Der Thriller im Stile von «Funny Games » und «The Strangers» bietet neben einem hochspannenden Home-Invasion-Thriller eine überdeutliche Politparabel - oder doch nicht?
Filmfacts «The Purge»
- Kinostart: 13. Juni 2013
- Genre: Thriller/Horror
- Laufzeit: 85 Min.
- FSK: 18
- Kamera: Jacques Jouffret
- Regie: James deMonaco
- Darsteller: Ethan Hawke, Lena Headey, Rhys Wakefield, Max Burkholder, Adelaide Kane
- OT: The Purge (USA/FR 2013)
Ist der Film «The Purge – Die Säuberung» von «Staten Island»-Regisseur James deMonaco eine übergroße, filmgewordene Patriotismus-Kritik, oder ist dieser politische Beigeschmack ungewollt ein wenig zu intensiv geraten? Ganz herauslesen lässt sich nicht, mit welcher Intention der Filmemacher seinen Thriller mit Horroreinschlag inszenierte. Denn einerseits ist es nicht von der Hand zu weisen, dass deMonaco eine Zukunftsvision kreierte, die rein gar nichts mit Science-Fiction sondern einer beunruhigenden Bodenständigkeit zu tun hat. Kurzum: Wenngleich es unwahrscheinlich ist, rein theoretisch ist ein Säuberungs-Szenario wie in «The Purge» nicht unmöglich. Andererseits liegt es selbstverständlich nicht wirklich nah, dass wir uns in knapp zehn Jahren damit auseinandersetzen müssen, was wir tun würden, wenn für eine Nacht alle Verbrechen legal wären. Ist „The Purge“ demnach die erste, horrende Politsatire?
Im Jahre 2022 bewegt sich die Arbeitslosenquote in Amerika bei rund einem Prozent und auch die Kriminalitätsrate hat einen neuen Tiefstand erreicht. Der Grund hierfür ist die alljährliche Säuberung, im Englischen „Purge“, die dem Film ihren Titel verleiht. In jener Nacht sind sämtliche Not- und Rettungsdienste für zwölf Stunden nicht erreichbar. Nahezu alle Straftaten, auch Mord, sind in dieser Zeit legal. So soll es der amerikanischen Bevölkerung möglich gemacht werden, sich in diesen Stunden von all ihrer Wut zu befreien und ihrem Weltschmerz Ausdruck zu verleihen.
Auch die Familie Sandin, bestehend aus James (Ethan Hawke), Mary (Lena Headey), Sohn Charly (Max Burkholder) und Tochter Zoey (Adelaide Kane) muss die alljährliche Purge-Nacht durchleben. Doch anstatt sich auf die Jagd zu begeben, schließen sich die vier in ihr schwer geschütztes Haus ein. Bislang konnte die Familie, deren Oberhaupt James die Sicherheitssysteme der Nachbarschaft entwickelt, jede der Säuberungen ohne feindliche Angriffe überstehen. Bis heute. Als ein Obdachloser (Edwin Hodge) um Hilfe fleht und von Charly erblickt wird, lässt dieser ihn unüberlegt in das abgeriegelte Anwesen herein. Nicht ahnend, dass er seiner Familie dadurch eine Gruppe düsterer Gestalten auf den Hals hetzt, die für die Ergreifung des Fremden auch über blutige Leichen gehen.
«The Purge» einzuordnen, ist kein leichtes Unterfangen. Der Film beginnt rabiat und wirkt durch seine, aus (fiktiven) Überwachungskamera-Sequenzen bestehende, Eröffnungssequenz sofort wie ein grobschlächtiges Antigewalt-Statement. Vor allem die aus dem Off zu hörenden, ebenfalls fiktiven, Kommentare diverser Radio- und Fernsehstationen bewirken im starken Kontrast zu den Gewalt-zeigenden Bildern, dass sich dem Zuschauer die Kehle zuschnürt. So erklären sämtliche Kommentatoren die brutalen Geschehnisse, als würden sie gerade einen hochtrabenden Event moderieren. Mit professioneller Leichtigkeit und einem Dauergrinsen in der Stimme, das dem Zuschauer entgegenschallt, obwohl man die Kommentare lediglich aus dem Off hört, wirken vor allem diese Szenen besonders intensiv.
Die Vorstellung der Familie Sandin kommt anschließend äußerst schleppend in Gang. Zum einen fehlt sämtlichen Figuren, trotz einer verhältnismäßig langen Einführungszeit, eine klare Ausrichtung. Die Charaktere bleiben bis zum Schluss oberflächlich und erfüllen lediglich ihre Einordnung in die Kategorien „gut“ und „böse“. Dies hat zwar den Vorteil, dass die Figuren je nach Situation ganz nach Belieben handeln können, ohne sich auf irgendeinen Charakterzug zu besinnen. So ist vor allem die Figur der Mary Sandin, gespielt von Lena Headey («Dredd») solch krassen Charakterschwankungen unterworfen, dass ihre Figur gerade in der Endphase vollkommen willkürlich agiert. Dass dem Zuschauer der Verbleib ihrer Rolle dadurch relativ egal ist, ist jedoch der Nachteil, den derartige Figurenzeichnungen mit sich bringen. Doch «The Purge» will schließlich kein Charakterstück sein. Dementsprechend fällt diese offensichtliche Schwäche im Gesamturteil nicht allzu sehr ins Gewicht. In mancherlei Hinsicht hat eine derartige Ausrichtung sogar ihre Vorteile. Wenngleich es auf den ersten Blick langweilig erscheint, lediglich einen Kampf zwischen Gut und Böse zu verfolgen, entwickelt sich vor allem hieraus eine kitzelnde Spannung. Mit unnötigem Charakterbeiwerk hält man sich nicht auf. Die Protagonisten fliehen vor den Antagonisten. Hieraus entstehen mit der Zeit ein immer höheres Tempo und ein Großteil der Spannung, da sich bis zuletzt kein Grund für diese Szenerie ergibt. Untermauert wird diese Tatsache durch die zynisch grinsenden Masken, die dem Zuschauer nicht nur den Blick auf die Gesichter der Bösewichter verwehren, sondern diese dadurch zu einer nicht einschätzbaren Gefahr machen, sowie die ekelhafte Höflichkeit des Anführers, dessen Charakter an die beiden Mörderbuben aus «Funny Games» erinnert. Was schließlich bleibt, ist die blanke Furcht und die nimmt man der Familie tatsächlich jederzeit ab.
Herrlich gegen den Strich besetzt ist dabei vor allem Max Burkholder («Parenthood»), der schon dem optischen Anschein nach einen Teenie verkörpert, der so gar nicht dem Bild entspricht, das jugendliche Schauspieler sonst abgeben. Sein Charly ist schlicht ein ganz normaler Typ, der weder in eine nerdige Richtung abdriftet, noch in die eines Langweilers oder gar Außenseiters. Das krasse Gegenteil dazu bildet Adelaide Kane («Cannibal Rising»), der man das Bild der oberflächlichen Göre hervorragend abkauft und der während des Films der bedeutungsloseste Part zukommt. Ethan Hawke («Der Club der toten Dichter») kann mit seiner Verkörperung des sorgenden aber nicht minder knallharten James nicht annähernd an seine intensive Leistung im letztjährigen Horrorschocker «Sinister» anknüpfen. Zudem kommt ein Großteil der Spannung durch die unterirdische Synchronisation abhanden. Stellvertretend für diese stehen unter anderem Sätze wie „Wollen ist unser Wille.“
Nach der Einführung der Familie folgt zügig die Zuspitzung der Szenerie. Der dunkelhäutige Fremde, dessen Gesinnung sich nicht auf Anhieb erschließt, wird ins Haus gelassen und schließlich stehen die Eindringlinge vor der Tür. Während der Fremde insgesamt nur wenige Minuten zu sehen ist und für den Film somit weniger relevant ist, als es die Beschreibung oder Trailer vermuten lassen, werden in der zweiten Filmhälfte die maskierten Unbekannten zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Wem schon der Anblick von Masken Unbehagen bereitet, für den werden sämtliche Passagen, die die Eindringlinge zeigen, ein wahres Grauen sein. In den Momenten, in denen die Kamera einfach nur beobachtet, wie die Antagonisten Reaktionen abwarten, in die Überwachungskamera blicken oder im Garten schaukeln, gelang den Machern – allen voran Kameramann Jacques Jouffret, der demnächst auch für Hochglanzbilder in «Pain & Gain» sorgen darf – mit winzigen Mitteln das Erzeugen von atemberaubender Spannung. Ohne Musik oder Effekthascherei ist es lediglich der Touch des Realen (viele der Aufnahmen machen den Eindruck, als kämen sie direkt aus einer Überwachungskamera), der hier für Gänsehaut sorgt.
Vor allem die Bösewichter sind es letztendlich auch, dank derer sich die finale Verfolgungsjagd im Haus nicht allzu langweilig und unoriginell gestaltet. Die wenigen, aber durchaus effektiven und vorab nicht unbedingt zu erahnenden Schocks sitzen und machen sich die schaurige Präsenz der Eindringlinge gänzlich zunutze, ähnlich des 2009 in den Kinos veröffentlichten Horrorkammerspiels «The Strangers». Wenn die Hetzjagd ihren Höhepunkt erreicht, wird es sogar noch einmal ordentlich blutig, was es jedoch nicht unbedingt gebraucht hätte. Weniger wäre hier mehr gewesen, erstrecht wenn die Darstellung einer dieser Szenen regelrecht an Folter erinnert, was die Konsequenz und Ausweglosigkeit der Situation zwar unterstreicht, jedoch so gar nicht zum restlichen Tonfall des Films passt. Stichwort: Brieföffner.
Doch wo ist bei all dem soliden Grusel nun die politische Parabel? Viel zu oft tönt es aus dem Off und seitens einiger Haupt- und Nebenfiguren, wie wichtig die Säuberung vor allem für das amerikanische Volk ist. Immer wieder ist von den neuen Gründervätern die Rede, die die „Purge“ einst ins Leben riefen und von ihren Befürwortern regelrecht angebetet werden. Dieser Umstand könnte ohne weiteres als der ausschlaggebende Grund für das Ausgangsszenario dienen. Da jedoch keine stille Minute ungenutzt bleibt, um nicht zu erwähnen, welcher Sinn und Zweck hinter der Reinigung steht, verkommt diese Art der Begründung zur inflationären „God Bless America“-Kampagne, da auch nicht davor zurückgeschreckt wird, exakt diesen Satz mehrmals, mit stolz geschwellter Brust in die Kamera zu sagen.
Nun liegt es am kritischen Publikum, derartige Szenerien zu bewerten. Während die einen in dem Film eine pure Patriotismus-Show sehen werden, könnten die anderen das exakte Gegenteil aus der Aufmachung lesen und in dem Streifen eine zynische, vielleicht etwas zu grelle Satire sehen. Und der Rest lässt sich von all den politischen Anzüglichkeiten gar nicht erst beeinflussen und betrachtet «The Purge – Die Säuberung» als das, was er auf jeden Fall ist: Ein spannender Thriller mit Horroranleihen, in teilweise herausragenden Bildern und umgeben von einer Atmosphäre, die zwar schwer in Gang kommt, in ihren Hochphasen den Puls jedoch ordentlich in die Höhe treibt und in ihrer Konsequenz schockiert.
«The Purge» ist ab dem 13. Juni in den deutschen Kinos zu sehen.