Margot und Lou führen eine langweilige, aber glückliche Ehe – bis Daniel ins Haus gegenüber zieht.
Walzer ist ein langsamer Tanz im Dreiviertel-Takt. Und Walzer ist ein Partnertanz. Wenn auch ein nicht immer ganz so fröhlicher. Der kanadische Sänger Leonard Cohen sang 1988 in seinem Song „Take This Waltz“ von einem recht schmerzhaften Walzer: „Nimm diesen Walzer, nimm seine zerbrochene Taille in deine Hand“ heißt es darin. Und weiter: „Nimm diesen Walzer, er liegt schon seit Jahren im Sterben.“
Schauspielerin («eXistenZ», «Dawn of the Dead») und Regisseurin («An ihrer Seite») Sarah Polley wählte das Lied als Titelsong für ihr gleichnamiges Ehedrama. Ganz so schwermütig wie Cohens Song ist ihr Film zwar nicht ausgefallen. Kitschig-süß wie in vielen anderen Romanzen ist ihr Werk aber glücklicherweise auch nicht geworden.
Margot (Michelle Williams), 28, ist glücklich verheiratet mit Kochbuchautor Lou (Seth Rogen). Denkt sie. Bis sie im Flugzeug auf Lebenskünstler Daniel (Luke Kirby) trifft, der sich als aufmerksamer Nachbar entpuppt – und sie plötzlich nicht mehr weiß, was sie denken und fühlen soll. Als sich dann noch herausstellt, dass Daniel schräg gegenüber wohnt, treffen sie sich häufiger.
Wie Diebe stehlen sie sich gemeinsame Momente aus dem märchenhaften Sommer in Toronto und bald steht Margot vor einer wichtigen Frage: Soll sie an der Geborgenheit des Gewohnten festhalten oder dem Kitzel des Neuen nachgeben?
Manche Ehen halten ein Leben lang. Andere zerbrechen. So ist das eben. Ändern kann das niemand. Auch Sarah Polley nicht. Aber sie will es auch gar nicht. Sie möchte uns einfach den Werdegang einer jungen Frau zeigen, die sich zwischen zwei Männern entscheiden muss. Ganz ohne erhobenen Zeigefinger und Verurteilungen. Und dieser Blickwinkel ermöglicht dem Zuschauer einen authentischen, ungeschönten und verständlichen Zugang zum Thema.
Die Charaktere, die Polley ins Drehbuch schrieb, sind alle greifbar. Sie handeln und leben klar und nachvollziehbar. Margots und Lous Liebeserklärungen bestehen darin, sich immer neue absurde Tötungsmöglichkeiten für die bessere Hälfte auszudenken. Lou ist Kochbuchautor für Hühnchengerichte, neue Rezepte werden mit Familienpartys zelebriert. Margot schreibt – etwas erfolgloser – Broschüren für Ausflugsorte. Alles läuft zwar in gewohnten Bahnen, aber beide scheinen glücklich. Bis ein neuer Nachbar einzieht.
Ab da gerät Margots Leben aus den Fugen. Die Beziehung zu Lou wird in Frage gestellt. Die ganzen Chicken Wings hat sie eigentlich schon lange satt, das Gewohnte ist plötzlich nicht mehr gut genug. Diese allmähliche Gefühlsschwankung bringt Michelle Williams («My Week with Marylin», «Blue Valentine») intensiv hervor. Sie ist innerlich zerrissen, da sie weder Lou verletzen noch Nachbar Daniel abservieren möchte. Sie liebt Lou, will aber etwas Neues, Aufregendes erleben. Und obwohl wir wissen, dass ein Ehebruch die schlimmste Option ist, fühlen wir mit der jungen Frau, wünschen ihr etwas „Besseres“. Das ist besonders mitreißend, weil Seth Rogen («Green Hornet», «Ananas Express») als Lou endlich einmal zeigt, dass er mehr kann als Rumblödeln. Er ist ein ruhiger, gemütlicher Mensch – und somit das komplette Gegenteil von Daniel.
In unaufgeregten Bildern hält Polley das Beziehungs- und Gefühlschaos fest. Die Kamera wirkt wie ein unparteiischer Begleiter und nimmt nur das auf, was sich vor ihr abspielt. Und so traurig das Szenario auch klingt, hält es einige humorvolle Momente bereit. Etwa wenn Margot mit ihrer Schwägerin Geraldine zur Wassergymnastik geht und ins Becken pinkelt. Oder wenn Margot und Lou ausgerechnet von Daniel in einer Rikscha (!) an ihrem Hochzeitstag zum Restaurant gefahren werden. Das ist leiser und schöner Humor, der unaufdringlich daherkommt. Eine der erotischsten Szenen stellt das Treffen zwischen Margot und Daniel in einer Bar dar, während die wohl melancholischste in einem Kirmesfahrgeschäft spielt. Zu den Klängen von „Video Killed The Radiostar“ dreht Margot in schillernden Discofarben einsam ihre Runden. Sie lächelt, hat Spaß, ihr Leben ist bunter geworden – bis die Musik plötzlich abrupt endet, das Licht angeht und die Jahrmarktattraktion ihr hässliches, kaltes Grau zeigt. Margot hat ein neues Leben. Aber ob es wirklich ein schöneres ist?
Sarah Polleys «Take This Waltz» ist keine der vielen typischen Hollywood-Romanzen, sondern die emotionale Geschichte einer Ehefrau, die zwischen zwei Männern steht. Kitsch und Happy End haben hier genauso wenig verloren wie überagierende Teeniedarsteller. Michelle Williams überzeugt auf ganzer Linie und trägt neben Polley am meisten zum Gelingen dieses tollen, bittersüßen Films bei. Ein Werk wie ein Walzer: Langsam und ruhig, aber sehr gefühlsbetont.
«Take This Waltz» startet am 7. März in den deutschen Kinos.