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Macht RTLs Zielgruppenerweiterung Sinn?

Wir prüfen den Demografiewandel in Deutschland als ausschlaggebenden Grund für die Neudefinierung der Zielgruppe.

Es war nicht viel mehr als ein Akt sich ins bessere Licht zu rücken, als ABC im Jahr 1957 die „werberelevante Zielgruppe“ erfand, um gegenüber CBS und NBC besser dazustehen. In Deutschland prägte den Begriff Anfang der 90er-Jahre RTL-Television-Programmdirektor Helmut Thoma und bezog sich anders als in den USA, die sich auf die 18- bis 49-jährigen konzentrieren, auf die 14- bis 49-jährigen. Von dieser Altersgruppe wird ausgegangen, dass sie für die Werbewirtschaft wichtiger ist, da sie über eine höhere Kaufkraft verfügt und in ihrem Konsum flexibler sei als ältere Menschen.

Auch in diesem Fall sei es mehr ein „wunderbarer Vermarktungstrick“ für den eigenen Sender gewesen, wie sogar RTL-Vermarktungschef Uli Bellieno noch 2008 sagte. Nun ist die werberelevante Zielgruppe eine feste Größe zur Planung von Werbekosten im Fernsehen. Die Mediengruppe RTL Deutschland, bestehend aus VOX, Super RTL, N-TV, RTL Nitro, RTL II und eben RTL selbst, hat ihre individuelle Zielgruppe nun erweitert, setzt ihren Fokus nun auf die 14- bis 59-jährigen Fernsehzuschauer. Die Idee hierzu stammt ursprünglich übrigens von Sky, das schon seit Monaten auf diese Gruppe setzt. Begründet wird dies seitens RTL nun mit dem demografischen Wandel in deutschen Landen. Die Mediengruppe argumentiert, dass mit der bisherigen Zielgruppe weniger als die Hälfte der Bundesbürger Beachtung fänden. Doch wie entwickelt sich die Demografie-Struktur in Deutschland tatsächlich und ist eine Umstellung nötig sowie sinnvoll?

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Bevölkerungsstruktur in Deutschland erheblich geändert. Wie allgemein bekannt ist, bringt die deutsche Durchschnittsfrau (vor 1990 in den alten Bundesländern) 1,4 Kinder zur Welt, womit wiederum weniger Frauen im gebärfähigen Alter Kinder kriegen können. Laut Erhebungen des statistischen Bundesamts wurden 1990 noch 0,91 Millionen Kinder geboren, nur noch 0,68 Millionen waren es hingegen 2010. Zur Bestandserhaltung der Bevölkerung wären allerdings 2,1 Kinder pro Frau notwendig. Es sterben also mehr Menschen als dass Menschen geboren werden, während die Lebenserwartung steigt. Ein neugeborener Junge kann mit 75,9 Lebensjahren rechnen, während die Lebenserwartung eines deutschen Mädchens 81,5 Jahre beträgt.

Diese Entwicklung schlägt sich natürlich auch in der jüngeren Bevölkerung nieder, welche metaphorisch in einen demografischen Herbst gelangt ist. Der demografische Baum Deutschlands ist innerhalb des zurückliegenden Jahrhunderts von einem gesunden Nadelbaum zu einem etwas zerrupftem, oder gar einem Laubbaum geworden. Vor zwanzig Jahren betrug der Anteil der unter 20- Jährigen noch 21,7 Prozent, 2010 hingegen waren es nur noch 18,4 Prozent. Selbst die Gruppe der 20- bis 60-Jährigen nahm um 2,6 Prozentwerte ab. Die Gesamtbevölkerung in diesem Zeitraum wuchs jedoch, da der Anteil der über 60- Jährigen um satte sechs Prozent zulegte.

Doch wie schlägt sich dieser Trend im Vergleich zwischen neuer und alter Zielgruppe nieder? In einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes wird klar, dass der Sender durchaus eine Berechtigung für die neue Definition hat. Denn in Hochrechnungen von 2006 beträgt 2010 in der Altersgruppe von 20 bis 50 Jahren der Anteil an der Gesamtbevölkerung 40,9 Prozent. Auch wenn damit die verhältnismäßig kleine Gruppe der 14- bis 19- Jährigen außen vor gelassen wird, sprechen die Zahlen tatsächlich für diese Argumentation. Denn nach aktuelleren Zahlen des Jahres 2009 würde eine Zielgruppe von 20 bis 60 Jahren bereits 55,7 Prozent der Bundesbürger ausmachen. Dieser Wert gewinnt so an Aussagekraft, scheint also einleuchtender als sich mit knapp der Hälfte der Gesamtbevölkerung zu befassen.

Eine Erweiterung der Zielgruppe in Richtung der älteren Bundesbürger macht somit Sinn. Auch das Argument der kaufkräftigeren Jungbevölkerung scheint längst entkräftet. In einer GfK-Tagung 2005 betrug die Kaufkraft von 14-bis 49-jährigen pro Person und Jahr durchschnittlich 19 131 Euro, während die 50-bis 59-jährigen auf 24008 Euro kamen und Menschen ab 60 mit 19892 Euro auch besser dastanden. Des Weiteren übertrumpften die älteren die Menschen zwischen 14 und 49 in Sachen Geldvermögen pro Haushalt. 50- bis 59-jährige besäßen nämlich im Durchschnitt 61000 Euro, Leute ab 60 32000 Euro, während die bisher Umworbenen in der Erhebung ‚nur‘ auf 23000 Euro kamen. Der Wertewandel mit dem zunehmenden Drang der Selbstverwirklichung läuft auch der ursprünglichen Meinung des festgelegten und starren Konsums alter Menschen entgegen.

Helmut Thoma hat damit schon in einem Interview mit dem Spiegel vor fünf Jahren Recht gehabt, als er sagte: „Die Macht der 14- bis 49-Jährigen geht zu Ende." Die konsumkräftigsten Bürger kommen tatsächlich aus der Altersgruppe, um die RTL seine Zielgruppe erweiterte. Allerdings ist fraglich, ob die Altersgrenze für die Werberelevanten bei 59 Lebensjahren liegen sollte. Denn nur die Gruppe der über 65-jährigen nimmt langfristig zu, während der Bereich der 50- bis 65-jährigen bereits wieder schrumpft. Deswegen könnte es sein, dass RTL bald wieder in die Verlegenheit gerät, seine Zielgruppe zu erweitern, was zu einigen statistischen Verwirrungen führen könnte.


04.03.2013 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/62438
Timo Nöthling und Patricia Schätzler

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