Nicht New York, Alaska oder Vancouver: Der US-Bundesstaat Louisiana ist still und heimlich Schauplatz zahlreicher TV-Sendungen geworden, darunter von «True Blood» und unzähligen Reality-Formaten. Über das skurrile TV-Phänomen im Südosten der USA…
Fakten zu Louisiana
- benannt nach König Ludwig XIV.
- bekannteste Stadt New Orleans
- 34 Einwohner pro Quadratkilometer
- 15 Prozent des Staates sind Gewässerflächen
- Mississippi River bildet nordöstliche Staatsgrenze
- Heimat des Mardi Gras-Festes
- keine offizielle Amtssprache
- viele Einwohner haben französische Vorfahren
„Louisiana im September war wie ein obszöner anonymer Anruf der Natur. Die Luft – feucht, drückend, geheimnisvoll und alles andere als frisch – fühlte sich an, als würde einem jemand ins Gesicht stöhnen. Manchmal klang sie sogar wie schweres Atmen. Geißblätter, Sumpfpflanzen, Magnolien und der mysteriöse Geruch des Flusses parfümierten die Atmosphäre, und sie verstärkte den Eindruck organischer Verderbtheit. Es war hier aphrodisisch und repressiv, soft und brutal zur gleichen Zeit.“
Kaum jemand hat die Atmosphäre, die vom US-Bundesstaat Louisiana ausgeht, besser eingefangen als Autor Tom Robbins in diesen Zeilen. Louisiana, im Süden der USA und östlich von Texas gelegen, hat den Beinamen „sumpfiges Gebiet“ – auch als „Bayou“ bezeichnet. 28 Grad Durchschnittstemperatur messen die Wetterdienste, rund 40 Prozent des gesamten Marschlandes der USA sind hier beherbergt. Der deutsche Wikipedia-Artikel zum Bundesstaat schweigt sich unter dem Punkt „Sehenswürdigkeiten“ nahezu aus – und außerhalb der wunderschönen Küstenstadt New Orleans gibt es tatsächlich kaum touristische Orte. Das Wappentier von Louisiana ist der Pelikan, berühmte einheimische Tiere sind außerdem der Alligator und der Rote Amerikanische Sumpfkrebs. Wer würde hier, im verlassenen Südosten der Vereinigten Staaten, TV-Shows drehen wollen?
Tatsächlich hat dieser geheimnisvolle, teils unerforschte Ort zahlreiche Fernsehmacher inspiriert. In den vergangenen Jahren ist Louisiana zu einem wahren Mekka der TV-Produktionen aufgestiegen, mittlerweile zählt man über 20 Sendungen – vor allem im Reality TV. Derzeit werden die Bewohner des Bayou-Staates von Agenturen regelrecht durchgecastet; gefragt sind echte, kantige Einheimische: Leute, die Geschichten zu erzählen haben – und die das Gefährliche, das Verdorbene repräsentieren, das Tom Robbins einst literarisch beschrieb.
Produzenten suchen das Außergewöhnliche in den normalen Menschen, und sie gehen dafür oft sehr weit: Die „New York Times“ berichtet von Party-Veranstaltungen, bei denen heimlich nach spannenden Personen gesucht wird, und von sogenannten Cold Calls, also unerwünschten Kaltanrufen, bei denen Menschen zum Mitmachen überredet werden sollen.
James Bearb ist Chef von Hollywood South Casting, einer der zahlreichen Casting-Firmen in Louisiana. Seine Devise: „Jeder will im Fernsehen sein, das ist sicher.“ In einem Interview mit ABC erzählt er, wonach er sucht: nach großen Persönlichkeiten. „Wir mögen Leute, die interessant sind, die unsere Aufmerksamkeit halten; Leute, über die man einfach mehr erfahren will – und die einfach nicht aufhören wollen zu reden.“ Dazu gehören offenbar auch dutzende Kinder, die dem schnellen Ruhm der Fernsehkameras nicht widerstehen wollen: Zu den großen offenen Castings von Bearbs Firma reisen regelmäßig junge Menschen aus dem ganzen Bundesstaat an, darunter auch Vierjährige mit ihren Eltern.
Den Grundstein für den Film- und Fernsehboom in Louisiana legte 2002 ein Steuerkreditprogramm, das Investoren und Produzenten zu einem großen Prozentsatz von der Steuerpflicht entband. Daneben sind die reinen Produktionskosten deutlich niedriger als in großen Städten wie New York – beispielsweise bei Raummieten oder dem Arbeitslohn. Und schließlich legt die Regierung seit Beginn des Kreditprogramms großen Wert auf eine produzentenfreundliche Umgebung und Atmosphäre, gleichzeitig kooperieren die meisten Einwohner mit der neu angesiedelten Industrie. Als Produktionsstandort hat sich Louisiana mittlerweile neben den ganz Großen der USA etabliert, zuletzt wurden Kino-Blockbuster wie «Oblivion» und «Django Unchained» dort gedreht. Seit einigen Jahren spricht die Branche über Louisiana als „Hollywood South“.
Zum neuen Image passt auch, dass hochwertige Fernsehserien hier ihren Schauplatz haben. Vorläufer war das Vampirdrama «True Blood». Es avancierte zur erfolgreichsten HBO-Produktion seit 2008 – und wäre nicht denkbar ohne das Setting im sumpfigen, verlassenen Louisiana, das auch im Intro wunderbar eingefangen wird. Die Mythen um Vampire und Werwölfe oder den in Louisiana beheimateten Voodoo-Kult: Sie alle funktionieren vor allem wegen des Geheimnisvollen, Unzähmbaren, das dieser Bundessstaat auch in Wirklichkeit verkörpert.
2008 begann «True Blood», zwei Jahre später startete HBO dort mit «Tremé» von TV-Legende David Simon eine weitere Serie. Das Drama erzählt von der Zeit in New Orleans nach der Katastrophe um Hurrican Katrina, 2005. Einen Namen gemacht hat sich «Tremé» unter anderem wegen des großartigen Soundtracks, der zwei Grammy-Nominierungen einbrachte.
Und bald wird die dritte Staffel der Horror-Anthologie «American Horror Story» ebenfalls ihre Zelte in Louisiana aufschlagen: Unter dem Titel „Coven“ will man eine Story um Hexenzirkel entfalten, um Hexenjagd und um Voodoo. Mit «American Horror Story» erliegt die nächste TV-Produktion dem antithetischen Zauber dieses Bundesstaates.
Eigentliches Herz des TV-Booms sind aber die zahlreichen Reality-Fernsehshows, die Louisiana zum Schauplatz selbst machen – nicht in der Fiktion, sondern in der Realität. Pionier war das 2010 gestartete Format «Swamp People» auf dem History Channel, das den Alltag der naturverbundenen Cajun zeigt, einer aus Frankreich stammenden Bevölkerungsgruppe. Ihren Lebensunterhalt und ihre Nahrung verdienen sich die Cajun in diesem Format mit der Alligatorjagd, die zum großen Teil auch Thema der TV-Sendung ist. «Swamp People» stellte mit seiner Premiere einst einen Einschaltquoten-Senderrekord auf, genauso wie spätere Staffeln.
In der Branche lösten die Zuschauerzahlen ein Echo aus: Plötzlich war Louisiana
in, es war ein unverbrauchter, mysteriöser Ort für spannende neue Storys. «Duck Dynasty» startete 2012 und bescherte dem Sender A&E ebenfalls einen neuen Reichweitenrekord von rund zehn Millionen Zuschauern. Die Serie zeigt die etwas schrullige Familie Robertson, die Geräte für die Entenjagd herstellt – die Robertsons sind so etwas wie die „Ludolfs“ auf Amerikanisch. In «Bayou Billionaires» dokumentiert man das Leben armer Familien aus der Working Class, die plötzlich steinreich werden, durch neu entdeckte Ölvorkommen auf ihren Grundstücken. «Cajun Pawn Stars» verlegt den Schauplatz der originalen Pfandleiher-Show nach Louisiana, und «Swamp’d» auf Animal Planet folgt dem Leben von P'Maw, der einen Anglerladen betreibt. Weitere Louisiana-Realitys nennen sich «My Big Redneck Vacation», «Sons of Guns», «Swamp Pawn», «Ragin Cajuns».
Eigentlich schon im Frühjahr sollte ein weiteres solches Format starten, «The Governor’s Wife». Die Sendung begleitet das Leben der Ehefrau von Edwin Edwards, dem früherem Präsident von Louisiana (der wegen Bestechung einst auch im Gefängnis saß). Mittlerweile wurde der Sendestart von «The Governor’s Wife» mehrfach verschoben; vor zwei Wochen machte dann folgende Meldung Schlagzeilen: Edwards ist mit seinen 85 Jahren noch einmal Vater geworden, seine rund 50 Jahre jüngere Frau Trina sei wohlauf. Die Babybilder sollen in die Fernsehshow, deswegen hat der Sender den Start nun nochmals auf Herbst nach hinten verlegt.
Eine skurrile Geschichte mit zwei ungewöhnlichen Menschen, wie sie vielleicht nur in Louisiana zu finden sind.