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Der Fernsehfriedhof: „Er ist fett. Er ist laut. Er ist hässlich.“

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 242: Eine revolutionäre Sendung, die schlicht zu subtil für VIVA war.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir eines der unterschätztesten TV-Projekte des deutschen Fernsehens.

«Fleischmann.TV» wurde am 14. April 2003 bei VIVA geboren und entstand zu einer Zeit, als der ursprüngliche Musiksender durch den Erfolg des Konkurrenten MTV in starke Bedrängnis gekommen war. Als Reaktion auf dessen beliebte Reality- und Extremshows kündigte man eine breitangelegte Programmoffensive und Neuausrichtung des Sendekonzepts an. Insgesamt sollten neun neue Höhepunkte den Kanal auf die Gewinnerspur zurückbringen. Darunter waren unter anderem die Anime-Serien «CFG - The Candidate for Goddess» und «Angel Sanctuary» sowie die Trickreihe «South Park». Dabei passte insbesondere letztere zum neuen Schwerpunkt des Programms, der nun im Bereich Comedy liegen sollte.

Daher wurden zusätzlich die Streiche der Puppen von «Crank Yankers» sowie die britische Sketch-Comedy «Da Ali G Show» mit Sacha Baron Cohen eingekauft. Die Fokussierung auf komische Inhalte erschien auch deswegen sinnvoll, weil die VIVA Media AG zuvor die deutsche Produktionsfirma Brainpool übernommen hatte, die ebenfalls auf witzige Formate spezialisiert war. Durch diesen Deal erhielt man auch die Wiederholungsrechte an älteren Produktionen, wie etwa von «Elton.tv».

Der visionärste, ambitionierteste und zugleich auch umstrittenste Neuzugang sollte jedoch die Sendung «Fleischmann.TV» werden, die werktäglich zwischen 22.30 und 23.00 Uhr gezeigt wurde. Angekündigt wurde sie als „erste Live-Cartoon-Call-In-Show der Welt“, in der Zuschauer per Telefon live mit einer Zeichentrick-Figur sprechen konnten. Eine eigens entwickelte Software ermöglichte dafür, Mund- und Augenbewegungen auf eine starre Silhouette in Echtzeit projizieren zu können. Da die Rechenleistung dabei jedoch stark begrenzt war, fielen diese eher minimal aus, was aber eine besondere Ästhetik hervorbrachte. Im Kern war die Produktion damit ein klassisches Call-In-Konzept. In der Ausgestaltung unterschied es sich jedoch nicht nur von den übrigen Vertretern dieser Art, sondern auch vom restlichen VIVA-Programm.

Beim Moderator handelte es sich nämlich um einen unansehnlichen, übergewichtigen, schlecht gelaunten Mann, der im Unterhemd in seinem heruntergekommenen Wohnzimmer vor dem Fernseher saß und unentwegt vor sich hinpöbelte. In einem Pressetext wurde jener Fleischmann daher mit den Worten beschrieben: „Er ist fett. Er ist laut. Er ist hässlich.“ Dazu rülpste und furzte er, bohrte in den Ohren, trank Bier und kratzte sich im Schritt. Bei der Textur, die für seine Hautoberfläche verwendet wurde, handelte es sich um extreme Nahaufnahmen von Körperteilen, wodurch er stark behaart erschien. Abseits der Gespräche mit Anrufern kommentierte er zudem eingespielte Videoclips.

Auf den ersten Blick war «Fleischmann.TV» damit ein vulgäres und sinnfreies Format, doch dieser Eindruck täuschte, denn in seiner provokanten Art sonderte die Figur durchaus feinsinnige Kommentare und messerscharfe Beobachtungen der Gesellschaft und einzelner Menschentypen auf. Hinter dem gezeichneten Fettsack verbarg sich nämlich der Humorist, Musiker und Autor Heinz Strunk, dessen Stimme stark verzerrt wurde. Da die Show ebenfalls aus dem Hause von Brainpool stammte, befand sich sein Büro damals mitten in der Redaktion von «TV Total».

In welche Richtung der dargestellte Humor ging, lässt sich beispielhaft an der Eröffnung einer Ausgabe erahnen. Damals begrüßte Fleischmann seine Zuschauer mit den Worten: „Herzlich Willkommen hier bei Fleischmann-Billig-TV, der Sendung die enzyklopädisches Basiswissen geschickt mit sexuell geprägter, aggressiver Energie vermischt, denn das ist das binomische Erfolgsrezept von »Fleischmann.TV». Emotionen pur!“

Weil das VIVA-Publikum jedoch hauptsächlich aus Teenagern bestand, die viele Äußerungen offenbar nicht verstanden, waren viele Gespräche unausgewogen, woraus jedoch eine eigene Komik entstand. Doch aufgrund dieses Missverhältnisses geriet die Produktion schnell in die Kritik bei Zuschauern und Pädagogen, die ihr in offenbarer Unkenntnis der beabsichtigten Ironie und Überzeichnungen unter anderem auch den Transport eines „fragwürdigen Geschlechterbilds“ vorwarfen. Offenbar war es damit beim falschen Kanal beheimatet, was sich auch in den sehr geringen Zuschauerzahlen niederschlug. Deswegen wurde die Anzahl der Ausgaben ab September 2003 stark reduziert und die Sendung nur noch einmal wöchentlich im sonntäglichen Nachmittagsprogramm gezeigt. Weil auch dies kaum eine Wende brachte, folgte bald die endgültige Einstellung.

«Fleischmann.TV» wurde am 14. Dezember 2003 beerdigt und erreichte ein Alter von 68 Folgen. Die Show hinterließ den Moderator Heinz Strunk, der kurz darauf mit der Veröffentlichung seines Romans «Fleisch ist mein Gemüse» und der zugehörigen Verfilmung zu größerer Bekanntheit gelangte. Zudem spielte er an der Seite von Dirk Stermann und Christoph Grissemann in dessen Kinofilm «Immer nie am Meer» mit und veröffentlichte weitere Bücher (zuletzt „Junge rettet Freund aus Teich“).

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann dem größten Flop von TV-Legende Hans Meiser.

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06.06.2013 11:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/64175
Christian Richter

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Tags

Angel Sanctuary CFG CFG - The Candidate for Goddess Crank Yankers Da Ali G Show Elton.tv Fernsehfriedhof Fleisch ist mein Gemüse Fleischmann.TV Immer nie am Meer South Park TV Total The Candidate for Goddess

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