Ein ehemaliger Soldat trifft auf den „Master“, der eine eigene Glaubensgemeinschaft gegründet hat.
Da staunte die Filmwelt nicht schlecht, als sich Joaquin Phoenix vor drei Jahren mit Vollbart auf einer Bühne präsentierte und rappte. Hatte der Schauspieler genug vom Filmbusiness? Was war in ihn gefahren? Auch in einer US-Talkshow zeigte sich Phoenix nicht von seiner charmantesten Seite. Er pöbelte, brachte das Publikum gegen sich auf und sorgte für Schlagzeilen. Offenbar hatte er den Verstand verloren.
Den Grund für dieses skandalöse Verhalten lieferte im vorletzten Jahr die Pseudo-Dokumentation «I’m Still Here» von Casey Affleck. Der hatte seinen Kumpel bei dessen (fingierten) Eskapaden mit der Kamera begleitet und daraus eine Mockumentary geschnitten. Für Phoenix sollte das Projekt nach dem Absturz einer großen Karriere der erhoffte Neustart werden. Und tatsächlich: In «The Master» liefert der 38-jährige eine Meisterleistung ab.
Als Ex-Soldat Freddie (Joaquin Phoenix) den charismatischen Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) kennenlernt, ändert sich sein Leben schlagartig. Bisher ertränkte der heimgekehrte Kriegsveteran seine innere Leere mit Alkohol und Frauen, aber durch Dodd findet Freddie wieder Halt im Leben: Der selbsternannte Philosoph hat eine eigene, rasch wachsende Glaubensgemeinschaft gegründet und wird von seinen Anhängern nur „The Master“ genannt.
Der labile Freddie ist fasziniert von seinen Lehren und steigt zu Dodds rechter Hand auf – scharf beobachtet von dessen berechnender und eiskalter Frau Peggy (Amy Adams). Doch bald entstehen bei Freddie erste Zweifel an den totalitären Methoden und Lehren des „Masters“.
Dass Regisseur Paul Thomas Anderson fantastisch inszenieren kann, demonstrierte er zuletzt mit seinem oscarprämierten Werk «There Will be Blood». Zwei Goldjungen gab es damals für die Arbeit von Kameramann Robert Elswit («The Town», «Mission: Impossible – Phantom Protokoll») und für Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis («Lincoln»). Zwei Faktoren, auf die sich Anderson auch bei «The Master» trotz Personalwechsels wieder hundertprozentig verlassen kann.
Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman («Moneyball», «The Ides of March») liefern denkwürdige Schauspielleistungen ab, wie man sie nur selten zu sehen bekommt. Phoenix brilliert als abgewrackter Ex-Soldat mit Hang zur Flasche. Mit verschiedenen Jobs verdient er sein Geld, rastet dabei aber regelmäßig aus. Eine der bedrückendsten Szenen stellt die Eskalation von Freddie in seinem Fotografenberuf dar. Ihm dabei zuzusehen, wie er sich selbst demontiert, geht unter die Haut.
Hoffmans Typ ist dahingegen das genaue Gegenteil. Seine exzentrische Spielweise fasziniert und macht Dodds zu einer zwielichtigen Persönlichkeit. Wie auch Freddie weiß der Zuschauer nicht so recht, ob er die diktatorischen Machenschaften vom „Master“ nun befürworten oder verurteilen soll. Denn einerseits hilft Dodds seinem neuen Ziehsohn in eine bessere Spur zu kommen. Andererseits sind seine Methoden dafür fraglich und verwerflich. Die Figurenzeichnung gelingt Anderson dementsprechend vielschichtig. Man schaut den beiden Protagonisten interessiert und gefesselt zu.
Allerdings lässt sich diesmal kein wirklicher roter Faden in der Geschichte ausmachen. Die einzelnen Sequenzen wirken teilweise zusammenhanglos. Dadurch findet man keinen richtigen Zugang zum Geschehen, wenn auch die Bildsprache und Regie für sich genommen exzellent sind. Doch für eine Dauer von mehr als zwei Stunden ist die Handlung zu undurchsichtig, zu sperrig geworden. Die Intensität geht so im Gegensatz zu «There Will Be Blood» merklich verloren.
Mit «The Master» überhebt sich Anderson etwas. Einige Momente sind für sich alleine stehend umwerfend, was vor allem an Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman liegt. Doch als komplexe Geschichte funktioniert das Drama selten. Die betörenden Bilder im 1970er Jahre-Look und das herausragende Darstellerensemble machen das Werk aber sehens- und lohnenswert. Nachdem Phoenix bereits für die beste männliche Hauptrolle in «Walk the Line» und als bester Nebendarsteller in «Gladiator» für den Oscar nominiert wurde, hat er sich die Statue nun endlich verdient.
«The Master» startet am 21. Februar in den deutschen Kinos.