Hat der Politthriler «Zero Dark Thirty» sein US-Kritikerlob verdient oder hat er abseits des heißen Themas nur wenig zu bieten?
Kathryn Bigelow hatte mit ihrer Ankündigung, nach dem mehrfach Oscar-prämierten
«Tödliches Kommando – The Hurt Locker» einen Film über die Jagd nach Osama bin Laden (und letztlich auch über dessen Tötung) zu drehen, hohes mediales Interesse gewiss. Die Regisseurin nahm sich mit ihrem Oscar-Film auf ausdifferenzierte und unprätentiöse Weise dem Irak-Krieg an und da ihr nächster Thriller wie schon «Tödliches Kommando» aus der Feder von Mark Boal stammen sollte, schien es garantiert, dass er in eine vergleichbare Kerbe schlagen wird. Das «Zero Dark Thirty» betitelte Ergebnis teilt sich tatsächlich die gemächliche Gangart seines indirekten Vorgängers und erneut bleibt der bei US-Militärfilmen oft so unerträgliche, Fahnen schwingende Patriotismus aus. Aber entgegen der Erwartungen, die man aufgrund der fünf Academy-Award-Nominierungen hegen dürfte, ist Bigelows jüngste Regiearbeit zudem behäbig und zu inhaltsarm, als dass die ausschweifende Laufzeit gerechtfertigt wäre.
Die nahezu dreistündige Beweissuche wird insbesondere von ihrer Hauptdarstellerin Jessica Chastain zusammengehalten. Die kleine Powerfrau skizziert über die gesamte Laufzeit eine überzeugende, allmähliche Wandlung ihrer Rolle von der verschüchterten, an den Methoden ihrer Kollegen zweifelnden jungen Grazie hin zu einer engagierten, knallharten und kompromisslosen Anführerin ihrer Einheit. Zum Schluss hin pflanzt Chastain durch anstrengende Verbissenheit auch die Idee, dass Maya von ihrer Jagd auf den Staatsfeind Nummer eins innerlich zerfressen wurde. Die kraftvolle Wirkung dieser Wandlung wird jedoch dadurch zurückgehalten, dass Bigelow sie zu stark fokussiert, so dass aus inszenatorischer Sicht schlussendlich fast schon mit der Holzhammermethodik auf die Aussage hingewiesen wird, während sich Chastain um Nuanciertheit bemüht.
Weniger nuanciert, denn akribisch, fallen unterdessen Bigelows und Boals Schilderungen der Informationsbeschaffung dar. Sie eröffnen «Zero Dark Thirty» direkt mit dem meist diskutierten Aspekt ihres Films, der realistischen Darstellung von Waterboarding. Statt die Folter eines möglichen Informanten außerhalb des Bildes vonstatten gehen zu lassen oder durch Überzeichnung den Ekel eines Horrorthrillers zu imitieren, wird die Foltermethode kommentarlos und detailliert abgebildet. Gerade deswegen irritiert die seit US-Kinostart entbrannte Debatte, «Zero Dark Thirty» befürworte Folter – sie wird nämlich keineswegs verharmlost. Und da die von den CIA-Agenten durch fragwürdige Methoden errungene Information im weiteren Filmverlauf noch immer durch weitere, korrektere, Befragungen bestätigt werden muss, kann man Bigelow und Boal nicht vorwerfen, aus ihren Akteuren regellose, heroische Cowboys zu formen.
Dass in diesem Polit- und Militärthriller nach und nach Folter, Informantensuche und interne Querelen über Prioritätensetzung sowie der Umgang mit erneuten Anschlägen thematisiert werden, verleiht ihm eine inhaltliche Bandbreite, die möglicherweise auch repräsentativ für die reale CIA-Arbeit steht, die zur Liquidierung bin Ladens führte. Doch da es Bigelow und Boal primär um eine detailreiche, kommentarlose Darstellung geht und sie die einzelnen Phasen der Suche nach dem Terroristenführer nicht durch dominante Handlungsfäden verbinden, bleiben die einzelnen, gemächlichen Episoden schwerfällig. Bigelows Ziel, durch Entschleunigung einen ruhigen, doch schneidenden Spannungsbogen zu erzeugen, wird deshalb verfehlt und es sind nur einzelne Kapitel in Mayas Odyssee nach Abbottabad, die zu fesseln wissen. Den Höhepunkt stellt gegen Beginn des letzten Drittels ein Feldeinsatz dar, bei dem die Agenten in einer belebten Stadt mit behelfsmäßiger Ausrüstung einen Verdächtigen zu orten versuchen. In dieser Szene wird durch dynamische Kameraführung und gemächliche Enthüllung der Fakten die Spannung erzeugt, die sich vorab häufig in den lang gedehnten Szenen verliert.
Was «Zero Dark Thirty» fehlt, ist eine intensivere Ausschöpfung der Vorteile seiner semi-fiktionalen Natur. Denn die tempoarme, reale Agentenarbeit gewinnt erst dann an engagierenden Qualitäten, wenn sie sich auf Themen oder Charaktere stützen kann. Der Agentenfilm «Dame, König, As, Spion» etwa war zugleich ein brillantes Charakterstück, alternativ böte sich eine intensivere Ausleuchtung der polarisierenden Aspekte dieses Stücks moderner Historie an. Doch Bigelow und Boal weigern sich, Pro- und Gegenargumente ins Zentrum zu rücken und beruhen sich auf eine fast dokumentarisch-objektive Erzählweise. In diesem Fall wählten sie allerdings die falsche Medienform.
Vergangenes Jahr
thematisierte bereits die BBC die Suche nach bin Laden, und zwar mit einem 90-minütigen Dokudrama, das in Interviewsequenzen und durch Off-Kommentare wahre Anekdoten über die CIA-Arbeit abhandelte. Durch die dokumentarische Form ist der Informationsgehalt von «Die Jagd nach bin Laden – Im Fadenkreuz der Geheimdienste» wesentlich dichter als die von «Zero Dark Thirty», und da die Macher auch vor absurderen Randinformationen nicht zurückschreckten, bietet die BBC-Doku sogar den höheren Unterhaltungsfaktor.
Handwerklich lässt sich aufgrund der stringenten Regieführung, den sauberen Schnitt und die sehr guten Dialoge und Schauspielleistungen keineswegs ein rein negatives Urteil über «Zero Dark Thirty» fällen. Am Thema interessierte Kinogänger erhalten einen besonnen Thriller für ihr Eintrittsgeld. Aber da der Film mehr abbildet als von sich heraus Diskussionsanstöße liefert und es deutlich informativere Alternativen zu diesem Thema gibt, sowie spannendere Vertreter des realistischen Agententhrillers, wird «Zero Dark Thirty» kaum den Test der Zeit überstehen. Es ist ungewöhnlich, dass ein so brandheißes Thema mit kühlem Kopf verfilmt wird – doch um «Zero Dark Thirty» mehr Gewicht zu verleihen hätten die mitschwingenden Themen stärker betont oder die Laufzeit reduziert werden müssen.
«Zero Dark Thirty» ist ab dem 31. Januar 2013 in vielen deutschen Kinos zu sehen.