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Die Kritiker: «Der Richter in Dir»

«Der Richter in Dir» ist das intellektuell anspruchsvollste Format des diesjährigen TV Labs, meint Julian Miller.

Ein dreifacher Familienvater bringt seine an Alzheimer erkrankte Schwiegermutter um. Lebenslang wegsperren? Freispruch? Oder irgendetwas dazwischen? Die Juristerei ist eine komplexe Materie, in der der Stammtisch Pause haben muss – wenn man von «Der Richter in Dir» eines mitnehmen soll, dann bitte das.

Stellt der erste, exponierende Einspielfilm dem Zuschauer nur in groben Skizzen die Situation vor, die zur Tötung geführt hat, bringt ihn die Dramaturgie mit der Salamitaktik schnell dazu, sein ursprüngliches Urteil zu überdenken. An den ursprünglichen Fakten hat sich dabei nichts geändert. Es sind nur neue hinzugekommen.

Zwischendurch erklärt Michel Friedman einige relevante Zusammenhänge hinsichtlich des (in den Details verfremdeten) echten Falls, debattiert ausführlich mit dem Publikum, das sowohl nach dem ersten als auch nach dem letzten Einspieler über das Strafmaß abstimmen darf. Schnell merkt man: Der Mann ist Anwalt mit Leib und Seele, ein leidenschaftlicher Diskutant, schlagfertig, intelligent, hoch kompetent – genau der Richtige für dieses Format.

In den Gesprächen mit dem rege beteiligten Publikum nimmt er im Verlauf der Sendung verschiedene Rollen ein – die des Anklägers, die des Verteidigers des Angeschuldigten. Am Schluss verkündet er das tatsächlich von einem deutschen Gericht bestimmte Strafmaß, woraufhin er ein letztes Mal die Diskussion eröffnet. Ein endgültiger Konsens findet sich nicht. Das war aber auch nicht zu erwarten. Der Sinn liegt in der Diskussion an sich. Und die führt Friedman auf höchstem Niveau.

Anders als «Wie würden Sie entscheiden?», das damals mit BGB-Koryphäe Hans Brox Zivilrechtsfälle auseinandernahm, liegt bei «Der Richter in Dir» der Fokus jedoch nicht in erster Linie auf strafrechtlichen Lehrstücken, sondern vielmehr auf dem wirkungspsychologischen Experiment, der kleinen Feldstudie über die Manipulierbarkeit der Massen und des Einzelnen. Auch wenn sich Journalisten der Marke Kai Diekmann wohl darüber im Klaren sind, was sie mit ihrem Blatt in aller Regelmäßigkeit so anrichten – man wünscht sich, sie würden sich dieses Format ansehen. Am besten mehrmals. Meinetwegen auch wie in «The Clockwork Orange».

«Der Richter in Dir» tut so viel für die Vermittlung des Rechtsstaatsprinzips wie kaum ein anderes Format im deutschen Fernsehen. Das würde es eigentlich zu einem Teil der Grundversorgung machen. In jedem Fall verdient es ein breites Publikum – und eine Fortsetzung.

ZDFneo zeigt «Der Richter in Dir» im Rahmen des TV Labs am Montag, den 26. August um 21.45 Uhr.
24.08.2013 12:31 Uhr Kurz-URL: qmde.de/65688
Julian Miller

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