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Die Kino-Kritiker: «Lincoln»

Hat Steven Spielbergs Historiendrama seine Spitzenposition bei den Oscarnominierungen tatsächlich verdient?

Das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika übt seit jeher eine große Faszination aus. Die Macht und die Verantwortung, die damit einhergehen, sowie nicht zuletzt sowohl die Errungenschaften als auch die Skandale, welche die Menschheit einigen von ihnen zu verdanken hat, ließen in manchen Fällen einen regelrechten (positiven wie negativen) Kult um den „mächtigsten Mann der Welt“ entstehen. Dieses Interesse schlägt sich auch merklich in der Filmwelt nieder, welche über die Jahre schon unterschiedlichste Inkarnationen zahlreicher fiktiver und realer US-Präsidenten hervorgebracht hat. Innerhalb eines Jahres widmete sich Hollywood mit Abraham Lincoln jüngst gleich zweimal einem der berühmtesten und bedeutendsten amerikanischen Staatsoberhäupter.

Während jedoch «Abraham Lincoln: Vampirjäger»… nun ja, «Abraham Lincoln: Vampirjäger» ist, hat sich mit «Lincoln» nun niemand Geringeres als Regiealtmeister Steven Spielberg («Jurassic Park», «Gefährten») an einer ernst zu nehmenden Annäherung an den 16. Präsidenten der USA und seinen entschlossenen Kampf gegen die menschenverachtende Sklaverei versucht. Das Ergebnis ist ein zwar ansehnlich bebilderter und grundsätzlich faszinierender Einblick in die politischen Ränkespiele auf dem beschwerlichen Weg zum Verbot der Sklaverei in den USA, bleibt dem zentralen Geschehen die meiste Zeit über aber nichtsdestotrotz seltsam fern. Vor allem dank seines großartigen Hauptdarstellers Daniel Day-Lewis («Gangs of New York», «There Will Be Blood») gelingt es Spielberg allerdings dennoch, dem etwas seelenlosen Film ein wenig Leben einzuhauchen.

Spielberg und sein Drehbuchautor, der mit dem Pulitzer-Preis und dem Emmy ausgezeichnete Tony Kushner («Angels in America», «München»), haben für «Lincoln» eine durchaus interessante Herangehensweise gewählt. So ist der Film weit weniger herkömmliches Biopic, als es der Titel vielleicht vermuten lässt. Vielmehr konzentrieren sich Kushner und Spielberg ausschließlich auf die letzten Monate im Leben des 16. US-Präsidenten und widmen sich hierbei insbesondere seinen hartnäckigen Bemühungen kurz nach seiner Wiederwahl im Jahr 1864, ausreichend Unterstützung zu gewinnen, um den von ihm geforderten 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten verabschieden zu können.

Dieser soll die Sklaverei im gesamten Land ein für allemal abschaffen und somit letztendlich auch zur Beendigung des unter anderem über diese Streitfrage ausgebrochenen, verlustreichen Bürgerkriegs zwischen den Nord- und Südstaaten beitragen. Neben der Auseinandersetzung mit den alltäglich spürbaren unmittelbaren Auswirkungen ebenjenes mittlerweile über drei Jahre währenden Konflikts, muss Lincoln nun nicht nur die Mitglieder seiner republikanischen Partei geschlossen hinter sich versammeln, sondern auch einige der die Sklaverei befürwortenden Demokraten von seiner Sache überzeugen, um im Parlament schließlich die notwendige Mehrheit für die Durchsetzung des Verfassungszusatzes zu erreichen. Dabei schreckt er auch nicht vor der einen oder anderen fragwürdigen Methode zurück.

Spielberg und sein Stammkameramann Janusz Kamiński wissen die Aufbereitung dessen auf der großen Leinwand in gewohnt schöne, allerdings oftmals auch etwas zu sehr auf Hochglanz polierte Bilder zu packen, denen insbesondere auch die opulente Ausstattung der Produktion zu Gute kommt. Gerade angesichts der sehenswerten Bildkompositionen, im Zusammenspiel mit zahlreichen pointierten Dialogen, ist der Einstieg von «Lincoln» jedoch ein wenig misslungen. In schnöden weißen Textzeilen auf schwarzem Grund wird die grobe Ausgangssituation des Geschehens kurz umrissen. Selbst wenn einige der eingeblendeten Sätze etwas zu pathetisch daherkommen, mag es durchaus nicht verkehrt sein, auch die mit den historischen Hintergründen weniger vertrauten Zuschauer durch eine knappe Einführung abzuholen. Doch wäre eine filmischere Lösung hierbei nicht nur denkbar, sondern in der Tat auch wünschenswert gewesen. Den Zugang zum Film kann die gewählte, etwas unbeholfene Methode trotz des vorhandenen Informationsgehalts nicht wirklich erleichtern.*

Leider ist das gesamte Werk von einem ähnlich gearteten Problem durchzogen. So wirkt die Betrachtung der dargelegten Ereignisse oftmals merkwürdig distanziert und kühl. Dies betrifft zunächst einmal die Handlung an sich, welche vor allem das ausgefeilte Taktieren hinter den Kulissen des politischen Geschehens schildert. Diesem Schwerpunkt entsprechend, gestaltet sich «Lincoln» als äußerst dialoglastig. Ein solcher Umstand ist per se natürlich alles andere als verwerflich. Obwohl sich nach einigen sich im Kreis drehenden Diskussionen hier und da Längen einschleichen, weiß es Kushner sogar durchaus mit packend geschriebenen Wortgefechten zu fesseln. Doch schießt er bisweilen auch über das Ziel hinaus. Einige der Textzeilen wirken gerade aufgrund ihrer makellosen Geschliffenheit ein wenig überkonstruiert und unnatürlich. Die darunter leidende Authentizität verhindert im schlimmsten Fall regelmäßig die völlige Vertiefung in die Filmhandlung.

Darüber hinaus erweckt der Verlauf des Ganzen oftmals den Eindruck eines sturen Abarbeitens wesentlicher Stationen im Kampf um die Abschaffung der Sklaverei, ohne dass dabei wirklich merklich in die Tiefe gegangen wird. So läuft «Lincoln» zwischenzeitlich sogar mehr als einmal Gefahr, belanglos zu wirken, was der Thematik alles andere als angemessen wäre. Werden neben der zermürbenden Politik auch die Schrecken des Krieges mehrfach verstörend veranschaulicht, findet eine Darstellung der Sklaverei in der von Lincoln und seinen Fürsprechern angeprangerten Form nahezu keinerlei Einzug in den Film. Dies mag zwar durchaus dessen Ausrichtung entsprechen, zumal die Nordstaaten als ausschließlicher Schauplatz fungieren, doch hätte sich eine direktere Verdeutlichung der thematisch eigentlich im Mittelpunkt stehenden Missstände dennoch angeboten, um der Problematik noch mehr Nachdruck zu verliehen sowie die Schwere der brisanten Thematik nachvollziehbar zu verdeutlichen und ihr somit überhaupt gerecht zu werden. Wenn schon keine unmittelbare Darstellung stattfindet bzw. stattfinden kann, hätte in diesem Zusammenhang wenigstens der in leichten Ansätzen sogar bereits Verwendung findende Weg über aussagekräftige Dialoge konsequenter weitergeführt werden können.

Eventuell hätte dies sogar zugleich der stärkeren Konturierung der auftretenden historischen Figuren dienen können. Denn auch diesen kommt Spielberg nur selten wirklich nahe. Motivationen und Hintergründe werden oftmals im Dunkeln gelassen und einfach als gegeben hingestellt. Eine emotionale Bindung zu den verschiedenen Persönlichkeiten fällt daher häufig schwer. In jedem Fall setzt die durchweg großartige Darstellerriege jedoch alles daran, diese Unzulänglichkeit wettzumachen. Im großen Pool der Nebendarsteller tun sich dabei zweifellos Sally Field («Magnolien aus Stahl», «Forrest Gump») und Tommy Lee Jones («Men in Black», «No Country For Old Men») noch einmal gesondert hervor, wissen beide doch das Maximum aus ihren Rollen herauszuholen.

Im wahrsten Sinne des Wortes überragt wird alles allerdings zweifellos durch die grandiose Leistung von Daniel Day-Lewis. Dass der britische Mime und zweifache Oscarpreisträger seine Rollen lebt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Seinen Lincoln gibt er mit einer einnehmenden und besonnenen Zurückhaltung, die bisweilen gar in dezente Gebrechlichkeit hinüber gleitet. Dennoch strahlt er zugleich stets eine enorme Präsenz aus, der man sich nur sehr schwer entziehen kann. Die großartige und glaubwürdige Maske tut schließlich ihr Übriges, um aus Daniel Day-Lewis einen mehr als überzeugenden Abraham Lincoln zu machen. Die Wirkung, die der 16. US-Präsident zu seiner Zeit auf viele seiner Mitmenschen gehabt haben muss, wird somit in jeder seiner Szenen greif- und spürbar. Löblich ist es dabei insbesondere auch, dass Spielberg Lincoln zwar grundsätzlich als überaus warmherzig und gutmütig präsentiert, jedoch auf der anderen Seite recht nüchtern auch auf die teils korrupten Methoden eingeht, auf die der Präsident zum Gewinn von Stimmen für die Abschaffung der Sklaverei vereinzelt zurückgegriffen haben soll.

Einen faden Beigeschmack hinterlässt allerdings die allzu pathetische Note, welche Steven Spielberg seinen Werken immer wieder gerne in unterschiedlicher Intensität beimischt. Obwohl diese Angewohnheit sich im Fall von «Lincoln» wahrscheinlich schlimmer hätte niederschlagen können und in einer Schlüsselszene gegen Ende sogar recht treffend die aufbrandende Stimmung vermitteln kann, wirkt sie ansonsten, nicht zuletzt aufgrund des Themas, völlig fehl am Platz.

«Lincoln» ist im Großen und Ganzen einfach eine Spur zu geschliffen, zu glatt, zu sehr auf Hochglanz poliert, schlicht zu sehr der moderne Spielberg. Der Starregisseur versteht natürlich zweifelsohne sein Handwerk. Doch lässt er es sich auch in seinem neuesten Film nicht nehmen, hier und da ein Stück zu dick aufzutragen, sodass am Ende einmal mehr das Gefühl entsteht, dass er bereits bei der Produktion etwas zu sehr in Richtung Oscar geschielt und so fast schon berechnend bestimmte Zutaten im dafür vorteilhaften Verhältnis zusammengemischt hat. Dabei bleibt allerdings die essentielle Nähe zu den Geschehnissen und den agierenden Figuren oft auf der Strecke, was gerade angesichts der Brisanz des Themas streckenweise regelrecht ärgerlich ist. Letztere ist es allerdings auch, welche für sich genommen und gepaart mit einigen packenden verbalen Schlachten sowie in hohem Maße getragen durch die großartige Verkörperung einer der bedeutendsten US-Präsidenten durch Daniel Day-Lewis, immerhin ein einmaliges Sichten rechtfertigt. Dermaßen viele Nennungen unter den Oscarnominierungen damit allerdings noch lange nicht.

«Lincoln» ist seit dem 24. Januar in vielen deutschen Kinos zu sehen.



* Nachtrag: Nach aktuellen Meldungen zu «Lincoln» handelt es sich bei den einleitenden Texttafeln lediglich um eine Maßnahme für die internationale Auswertung des Films. So ist das Studio FOX zu dem Schluss gekommen, dass das Publikum außerhalb der USA nicht allzu vertraut mit der Geschichte des Landes ist und ihm daher die historische Ausgangssituation näher gebracht werden soll. Insofern kann Steven Spielberg selbst in erster Linie wohl kein wirklicher Vorwurf für diese etwas störende Maßnahme gemacht werden, auch wenn bislang nicht ganz klar ist, inwiefern er selbst aktiv in diese involviert gewesen ist.
(Quelle: schnittberichte.com)
25.01.2013 09:24 Uhr Kurz-URL: qmde.de/61699
Markus Trutt

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