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Liebes ZDF, zu deinem Fünfzigsten ...

50 Jahre Zweites Deutsches Fernsehen: Bevor der Sender vom Lerchenberg sich mit großen Primetimeshows selbst feiert, möchten wir ihn (in allen Ehren) kritisieren. Denn so gut das Programm sein mag, es darf gerne noch besser werden ...

Trivia über das Geburtstagskind

  • Da der Sendername "Zweites Deutsches Fernsehen" als minderwertig gedeutet wurde, gab es 1962 eine Kampagne für alternative Vorschläge. Darunter: "Neues Deutsches Fernsehen", "Fernsehen Deutscher Länder" und "Deutsches Länderfernsehen".
  • Ehe das ZDF das für den Sender heute so typische Orange für sich entdeckte, dominierte bis in die 90er hinein ein kühles Blau mit gelben Akzenten das On-Air-Design.
  • Die Mainzelmännchen-Truppe besteht aus dem faulen Anton, dem fleißigen Berti, dem musischen Conni, dem schlauen Det, dem schelmischen Edi und dem sportlichen Fritzchen.
Als Fernsehbeobachter, der seine Gedanken auf einer großen Plattform veröffentlicht, ist man, bei Anlässen wie diesem, auf Anhieb zum Scheitern verurteilt. Jemand bekanntes und wichtiges feiert ein großes Jubiläum und man sieht sich mit der Aufgabe vertraut, darüber einen Text zu verfassen? Na großartig. Behandelt man die Schalter und Verwalter der Fernsehwelt wie echte Geburtstagskinder, so bejubelt man den Gratulanten. Preist seine Leistungen, wünscht ihm langes und anhaltendes Wohl. Das freut dann auch den Jubilanten (in diesem Fall das 50 Jahre alt werdende ZDF) – doch es langweilt und verärgert den außenstehenden Leser. Schleimerei wird einem unterstellt, mangelnde kritische Distanz – oder aber man gilt einfach nur als sterbenslangweilig. Journalismus lebt nicht von Positivismus, sondern von Negativismus. „Das ZDF wird 50 und alle haben sich lieb“ ist keine Schlagzeile. „Das ZDF wird 50 und hat mehr Leichen im Keller als Adolf Hitler und außerdem ist der Lerchenberg eine Geheimbasis der mit Atombomben handelnden Illuminaten“ – das schafft es auf die Frontseiten!

Kritik zum Geburtstag führt im realen Leben aber mitunter dazu, dass man nicht zum Partybuffet geladen wird – und der Fernsehbranche schmeckt Stänkerei während einer Feier besonders schlecht. Schnell heißt es dann, man würde alles mies finden. Aber weit gefehlt: Wir Fernsehbeobachter hassen das Fernsehen und seine Macher nicht – wir lieben es. Und deswegen sorgen wir uns um das Fernsehen. Wenn ein guter Freund sich an seinem Geburtstag volllaufen lässt und mit einem Mülleimer auf dem Kopf über die Straße tänzelt, während er „Ich bin ein notgeiler Pupswurm“ singt, dann wären wir ganz schön schlechter Umgang, ihn davon nicht abhalten zu wollen.

Ein Gratulant, der einen feiernden Fernsehsender kritisiert, läuft dennoch Gefahr, als Spielverderber missverstanden zu werden. Vielleicht fehlt einfach bloß die persönliche Komponente, das Gefühl der zwischenmenschlichen Kommunikation? Nun, dann versuchen wir es mal auf diesem Weg: Hallo, liebes ZDF. Ich bin es, Sidney. Einer deiner Zuschauer. Ich finde dich toll. Doch du kannst noch toller werden. Manche würden mich nun für diese Form der Beschwerde davonjagen. Aber du, liebes ZDF, wirst diese konstruktive Kritik sicher zu verstehen wissen. Immerhin hast du deinen eigenen Geburtstag mit einer «ZDFlogin»-Folge bei ZDFinfo gefeiert, in der Zuschauer, Fernsehmacher und Stefan Niggemeier, der George Clooney des deutschen Medienjournalismus, an dir rummäkeln durften.Und in der Sitcom «Lerchenberg» willst du dich ebenfalls durch den Kakao ziehen lassen. Also hoffe ich, dass du meine kleine Unterredung mit dir nicht so verstehst, als gäbe es nichts Lobenswertes bei dir.
 
Fangen wir doch bei den kleineren Baustellen an. Du bist zu sehr erleuchtenden, anspruchsvollen Dokumentationen fähig. Wieso aber laufen dienstags zur besten Sendezeit unter der Marke «ZDFzeit» zumeist oberflächliche, vorsichtige Wissensfilmchen, die weder zur Unterhaltung taugen noch engagierende Informationsquellen sind? «Terra X» trifft zwar auch nicht Woche für Woche voll ins Schwarze, hat aber alles in allem ein beachtliches Niveau aufzuweisen. Das kann ja wohl auch unter der Woche um 20.15 Uhr möglich sein – und wie «Terra X» zeigt, müssen unter höherem Anspruch keineswegs die Quoten leiden.
 
Und da wir eh schon von Sendeterminen reden: Wieso landen zahlreiche, prominente US-Spielfilme gerne sogar bei ihrer Free-TV-Premiere auf absurden Sendeplätzen? Gewiss, die Privaten sind zur besten Sendezeit schwer zu schlagen, aber mit dem idealen Programm gelingt es dir, liebes ZDF, gerne Mal. Ein «Batman Begins» muss nicht montags um 22.15 Uhr seine frei empfangbare Deutschlandpremiere feiern – gegen zwei Blockbuster-Wiederholungen bei RTL und ProSieben würde es auch am Wochenende um 20.15 Uhr funktionieren.
 
Ich muss allerdings zugeben, dass diese Beschwerde hinsichtlich der Blockbuster vermessen ist, bedenkt man, wie es den US-Serien in deinem Hauptprogramm ergeht. Selbstredend ist die Balance zwischen Novitäten für die Digitalkanäle und prestigeträchtigem Futter für den großen Sender schwer zu halten. Doch was suchen Kritiker- und Publikumshits wie «Mad Men» oder «Boardwalk Empire» bei ZDFneo? Sie sind, wie ihr massiver US-Erfolg beweist, nicht zu schräg, zu kompliziert oder zu anarchisch für ein großes Publikum und auch nicht ausschließlich auf junge, frech-intelligente Zuschauer ausgerichtet. Deshalb muss man sie nicht zwischen den hervorragenden, aber kaum mit dem Hauptprogramm kompatiblen Reportagen aus den genialen Reihen «Wild Germany» oder «Herr Eppert sucht …» platzieren. Bei «ZDFlogin» klagte Intendant Thomas Bellut, er würde gerne «The Big Bang Theory» zeigen, doch die Privatsender würden ihm solche Formate immer wegschnappen. Was hindert dich, liebes ZDF, aber daran, die Serien, die du besitzt, zu packen und dann einen der zahlreichen Krimi- und Kitschfilmabende für einen US-Serienabend voller Anspruch, Prestige und High-Quality-Entertainment freizuräumen? So finden vielleicht auch Fernsehende zu diesen Serienstoffen, die sie nicht bereits aus dem Netz kennen – was wiederum bessere Quoten nach sich ziehen sollte.

Dass ich dich somit, auf Umwegen, darum bitte, künftig auf ein paar Krimiserien zu verzichten (muss «SOKO» mehr Ableger als «CSI» haben, braucht es neben den «Rosenheim-Cops» auch die hier abgebildeten «Garmisch-Cops»?), soll kein Angriff auf deine Krimi-Kompetenzen sein. Allerdings würde man die Krimiserien mehr schätzen, würden sie den Markt nicht derart überfluten. Die somit gewonnenen Sendeplätze kann man nicht nur an US-Serien vergeben, sondern auch an deutsche Eigenproduktionen. Hierzulande fehlt (angeblich?) das Geld für regelmäßige, aufwändige Mystery- und Sci-Fi-Serien, jedoch stemmen RTL und action concept mit «Alarm für Cobra 11» seit vielen Jahren eine kostspielige Actionserie. So etwas kann man (mit längerer Entwicklungszeit für die Drehbücher) vielleicht auch mit mehr Anspruch auf die Beine stellen? Und wenn es finanziell risikoarmer sein soll, dann entwickle doch nach «Lerchenberg» ein oder zwei Sitcoms, liebes ZDF!
 
Möglicherweise trägt diese Weiterentwicklung des seit Jahren begrüßenswerten Comedy-Booms im ZDF-Programm («heute-show», «Neues aus der Anstalt», …) auch zur von dir selbst begehrten Verjüngung des Publikums bei. Mit 60 bis 61 Jahren ist dein durchschnittlicher Zuschauer nicht gerade taufrisch, und auch wenn es legitim ist, wenn Menschen jenseits der 60 eine televisionäre Zuflucht haben, so ist es auf Dauer erbaulicher, wenn du auch jüngere Fernsehnutzer abholst. Derzeit gelingt dir dies am besten mit König Fußball – und so schön es für dich auch ist, wenn die Champions League dich zum Tagessieger macht … Muss das sein? Brauchst du dringend die Quoten und den Ruhm, den du dir teuer mit Fußballrechten erkaufst? Mit dem Geld, das in diese Fußballpartien fließt, könntest du sicher zehn oder zwölf Mal Joko und Klaas bezahlen. Somit wären sie in der ZDF-Familie geblieben und dein Intendant müsste bei «ZDFlogin» nicht klagen, ProSieben hätte sie weggekauft.
 
Fußball ist in Deutschland Teil der medialen Grundversorgung. Deshalb sagt niemand was gegen das «Aktuelle Sportstudio». Und EM- und WM-Berichterstattungen dürfen wieder gerne teurer und näher am Geschehen sein – allerdings könntest du dir mit den Ersparnissen aus anderen Fußballrechten endlich wieder mehr Sendergesichter heranzüchten. Nicht nur die Kohle für Joko und Klaas wäre dann da, du hättest mit all dem Geld garantiert auch einen renommierten Streitschlichter ans Set von «Roche & Böhmermann» fliegen lassen können. Die Digitalkanäle sind großartige Talentschmieden, allerdings züchtest du Talente für andere Senderfamilien. Dabei brauchst du selbst einen Zustrom an Sendergesichtern. Markus Lanz in allen Ehren, von ihm abgesehen fehlt es dir an großen Showmoderatoren. Und es ist immer unklug, alles auf nur eine Karte zu setzen. Du möchtest doch nicht in die Bredrouille kommen, die ProSieben drohen würde, wenn Stefan Raab von heute auf morgen beschließt, die Fernsehkameras zu meiden und auf Weltreise zu gehen. Sehen wir es ein: Ein Sender, den Jörg Pilawa verlässt, hat arge Probleme. Erst recht, wenn er mehrere Primetimeshows mit ihm im Programm hat.

Also, liebes ZDF: Schnapp dir an deinem Ehrentag nicht nur ein paar Flaschen mit hochprozentigem Inhalt, sondern auch ein paar deiner Kumpels und bau Brücken in eine noch bessere Zukunft. Ich gönn's dir. Trotz all meiner Meckereien!
27.03.2013 08:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/62875
Sidney Schering

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