Undifferenziertes Biopic oder kritische Aufarbeitung einer kontroversen Figur - wofür hat sich «George» entschieden?
Inhalt
Hinter den Kulissen
- Produktion: teamworx
- Regie: Joachim A. Lang
- Drehbuch: Joachim A. Lang und Kai Hafemeister
- Kamera: Holly Fink
- Produzenten: Nico Hofmann und Jochen Laube
- Producer: Leif Alexis
Am 25. September 1946 starb der äußerst populäre Schauspieler Heinrich George im sowjetischen Lager Sachsenhausen. Als „König im Reich der Phantasie" wurde er in den 20er Jahren gefeiert. Er brillierte auf der Bühne unter anderem in seiner Lieblingsgrolle als „Götz von Berlichingen" und im Film in Fritz Langs «Metropolis» oder als Franz Biberkopf in «Berlin Alexanderplatz». Er wollte spielen, um jeden Preis, und das konnte er nach 1933 in diesem Maße nur in Deutschland. Die Nazis ließen ihn spielen, mehr als alle anderen zuvor. Dafür benutzten sie Georges künstlerische Kraft und seine Popularität. Und George ließ sich benutzen. Wegen seiner Haltung im Dritten Reich wurde er nach dem Krieg vom russischen Geheimdienst NKWD verhaftet. Es war der tiefe Fall des vormals gefeierten Schauspielers. In sowjetischer Lagerhaft starb er mit nur 52 Jahren.
«George» zeigt die Faszination, die von der elementaren Gestaltungskraft Heinrich Georges ausging, ebenso wie die Widersprüche in seiner Person, die einen exzentrischen, hochsensiblen und gefährdeten Charakter hinter der wuchtigen Erscheinung sichtbar werden lassen. Im Mittelpunkt des Films stehen die letzten Lebensjahre des Schauspielers.
Roter Faden in dem Film sind die Verhöre, die vom NKWD im Lager Hohenschönhausen geführt werden: General Bibler versucht, die Frage nach der Verstrickung von Heinrich George mit dem Nazi-Regime zu ergründen. In Rückblenden werden die wichtigsten Lebenssituationen Georges seit der Machtergreifung Hitlers in Spielszenen und historischen Film-Aufnahmen erzählt. Im Verhör mit Bibler bezieht George Stellung.
Man wirft dem ehemaligen Linken Verrat vor, weil er 1933 in Deutschland geblieben war und dann in Propagandafilmen mitgespielt hatte: «Hitlerjunge Quex» und «Jud Süß». Heinrich George sagte auch zu, als Goebbels die Reichsfestspiele in Heidelberg wieder aufleben ließ und ebenso, als der Propagandaminister ihm die Intendanz des Schillertheaters anbot. Die Warnungen der Freunde schlug er in den Wind. Er könne nur in Deutschland spielen. Aber er trat auch für andere ein, mutig und entschlossen, wenn es um seine Kunst ging. Jüdischen Kollegen und Oppositionellen bot er im Schillertheater Schutz. Aber auch das hatte seinen Preis. George rief im „Völkischen Beobachter" zum Endkampf auf und spielte im Durchhalteepos «Kolberg» mit.
All dies führte nach dem Krieg zur Verurteilung und zur Überstellung ins Lager. Dort spielte er noch einmal, diesmal unter ganz anderen Bedingungen. Er leitete eine Theatergruppe, mit der er trotz Hunger, Krankheit und seelischer Not die großen Stücke seines Lebens auf die improvisierte Bühne brachte. In Hohenschönhausen führte er den "Faust" auf und thematisierte damit den Pakt mit dem Teufel. In Sachsenhausen konnte er nur vor sowjetischen Offizieren auftreten und musste dafür Russisch lernen. Kurz vor seinem Tod spielte er den „Postmeister" mit der berühmten Tanzszene. Auf der Bühne brach er zusammen, wenige Tage später starb er völlig entkräftet.
Die Rolle des Heinrich George spielt sein Sohn Götz. Er war sechs Jahre alt, als er seinen Vater zum letzten Mal vor dem Lagertor sah. Zusammen mit seinem Bruder Jan ist er neben Freunden, Künstlern und Lagerinsassen einer der wichtigsten Zeitzeugen. Das Doku-Drama thematisiert auch die Beziehung von Vater und Sohn, künstlerisch, politisch und menschlich.
Darsteller
Götz George («Schtonk») als Heinrich George («Berlin Alexanderplatz», «Jud Süß», «Kolberg»)
Martin Wuttke («Tatort – Leipzig») als Joseph Goebbels
Muriel Baumeister («Die Frau des Frisörs») als Berta Drews
Thomas Thieme («Das Leben der Anderen», «Rosa Roth») als Paul Wegener
Burghardt Klaußner («Das Adlon») als Helmut Maurer
Leonie Benesch («Das weiße Band») als Margot Hanke
Hanns Zischler («Rommel») als Max Beckmann
Kritik
Nicht zum ersten Mal will die ARD einem (mehr oder weniger) befreundeten Promi mit einem Film über seine Vorfahren ein Geburtstagsgeschenk machen. So schenkte man vor einiger Zeit schon Udo Jürgens eine Verfilmung seiner Familienbiographie – mit inhaltlich eher durchwachsenem Ergebnis.
Im «George»-Epos darf Sohn Götz seinen Vater gleich selbst spielen. Ein Aspekt, bei dem einem zunächst etwas mulmig wird. Schließlich ist Heinrich George einer der kontroversesten Künstler des Dritten Reichs. Wenn man in Filmen wie «Jud Süß» auftritt, kann man nicht mehr unpolitisch sein. Dass man also den Sohn den umstrittenen Vater spielen lässt, lässt die Gefahr der fehlenden Distanz aufkommen.
In der Tat merkt man der Produktion auch häufig tendenziöse Töne an. Doch die kommen nicht von den Georges – vor allem nicht von Jan George: „Frag mich jetz' was Politisches“, blafft er seinen Interviewer sichtlich aufgebracht an, nachdem er sich mit ihm eine Weile über die familiären Alltäglichkeiten im George-Haushalt unterhalten hatte. Und auch Bruder Götz sieht man immer wieder an, dass er sich der Notwendigkeit einer auch kritischen Aufarbeitung der Lebensgeschichte seines Vaters bewusst ist.
Die zentrale Fragestellung könnte man dabei durchaus allegorisch auffassen: War Heinrich George ein liebenswerter Mann, der die politischen Realitäten verkannt hat, dadurch zum Kollaborateur wurde und in dieser Position durch seine Präsenz in der Öffentlichkeit im Dienste des Nazi-Apparats Entsetzliches anrichtete? Oder war er ein verblendeter Opportunist, dem viel zu spät klar wurde, worauf er sich da eingelassen hat – und bitter dafür bezahlen musste? Hätte er mehr tun können, um gegen den Nazi-Terror anzukämpfen? Weswegen hielt er diese furchtbaren Reden, in denen er Sätze wie „Für mich ist Hitler Deutschland und Deutschland ist meine Heimat“ sagte, wieso war er bei zweifelsfrei politischen Großereignissen wie dem Anschluss Österreichs dabei? Wieso leitete er für die Nazis ihr Vorzeigetheater und machte sehenden Auges dabei mit, wie die NS-Kulturriege große deutsche Stoffe zu Nazi-Ideologieträgern umfunktionierte? Ist es da nicht zulässig, ihm zumindest ein Stück weit auch eine Sympathie und Bewunderung für den NS-Staat zu unterstellen, auch wenn er den Antisemitismus immer abgelehnt haben mag?
Fragen über Fragen, Thesen über Thesen. In «George» findet davon wenig statt: dafür jede Menge Hadern und Zögern der Titelfigur, samt einer riesigen Menge an Widersprüchen, die man nicht einmal aufzulösen versucht. Ein großer Schauspieler soll er gewesen sein, heißt es immer wieder – und darauf konzentriert man sich in diesen Betrachtungen. Doch George war nicht nur der vom Schicksal gebeutelte Franz Biberkopf in «Berlin Alexanderplatz» oder der sympathische «Postmeister». Wenn man in Propagandaschinken wie «Hitlerjunge Quex», Hetzfilmen wie «Jud Süß» oder Nazi-Durchhalteparolen wie «Kolberg» auftritt, tritt jegliche künstlerische Leistung dahinter zurück.
Zu diesem Schluss kommt «George» nicht. Stattdessen versucht man zu erklären, wie George zum Kollaborateur der NS-Diktatur wurde. Doch weil dieser gesamte narrative Prozess so tendenziös und unter einer weitgehenden Abwesenheit von Streitpunkten stattfindet, um sich möglichst zügig am Lebensfaden Georges entlanghangeln zu können und auf all das Melodram nicht verzichten zu müssen, gerät man stellenweise in das (eventuell ja völlig unbeabsichtigte) Fahrwasser des Versuchs einer Exkulpation. Als könnte ein Mitläufer dieser Größenordnung ohne Schuld sein.
Man lässt den – fiktiv aufbereiteten – Heinrich George hier viele Dinge sagen: „Ich bin Schauspieler, kein Politiker“ etwa. Oder „Ach, Kinder, ich wollte einfach arbeiten“, um sich zu erklären. Sätze, die eine unfassbare Naivität erkennen lassen – und angesichts seiner Arbeit in all den Nazi-Filmen nicht selten wie blanker Hohn klingen. Dabei wäre die Sache so einfach: Kunst ist nichts wert, sondern wird ein Teil des Verbrechens, wenn man sie in den Dienst des Verbrechens stellt. Doch diese Radikalität in den Schlüssen traut man sich hier offenbar nicht. Auch wenn sie bitter nötig gewesen wäre, um den nötigen intellektuellen Anspruch eines derartig schwierigen Biopic-Projekts zu wahren.
An Götz George liegt das Scheitern der Produktion nicht: Manche seiner Gesten mögen zu pathetisch wirken, der Sprachduktus hier und da zu aufgesetzt. Doch er ist bemüht, den großen seelischen Konflikt des Vaters fassbar zu machen – was ihm viel besser gelingt als dem tendenziösen Drehbuch. Dem fehlt es an einer differenzierten, knallharten Aufarbeitung.
Das Erste zeigt «George» am Mittwoch, den 24. Juli um 21.45 Uhr.