Jeden Samstagabend öffnet Christian Ulmen die arte-Nervenheilanstalt: In «About:Kate» geht eine 29-jährige Internetsüchtige auf die Suche nach dem eigenen Ich. Eine großartige Serie, die unsere Gewohnheiten hinterfragen lässt, meint unser Kritiker nach Sicht der ersten Folge.
„Im Moment vermisse ich nur mich“, sagt Kate Harff an ihrem ersten Tag in der Nervenklinik. An Silvester hat sich die 29-Jährige eingeliefert, nach der Selbstdiagnose, dass ihr Leben
so nicht weitergehen kann.
So heißt: mit unzähligen virtuellen ‚Freunden‘; mit sinnfreien Partys; mit Zeitverschwendung im Netz; mit einer vermeintlichen Identität, die nicht mehr ihrer eigenen entspricht. Kate weiß nicht mehr, wer sie ist – und geht auf die Selbst-Suche, indem sie ihr altes Ich draußen lässt, vor der Nervenklinik.
Das Besondere an Christian Ulmens neuer Serie «About:Kate» ist, dass ihr Thema uns alle irgendwie betrifft: Wie präsentierten wir uns im Netz? Welche virtuelle Identität bauen wir uns auf, in Facebook, Twitter, in Foren und Blogs, in Kommentaren und bei Produktbewertungen? Was hinter diesen Fragen steht, ist durchaus heikel: Fast täglich gibt es Shitstorms gegen Personen und Firmen, nahezu jeder von uns wurde schon einmal von anderen Netz-Ichs übel beleidigt, vielleicht haben wir uns auch schon für manches geschämt, was wir geschrieben haben. Die eigentliche Frage, die wir uns dann stellen: Sind wir, sind die Menschen, mit denen wir im Netz kommunizieren, in der Realität auch so? Würden die Shitstormer auch von Angesicht zu Angesicht ihre Meinung so äußern, wie sie es im Netz tun?
Das wahre Ich, der wahre Charakter zeigt sich erst im anonymen Netz – so die eine These. Die andere lautet: Das Netz verdirbt unseren Charakter, lässt uns so handeln, wie wir es im zivilen Leben nie tun würden. «About:Kate» entscheidet sich für einen ambivalenten Zwischenweg: Die Serie geht in ihrer Grundprämisse davon aus, dass das, was wir im Netz absondern, gar nicht als (zweite) Identität begreifbar ist; im Internet kann man gar keine Identität sein. Und je mehr man sich dort bewegt, desto mehr verschwindet das eigene Ich im Schleier der Erinnerung. Genauso geht es Protagonistin Kate: Sie weiß nicht, für was sie steht; ihr Leben besteht aus Erinnerungen und Hobbys, die sie auf Facebook versucht, zu einem Ich zusammenzubasteln.
Auf den Zuschauer der ersten «About:Kate»-Folge prasseln zahlreiche Gedankenfetzen von Kate ein: In nahezu jeder Situation hat sie eine Assoziation, oft auch etwas völlig Sinnloses wie ein Youtube-Video. Kate, so erkennen wir, kann sich nicht mehr auf das Hier und Jetzt konzentrieren – sie schwebt mit ihren Gedanken oft immer noch im virtuellen Raum, ergänzt oder manipuliert ihre Realität durch Erinnerungen aus dem Netz.
Und immer wieder fragt man sich selbst beim Anblick dieser Szenen: Geht es mir nicht auch so? Wer von uns kann noch einen abendfüllenden Spielfilm ansehen, ohne zwischendurch bei Facebook reinzuschauen oder das Smartphone zu checken? Wie oft denken wir an etwas anderes, während wir bei der Arbeit sind? Es ist schwer, im permanenten Informations- und Kommunikationsstrom noch für längere Zeit bei einer Sache konzentriert zu bleiben – wir erliegen unserem Gedankenstrom, genauso wie Kate.
«About:Kate» weiß um diesen Umstand, und versucht daran auch nichts zu ändern: Per Second Screen wird der Zuschauer dazu aufgefordert, mit eigenem Smartphone an der Ich-Suche mitzuwirken. Dabei synchronisiert sich die App mit der Serie durch deren Audiosignal. Zu bestimmten Zeitpunkten erhält der Nutzer dann weiterführende Medieninformationen – beispielsweise an einer Stelle, an der über Irrenhäuser geredet wird, mehrere Links zu Filmen mit entsprechendem Thema wie «Shutter Island». Interessanter sind die interaktiven Features der App: Die Zuschauer müssen dann Fragen beantworten; am Ende der jeweiligen Folge erhält man so seine eigene (nicht ganz ernst gemeinte) Diagnose. Dennoch regt Manches zum Nachdenken an: An einer Stelle thematisiert die Serie den sogenannten Spiegeltest, in dem sich Kinder und Affen im Spiegel bis zu einem gewissen Grad wiedererkennen – und damit ein Selbst-Bewusstsein entwickelt haben. Die App stellt dem Zuschauer währenddessen die Frage: „Woran erkennst du, dass du kein Affe bist?“ Die von Nutzern meistgewählte Antwortmöglichkeit ist: „An meinem Spiegelbild“. Aber ist diese Antwort wirklich gehaltvoll, wenn auch Affen sich selbst im Spiegelbild erkennen, wie die Serie währenddessen erklärt? Zwar erkenne ich mich als ich selbst im Spiegelbild – aber was spricht dafür, dass ich dann – sinnbildlich gesprochen – nicht auch ein Affe bin?
Es ist spannend und neu, sich Kates Identitätsreise auf diese Weise zu nähern. Zwar fehlt durch die ständigen Gedankenströme, die die Serie selbst und die begleitende App auslösen, ein immersives Erlebnis. Dieses will «About:Kate» aber eben genau nicht herstellen. Wir sollen nicht, wie bei anderen Serien, aus unserer Realität flüchten, sondern mit ihr in Konfrontation treten – über die Serie. Wir sollen uns selbst, unser (virtuelles) Leben hinterfragen; aus «About:Kate» wird idealerweise ein Trip namens «About:Me».
Abseits dessen bleiben die Schauspieler zu würdigen, die Christian Ulmens Serie zu einem solchen Erlebnis machen. Allen voran Theaterschauspielerin Natalia Belitski, die das identitätslose Mädchen unaufgeregt verkörpert. Ihre Figur ist wunderbar aus dem Leben gegriffen, sodass wir alle ihre Probleme ein stückweit auf uns selbst projizieren können. Ein Lob gebührt auch Erfinderin und Regisseurin Janna Nandzik, durch deren Montage die diffuse Gedanken- und Assoziationsströme von Kate – und von uns – ihre Wirkung voll entfalten.
Auf Facebook ist Kate Harff ein Fan von Leonard Cohen, der jahrzehntelang unter Depressionen litt und diese in seinen und durch seine Lieder verarbeitete. In einer Szene erinnert sich Kate an ihre Jugend, an den Brief von einer (ehemals) besten Freundin. „You know who I am / You've stared at the sun / Well I am the one who loves / Changing from nothing to one”, steht dort geschrieben. Zeilen aus Leonard Cohens “You know who I am”. Zeilen, die für Kate vielleicht mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben.