtigen Zeit. Denn es geht um nicht weniger als die Frage, ob amerikanische Zuschauer einen solch klassischen, vielleicht etwas langsamen und sensationsarmen Journalismus noch wertschätzen.