Mehrere deutsche Filmverbände fordern anlässlich des Deutschen Filmpreises, dass sich die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender stärker zum Kinofilm bekennen. Aber wie schlecht steht es wirklich um die Kooperation zwischen Film und Fernsehen?
Der Kino-Marktanteil des deutschen Films
- 2012: 16,9 Mio. Besucher, 27 Filme in den Top 100, 14,9 % Anteil am Jahresergebnis
- 2011: 23,2 Mio., 22 Filme, 21,3 %
- 2010: 13,1 Mio., 18 Filme, 13,3 %
- 2009: 36,2 Mio., 32 Filme, 26,5 %
- 2008: 26,3 Mio., 22 Filme, 23, 6%
Insidekino.de, FFA
Wenn in Berlin die Filmschaffenden der Republik zusammenkommen, um der Verleihung des Deutschen Filmpreises beizuwohnen, dann ist man rasch geneigt, davon zu sprechen, dass sich die hiesige Kinobranche einen Abend lang selbst feiert. Aber auf dem deutschen Kinomarkt gibt es ausreichend Baustellen, die einer makellosen Feierstimmung im Weg stehen. Eines der Kernprobleme der deutschen Kinobranche spricht pünktlich zur Preisverleihung ein Zusammenschluss mehrerer Filmverbände in einem gemeinsamen Kommuniqué an. Dieses fordert bereits im Titel: „ARD und ZDF müssen sich zum Kinofilm bekennen!“
In der Resolution der Produzentenallianz, des Schauspieler-Verbands, der Kamera- und Drehbuchgilden, des Fördervereins Deutscher Kinderfilm, der Deutschen Filmakademie, derAG Doc, der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, des Bundesverbands Regie sowie der Interessengemeinschaft der unabhängigen deutschen Filmvereine und der ver.di FilmUnion heißt es: „Dem gesetzlichen Auftrag, kulturelle Programmangebote bereit zu stellen, kann nicht dadurch Rechnung getragen werden, dass entsprechende Sendungen in die Nachtstunden oder in Spartenkanäle verlegt werden. Vielmehr haben die Sender […] die Verpflichtung, Information und Kultur so prominent zu präsentieren, dass diese Programmangebote auch breit nutzbar sind.“
Während ARD und ZDF dieser Verpflichtung im Segment der Nachrichten und Information nachkämen, sehen die deutschen Filmverbände ein Defizit in der „Ausstrahlung kulturell ausgewiesener Werke“, insbesondere des deutschen und europäischen Kinofilms. Sie kritisieren eine Kürzung der Sendeplätze in der Primetime und klagen außerdem, dass „Budgets eingefroren bzw. für mehrere Jahre ganz gekappt“ werden. „Investiert wird nur noch in Filme, die rigiden Vorgaben der 'Primetime-Tauglichkeit', einer vorgegebenen Fernsehästhetik und der Erwartung an bestimmte Quoten und Sendelängen entsprechen“, verlautbaren die Verbände in ihrem gemeinsamen Schriftstück. Mit der nachlassenden Finanzierung und der Verbannung kulturell relevanter Filme ins Nachtprogramm gefährdeten die öffentlich-rechtlichen Sender, so fürchten die Filmverbände, die Existenz des deutschen Kinofilms.
Um dieser Entwicklung entgegenzutreten pochen die Kinoverantwortlichen darauf, dass sich ARD und ZDF im Rahmen ihres Kulturauftrages wieder verstärkt dem deutschen und europäischen Kinofilm widmen und ihn wieder als eigene Kunstform betrachten, statt „als im Filmtheater ausgewertete Variante fiktionalen Fernsehens.“ Im Einzelnen fordern die Verfasser des Kommuniqués, dass ARD und ZDF dauerhaft 3,5 Prozent ihrer Gesamthaushalte in Kinofilme investieren (sei es via Co.Produktion, Lizenzerwerb, Filmförderung), dass mindestens 70 Prozent dieses Investments in europäische Filme fließen und Das Erste und ZDF jährlich jeweils mindestens acht Sendetermine von 20.15 Uhr bis 22.15 Uhr sowie zwölf weitere in der späteren Primetime für deutsche Kinoproduktionen frei räumen. Dabei soll die künstlerische Qualität eine höhere Rolle spielen als die zu erwartenden Quoten.
Die Resolution wirbelte innerhalb kürzester Zeit viel Staub auf. So erwidert WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff (Foto), dass 2010 genau so viele Kino-Koproduktionen im Fernsehprogramm platziert wurden wie 2013 und die Mengen somit „in hoher Stückzahl konstant“ seien. Bezüglich der Primetime-Ausstrahlungen äußert sie sich weniger konkret: „Ein Spielfilmplatz in der Hauptsendezeit sollte die bestmögliche Mischung von primetimefähigen Filmen vorsehen“, antwortet von Kulenkampff. Auch ZDF-Programmdirektor Dr. Norbert Himmler weißt die Behauptung von sich, der Sender reduziere sein Engagement für den deutschen Film: „Das ZDF hat seit 2008 die Kinofilmförderung im Gegenteil sogar ausgeweitet. Wir haben mehr Filme mit höheren Beteiligungsquoten gefördert.“ Derweil zitiert Filmproduzent Uli Aselmann («Dreiviertelmond») gegenüber
Deutschlandradio die Fernsehdirektorin des Bayrischen Rundfunks, Bettina Reitz, die sich gegen Kino-Koproduktionen aussprach. Weiter spricht er von Erfahrungen mit der ARD Degeto, die ihr Engagement auf dem Kinomarkt stark zurückfuhr, weil sie eine Vielzahl an Filmen im Archiv liegen habe, die noch nicht zu einer Ausstrahlung gekommen seien.
Aselmann erläutert im Interview mit Deutschlandradio, dass es den Verantwortlichen hinter der Resolution letztendlich darum ginge, eine Qualitätsdiskussion auszulösen. Ein redliches Ziel, gewiss, schließlich wiederholen sich im Feuilleton und unter Fernsehbeobachtern regelmäßig die Vorwürfe, ARD und ZDF hielten zu sehr an seichter Unterhaltung fest, während sie künstlerisch wertvollen Filmen den Rücken zukehren. Seichte Degeto-Filme wie
«Afrika ruft nach dir» lassen sich wöchentlich zur besten Sendezeit bestaunen, während ambitioniertere Projekte mit Degeto-Beteiligung wie «Wüstenblume» nur alle Jubeljahre in der Primetime auftauchen. Vergleicht man das Engagement der öffentlich-rechtlichen im Kinosegment mit dem im Sportsektor, dann fällt ein massives Ungleichgewicht auf. Das ZDF erwarb für rund 50 Millionen Euro pro Saison die Champions-League-Rechte, während ARD und ZDF 2011 zusammengerechnet nur 8,3 Millionen Euro in den Förderungstopf der FFA einzahlten.
Bedenkt man vor diesem Hintergrund, dass sich die Sender zudem, zumindest laut der Filmverbände in die Gestaltung der Filme einmischen, um sie seichter und quotenträchtiger zu machen (ein Vorwurf, über den sich die Sender bislang verdächtig ruhig verhielten), fällt es schwer, der Forderung der Filmverbände keine größere Relevanz zuzusprechen. Problematisch ist allerdings die Weise, mit der sich die Fordernden den öffentlich-rechtlichen Sendern nähern. Statt das Argumentationshauptaugenmerk auf die Qualitätsfrage zu legen, stützen sich die Filmverbände auf den Grundversorgungsvertrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zwar verläuft die plausible Argumentationsstruktur der Resolution „ARD und ZDF haben einen Kulturauftrag zu erfüllen und ohne angemessene Beachtung des deutschen Kinomarkts ist es nahezu unmöglich, dem Rechnung zu tragen“, allerdings impliziert die Wortwahl im Kommuniqué, dass eine Unterstützung von Kinofilmen Teil des Rundfunkstaatsvertrags sei. Eine falsche Behauptung, die in den Medien bereits berechtigte Kritik erntete. Denn selbst wenn es bloß eine Fehldeutung der Resolution ist, so ist sie naheliegend genug, was wiederum verhindern dürfte, dass sich Film und Fernsehen anlässlich dieser Resolution auf Augenhöhe begegnen, um eine Lösung zu erarbeiten.
Doch möglicherweise ist es für solch eine Absprache eh schon zu spät. Denn wenn man Regisseur Thomas Frickel glaubt, so haben die deutschen Fernsehsender eh schon das Sagen über das Kino. In der FAZ sagte Frickel im Februar 2011: „Es gibt kaum eine Förderung, in der die Sender aus ihrer finanziellen Beteiligung nicht erhebliche inhaltliche Ansprüche ableiten würden. Es gibt Länderförderungen, aus denen die Sender für ihre eigenen Projekte mehr Geld herausholen, als sie einzahlen. Und es gibt Länderförderungen, in denen Tochterfirmen öffentlich-rechtlicher Sender im Wettbewerb um die Mittel unabhängige Mitbewerber ausstechen. Kaum ein Fördergremium kommt ohne Fernsehvertreter aus, in kaum einer Förderinstitution hat ein unabhängiges Filmprojekt ohne sicheren Fernsehsendeplatz eine Chance.“ Wäre da eine Einigung, dass ARD und ZDF mehr in Kinofilme investieren, da wirklich eine kluge Entscheidung?