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Der gute, böse Hannibal Lecter

Nach mehreren Kinofilmen macht der kannibalische Psychiater auch das Fernsehen unsicher. Diesmal in der Rolle eines FBI-Helfers, der ein doppeltes Spiel spielt. Unsere Kritik zur Premiere.

Hinter den Kulissen

Die Serie kommt von den ehemaligen Machern des Hits «Heroes», Bryan Fuller und Tim King. Fuller schrieb die Bücher gemeinsam mit Thomas Harris. Tim King ist ausführender Produzent. An seiner Seite arbeiten zudem auch noch Michael Kessler, Loretta Ramos und Carol Dunn Trussell.
Hannibal Lecter isst gern Fleisch, sehr gern. „Ich bereite all meine Mahlzeiten selbst zu“, sagt er in einer Szene der neuen Serie «Hannibal», und reicht seinem Gegenüber eine Tupperdose mit Gebratenem. Dieser, unwissend, greift beherzt zu. „Schmeckt sehr lecker“, sagt er.

Wir alle kennen Dr. Lecter bereits, diesen wahnsinnigen Kannibalen, der bereits in drei großen Kinofilmen von Anthony Hopkins meisterlich verkörpert wurde. Die nun bei NBC gestartete TV-Serie spielt zu jener Zeit, als Lecter noch ganz normaler Bürger der Vereinigten Staaten ist, unverdächtig als Psychiater arbeitend. Die Serie weiß um die popkulturelle Geschichte dieser Figur – und weckt bewusst ekelerregende Assoziationen, wenn der Kannibale Hannibal seine Menüs zubereitet, das Fleisch genüsslich verzehrt.

Die Rolle dieses Mannes ist nicht ganz klar im neuen TV-Format. Er wird von Special Agent Jack Crawford – gespielt von Laurence Fishburne – in einem neuen Fall von Serienmorden engagiert; das FBI tut sich schwer mit einer Spur zum Mörder. Lecter soll psychologische Aufklärungsarbeit leisten, das Motiv des Killers entziffern und seine nächsten Schritte vorausahnen. An seiner Seite ist Will Graham, ein weiterer Soziopath mit einer außergewöhlichen Fähigkeit: Er kann sich in die Gedanken eines Mörders hineinversetzen, ihre Taten im Kopfkino rekonstruieren, als ob sie seine Werke wären.

Der Zuschauer von «Hannibal» erlebt diese Morde mit eigenen und mit Grahams Augen – denn in seiner Gedankenwelt nimmt er selbst die Rolle der Täter ein, so sehr kann er sich in sie hineinversetzen. Per Farbfilter wechselt das Bild zwischen Traum und Realität, spult vor und zurück. Nicht minder visuell beeindruckend: die einsamen, antiseptischen Szenen mit Hannibal Lecter und seiner Vorliebe für gutes „Essen“.

Dass die beiden – Graham und Lecter – zusammenarbeiten müssen, ist kein Zufall: Sehr ähnliche Charaktere treffen hier aufeinander, beide mit einzigartigen Talenten ausgestattet, beide ohne wirklichen Bezug zur sozialen Normalität, beide in einer Welt lebend, die sich nicht ganz mit unserer zu decken scheint. Unterschiede ergeben sich erst im Speziellen: Wenn Graham das Leben eines Opfers zu retten versucht und dabei einen Nervenzusammenbruch erleidet, während Lecter besonnen agiert. Und wenn Lecter den Serienkiller vor dem FBI warnt. Lecter scheint also verstrickt in das mörderische Spiel – und der eigentliche Täter, den das FBI am Ende der ersten Episode ausfindig macht, nur (s)ein Handlanger?

NBC hat sich mit «Hannibal» an ein ehrgeiziges Serienprojekt gewagt, das von einer fortlaufenden Handlung leben soll – im Network-Fernsehen ist dies nicht mehr allzu oft der Fall. Daher soll jede Season der neuen Serie nur 13 Episoden enthalten, um die Story möglichst komprimiert erzählen zu können. Der Auftakt jedenfalls ist gelungen, da sich das Format sehr stark auf die beiden Hauptcharaktere fokussiert, Graham und Lecter. Beide unsympathisch, beide unnahbar und geheimnisvoll. Der Reiz an «Hannibal» liegt in seiner vermeintlichen Reizlosigkeit und den beiden eher untypischen Seriencharakteren, die mit ihren verwandten und doch gegensätzlichen Lebensentwürfen aufeinanderprallen. „Du und ich, wir sind uns einfach ähnlich. Wir haben keine Probleme. Nichts gibt’s über uns, vor dem man sich fürchten müsste“, sagt Lecter in einem skurrilen Einzelgespräch mit Graham.

In einer recht ähnlichen Konstellation macht seit einigen Wochen die Serie «The Following» beim Konkurrenzkanal FOX Schlagzeilen: Hier treffen ebenfalls zwei starke Charakterköpfe aufeinander, zwei gebrochene Figuren mit ihren eigenen Geheimnissen. Auch hier steht ein Serienkiller im Mittelpunkt, der Handlanger für seine Taten benutzt. Der einzige Unterschied: Bei «Hannibal» spielt der vermeintliche Antagonist die Rolle des Agenten und unterstützt seinen Kollegen Graham noch bei dessen Arbeit. Bei «The Following» sind die Rollen klar verteilt; der Agent macht Jagd auf seinen Widersacher und die Komplizen.

Beide Serien rücken zwei sehr interessante Figuren und zwei starke Schauspieler in den Fokus. In «Hannibal» spielt Hugh Dancy seinen Graham hervorragend ausdruckslos und minimalistisch, wie sein Charakter es vorgibt. Umso gewaltiger die Szenen, in der Graham explodiert, wie bei seinem Nervenzusammenbruch. Noch eindrucksvoller spielt Mads Mikkelsen (Le Chiffre in «Casino Royale») den Dr. Hannibal Lecter: mit snobistisch-britischem Akzent, völlig kühl, empathielos analytisch. Der Entwickler hinter der Serie «Hannibal» ist Bryan Fuller, zuletzt Autor bei NBCs «Heroes» und Erfinder des «Munsters»-Remakes, das im Oktober 2012 ausgestrahlt wurde.

Dass «Hannibal» zur Premiere in der vergangenen Woche nicht einmal 4,5 Millionen Zuschauer anlockte, ist nicht allzu überraschend – trotz der prominenten Hauptfigur. Zunächst stellt NBC, wie so oft, ein schwaches Vorprogramm für diese neue Serie, die um 22 Uhr nur vier Prozent der werberelevanten Zuschauer anlockte. Weiterhin dürfte sich die Ähnlichkeit zu «The Following», das bereits viele Fans gewonnen hat, negativ auswirken. Drittens hat NBC das Format falsch vermarktet: In Trailern warb man mit Slogans wie „Feed Your Fear“ (dt. Nähre deine Angst) und lockte mit dem Eindruck eines blutigen Horror-Thrillers. Angst oder Gruselatmosphäre aber weckt diese Premierenfolge kaum; «Hannibal» ist dem Charakterdrama näher als jeder «Saw»-Film. Die unterschwellige Beklommenheit, welche die Kinofilme weckten, fehlt hier (noch). Dass NBC die Serie mit einer innovativen Facebook-Kampagne vermarktet, in der die eigenen virtuellen Freunde zur Delikatesse auf Lecters Menü werden, ist zwar spaßig. Aber auch hier fehlt der Bezug zur wirklichen Identität der Serie, die anders ist als dargestellt. Eine eigene tumblr-Seite mit Drehbüchern, Chats mit der Crew und weiteren Entdeckungen ergänzen die soziale Vernetzung des Formats.

Diese Serie «Hannibal» ist eben nicht ganz, was sie vorgibt zu sein. Genauso wie ihr Hauptcharakter Dr. Lecter. Umso besser für die Zukunft: Es gibt viel zu entdecken in dieser geheimnisvollen Geschichte.
10.04.2013 11:34 Uhr Kurz-URL: qmde.de/63118
Jan Schlüter

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Casino Royale Hannibal Heroes Munsters Saw The Following

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