Die Sendung vom vergangenen Sonntag war ein journalistisches Desaster. Julian Miller erklärt in seiner Kolumne, warum.
Es ist nicht nur der ubiquitäre Boulevard, der «Günther Jauch» so oft zu einer Farce auf den Polit-Talk werden lässt. Das Problem ist nicht nur, dass man bei der Gästeauswahl häufig eher darauf Wert legt, dass die eingeladenen Personen einer möglichst breiten Öffentlichkeit bekannt sind, als dass sie auf dem besprochenen Themengebiet ein gewisses Renommee haben oder in dieser Hinsicht jemals durch ein Mindestmaß an Kompetenz aufgefallen wären. Das Problem sind nicht einmal die oft banalen Einspieler, die meist die Komplexität des Themas der Woche völlig außer Acht lassen.
Es ist hauptsächlich die fehlende Haltung der Sendung.
Bezeichnenderweise ist Günther Jauch in «Günther Jauch» dann am besten, wenn er in der Sendung gerade einmal nicht stattfindet. Sicherlich ein hartes Urteil. Aber die Sendung vom vergangenen Sonntag zum Thema „Kinder, Steuer, Ehe – Gleiches Recht für Homosexuelle“ lässt keinen anderen Schluss zu.
Neben dem homosexuellen Familienvater Thomas Welter, dem konservativen FAZ-Redakteur Reinhard Müller mit seinem Leitmotiv von Papa, Mama und ein paar Kindern, dem offen homosexuell lebenden CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Kaufmann und dem SPD-Mitglied Henning Scharf, dessen lesbische Tochter ein Kind großzieht, nahm auch die CDU-Politikerin Katherina Reiche an der Diskussion teil. Von ihr kamen die Aussagen, die einen am fassungslosesten gemacht haben.
Ihre Argumentation, weswegen sie das Ehegattensplitting sowie das volle Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ablehnt: „Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass unsere Generationenfolge bestehen bleibt.“ Und weiter: „Mann und Frau sollen sich dafür entscheiden, Kinder in die Welt zu setzen. Und sie werden sich nicht dazu entscheiden, Kinder in die Welt zu setzen, wenn die Politik das Signal sendet: 'Es ist alles egal.' Nein, es ist nicht alles egal. Wenn Mann und Frau sich zusammentun, wo wir als eine schrumpfende Gesellschaft sind, wo es nicht einfach ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen […], wenn dann noch kommt: 'Es ist uns egal, wie ihr lebt', senden wir ein falsches Signal.“
Man hätte ihr nach einem derart dämlichen Redeschwall viele Fragen stellen können: Nämlich ob sie ernsthaft der Ansicht ist, dass auch nur ein Kind weniger geboren werden würde, wenn man das Ehegattensplitting auch auf homosexuelle Eltern erweiterte. Und es lassen sich sogar noch schlimmere Dinge aus Reiches Aussagen ableiten: Schließlich sieht sie in der erweiterten Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften nicht nur die „Privilegierung von Ehe und Familie“ in Gefahr, sondern auch den Fortbestand Deutschlands. Sofern diese Äußerungen Sinn ergeben sollen, muss Reiche der Meinung sein, dass es richtig wäre, homosexuellen Menschen durch staatliche Anreize eine heterosexuelle Ehe schmackhaft zu machen, da es sonst, gelinde gesagt, Blödsinn wäre, die Ehe zwischen Mann und Frau gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensformen zu privilegieren. Dass allein die Vorstellung, Homosexuelle zur Heterosexualität zu „konvertieren“, lebensfremd und aus psychologischer Sicht vollkommener Unsinn ist, sei hier nur am Rande erwähnt.
Glücklicherweise haben die Mitdiskutanten ihr in dieser Richtung durchaus ein paar Fragen gestellt. Nur leider nicht der Moderator. Und da sind wir beim Hauptproblem der Sendung: der fehlenden Haltung von «Günther Jauch» und Günther Jauch zu seinen Gästen und dem Thema der Woche.
Stattdessen bietet er Leuten wie Katherine Reiche und ihrem einzigen Unterstützer Reinhard Müller eine viel gesehene Plattform, um ganz offen zu sagen, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen und „Ehe und Familie“ unterschiedliche Dinge seien, die der Staat auch als solche zu behandeln hat. Gleiches Recht für alle, nur nicht für schwule Eltern, denn das ist ja etwas anderes als heterosexuelle Eltern. Dumme wie reaktionäre Statements, die in einer offenen Gesellschaft, als die sich Deutschland immer so gerne rühmt, eigentlich nichts mehr verloren haben. Auf intellektueller Ebene war der blanke Hohn spätestens dann erreicht, als Reiche wieder ihr Schlagwort der „Privilegierung von Ehe und Familie“ auspacken und erneut ausführen durfte, weswegen sie das volle Adoptionsrecht und das Ehegattensplitting für homosexuelle Lebensgemeinschaften nicht befürworte, und dann süffisant betonte, sie würde Homosexuelle nicht diskriminieren. Ein Widerspruch in sich, den jeder drittklassige Lokalradiomoderator als solchen hätte enttarnen können. Günther Jauch tat es leider nicht.
Andreas Zaik, Chefredakteur der Talk-Show, ist in der Vergangenheit nach einer ähnlich missglückten Sendung schon einmal negativ aufgefallen, als er betonte, dass es keine „allgemeingültige Wahrheit“ gäbe, bzw. es die Aufgabe von «Günther Jauch» sei, unterschiedliche Positionen „in ihrer Widersprüchlichkeit zuzulassen“. Derartige Behauptungen resultieren aus dem verbreiteten Irrglauben, dass es zu jeder Position zwei gleich valide, entgegengesetzte Ansichten gäbe. Die weitere Konsequenz daraus: Stehenlassen, statt kritisch nachzuhaken. Anbiedern, statt anecken. Pseudo-Fragen statt wirklich kritischen Fragen, durch die man in die Gefahr käme, einen Gast durch die Vorführung der Wirren seiner Argumentation auch einmal in angemessener, weil fachlicher Weise zu demontieren.
Wo dieses forcierte Stehenlassen der Widersprüche hinführen kann, hat man auf eine besonders krasse Art am Schluss der Homo-Ehe-Sendung gesehen, als Jauch neben Zuschauermails, die das Ehegattensplitting und das volle Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare befürwortet haben, auch eine solche vorlas, die man mit Schwulenschelte noch gelinde umschreibt. Da wurde in seiner Widersprüchlichkeit zugelassen, was eigentlich in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft gar nicht mehr tragfähig ist.
Und das ist nicht nur schlechter Journalismus, sondern sogar bedenklich.