15 Jahre nach «Das Fest» liefert Thomas Vinterberg erneut ein hochklassiges, beklemmendes Drama.
Filmfacts «Die Jagd»
- Kinostart: 28. März 2013
- Genre: Drama
- Laufzeit: 115 Min.
- FSK: 12
- Kamera: Charlotte Bruus Christensen
- Musik: Nikolaj Egelund
- Autor: Tobias Lindholm, Thomas Vinterberg
- Regie: Thomas Vinterberg
- Darsteller: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Annika Wedderkopp, Lasse Fogelstrøm, Susse Wold u.a.
- OT: Jagten (DK/S 2012)
Das dänische Kino genießt bereits seit längerem einen besonderen Status, nicht nur im europäischen, sondern auch im weltweiten Vergleich. Nachdem Dänemark bereits in den Anfangsjahren des noch jungen Mediums Film eine Vorreiterstellung im europäischen Raum einnehmen konnte, in der Folgezeit jedoch an Bedeutung verlor, gaben schließlich vor allem die 80er und 90er Jahre einen bedeutenden und noch heute spürbaren Impuls für die Entwicklung und die Anerkennung des modernen dänischen Films über dessen Ländergrenzen hinaus. Regisseure wie Bille August («Nachtzug nach Lissabon»), Lars von Trier («Melancholia») und Thomas Vinterberg («Dear Wendy») konnten nach ihren vielversprechenden Anfängen in ihrem Heimatland letztlich auch mit internationalen Produktionen zum Teil beachtliche Erfolge feiern.
Die beiden Letztgenannten gehörten auch zu denjenigen dänischen Filmemachern, die Mitte der 90er Jahre die so genannte Dogma-Bewegung ins Leben gerufen hatten, welche mit ihren selbst auferlegten Regeln für ein besonders minimalistisches und somit möglichst authentisches Filmen für viel Aufsehen sorgte. Eines der bemerkenswertesten Werke aus dieser Zeit ist wohl nach wie vor der erste Dogma-Film «Das Fest» (1998) von Thomas Vinterberg. Nun, fast 15 Jahre später, beweist Vinterberg mit seinem neuen Film «Die Jagd», dass er es, auch ohne Rücksicht auf die weitestgehend fallen gelassenen Dogma-Regularien, keineswegs verlernt hat, überaus lebensnahe und schwere Themen ansprechende Dramen zu drehen, die an die Nieren gehen.
«Die Jagd» erzählt von dem geschiedenen Lehrer Lucas (Mads Mikkelsen), der, nachdem er vor einiger Zeit seinen Job verloren hat, nun in einem kleinen dänischen Dorf als Kindergarten-Erzieher arbeitet. Dort ist er sowohl bei seinen Kollegen als auch bei den Kindern sehr beliebt. Besonders die kleine Klara (Annika Wedderkopp), die Tochter von Lucas’ bestem Freund Theo (Thomas Bo Larsen), scheint für ihn gar eine kindliche Liebe zu hegen. Als Lucas dies mitbekommt und Klara ihm obendrein aus heiterem Himmel einen kleinen Kuss auf den Mund gibt, belehrt der Erzieher das Mädchen darüber, dass sie so etwas nur bei ihren Eltern tun sollte. Aus Trotz über diese Zurückweisung erzählt Klara daraufhin wenig später der Leiterin des Kindergartens, dass Lucas sich vor ihr entblößt habe. Ohne sich wirklich über die Bedeutung ihrer Worte im Klaren zu sein, tritt sie mit ihrer kleinen Lüge einen Aufruhr los, der schon bald verheerende Ausmaße annimmt.
Thomas Vinterberg hat sich mit «Die Jagd» erneut einer heiklen und bedeutenden Thematik gewidmet, deren Tragweite er versucht mit einer komplexen Herangehensweise gerecht zu werden. Auf der einen Seite herrscht zweifellos Verständnis für die aufgebrachte Stimmung in der Dorfgemeinschaft angesichts der sensiblen und ernst zu nehmenden Problematik des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Auf der anderen Seite schildert Vinterberg jedoch auch die erschreckenden Folgen, die vorschnell aufgrund einer vereinzelten vagen Aussage gefällte Urteile sowie die sich daraufhin in Windeseile entwickelnde und bald einer Hexenjagd gleichende Gruppendynamik nach sich ziehen können. In diesem Spannungsfeld baut Vinterberg eine äußerst beklemmende Atmosphäre innerhalb des nach außen so idyllisch wirkenden Dorflebens auf.
Gerade weil der Zuschauer um die Unschuld des Protagonisten weiß, ist der Umstand, dass sich seine Mitmenschen zunehmend geschlossen gegen ihn wenden, oftmals kaum auszuhalten. Die schweren Anschuldigungen gegen Lucas verselbständigen sich fast schon und verbreiten sich wie ein Lauffeuer im Dorf. Unter dessen Anwohnern besteht so schon bald kein Zweifel mehr an Lucas’ vermeintlichen Taten, was sie ihm gegenüber auf immer explizitere Art deutlich machen. Seine intensive Wirkung verdankt «Die Jagd» nicht zuletzt auch seinem großartigen Hauptdarsteller Mads Mikkelsen («Adams Äpfel», «James Bond: Casino Royale»), der mit einem nuancierten Spiel die Gefühlslage seiner Figur mit Bravour illustriert und dafür völlig zurecht als Bester Schauspieler bei den letzten Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet worden ist.
Mikkelsen lässt den Zuschauer stets eindringlich an Lucas’ Innenleben teilhaben, von seiner ausgelassenen Freude zu Beginn, über das Pendeln zwischen bemühter Gefasstheit und Hilflosigkeit ob seiner ausweglos scheinenden Lage bis zu einigen regelrecht verzweifelten Gefühlsausbrüchen. Inmitten der insgesamt durchweg überzeugenden Darstellerriege bleibt ansonsten vor allem auch Thomas Bo Larsen («Das Fest», «Ambulance») besonders im Gedächtnis, der seine hin und her gerissene Rolle als Vater der kleinen Klara und bester Freund von Lucas mit einer einnehmenden Präsenz zu versehen weiß.
Mit «Die Jagd» schuf Thomas Vinterberg alles in allem ein ungemein packendes und zugleich oftmals schwer zu ertragendes Drama, das seinem großartigen Dogma-Film «Das Fest» in nichts nachsteht. Die unbequeme Intensität und zunehmende Anspannung der geschilderten Ereignisse entfalten gerade im Kontrast mit der äußerst gemächlichen, immer wieder auch mit malerischen Naturaufnahmen angereicherten Inszenierung ihre volle Wirkung. Mal völlig ohne Worte, mal in überaus fesselnden Dialogen und immer unterstützt durch seinen ausgezeichneten Hauptdarsteller Mads Mikkelsen fordert Vinterberg mit seinen aufgeworfenen und ungelösten Fragen sowie gezielten Denkanstößen sein Publikum zur eingängigen Reflexion über die von ihm angesprochenen, gewichtigen Themen auf. So wirkt «Die Jagd» auch noch lange über den unbedingt zu empfehlenden Kinobesuch hinaus nach.
«Die Jagd» ist ab dem 28. März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.