Der erste interaktive Spielfilm des deutschen Fernsehens.
Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir eines bisher einmaligen Projekts.
«Jack Point Jack» wurde am 15. März 2003 bei RTL II geboren und entstand zu einer Zeit, als der Begriff interaktives Fernsehen dank einer immer größeren Verbreitung von Internet und Handy geradezu inflationär verwendet wurde. Daher war es im Grunde keine allzu große Überraschung als der Sender ankündigte, den ersten interaktiven Spielfilm des deutschen Fernsehens ausstrahlen zu wollen. Gänzlich revolutionär war die Idee schon deshalb nicht, weil der betreffende Streifen bereits rund ein Jahr vor seiner TV-Premiere erstmals auf dem Portal von T-Online anlässlich der CeBIT 2002 veröffentlicht wurde. Eine ebenfalls geplante Kinoauswertung konnte nicht realisiert werden.
Der Film von Regisseur Michael Stelzer handelte vom Sänger Jack, der mit seiner Band von der Karriere als Rockstar mit eigenem Plattenvertrag träumte. Doch kurz vor einem dafür wichtigen Konzert wurden ihre Instrumente gepfändet. Es galt nun innerhalb kürzester Zeit 5.000 Euro zu besorgen, damit der Traum doch noch in Erfüllung gehen konnte. Zusammen mit dem Groupie Julia schmiedeten sie den Plan, die nötige Summe durch einen Einbruch zu beschaffen. Als dieser schief ging und Julia von einem Wachmann geschnappt wurde, stellte sich für Jack die Frage, ob er das Geld nehmen und abhauen oder Julia stattdessen retten sollte.
Wie die Geschichte ausging, stand von vornherein nicht fest, denn an den maßgeblichen Wendepunkten der Story war der Zuschauer aufgefordert, Jack die Entscheidung abzunehmen. Jede Wahl setzte dann eine alternative Handlung in Gang, die zu einem unterschiedlichen Ausgang führte. Ursprünglich waren 40 Handlungsstränge mit elf verschiedenen Enden geplant, doch finanzielle Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Projekts machte eine Reduktion der Auswahl nötig. Letztlich konnte das RTL II-Publikum dann zwischen zehn Handlungssträngen mit fünf unterschiedlichen Abschlüssen wählen. Diese reichten von der Verhaftung der Band über das tatsächliche Erreichen des Plattendeals bis zu einer Entführung durch Außerirdische. In einer weiteren Schlüsselszene fand sich Jack zusammen mit Doubles von Kurt Cobain, Britney Spears, Janis Joplin und Elvis Presley in der Hölle wieder.
Die Hauptrolle des Projekts übernahm der Radiomoderator Stephan Michme, der mit seiner Band Scycs auch gleich die zugehörigen Musiker mitbrachte. Die Gruppe konnte im Jahr 1999 mit „Next November“ einen kleinen Hit landen und hatte zudem einige Gastauftritte in den RTL-Soaps «Gute Zeiten, Schlechte Zeiten» und «Unter Uns». Für eine Nebenrolle konnte darüber hinaus Skandal-Schauspieler Martin Semmelrogge verpflichtet werden.
Weil der fertige Film lediglich eine Länge von 40 Minuten hatte, bettete ihn der Sender RTL II in eine Eventshow ein, die den offiziellen Titel « Jack Point Jack – Wie geht’s weiter?» trug und vom MTV-Gesicht Anastasia (Jurorin bei
«Comeback – Die große Chance») moderiert wurde. Zusammen mit Hauptdarsteller Stephan Michme und einigen prominenten Gästen kommentierte sie die Story-Alternativen und enthüllte Hintergründe aus der Produktion. Diese störenden Talkelemente dienten jedoch nicht nur zur zeitlichen Streckung der Sendung, sondern hauptsächlich zur Überbrückung der Auswertung der Telefonanrufe. Über die im Verlauf der Show drei gestellten Entscheidungsfragen hatten die Zuschauer nämlich per Anruf abzustimmen, wobei jede Teilnahme mit einem obligatorischen Preis von 49 Cent zu Buche schlug. Auch wenn die Sehbeteiligung des Events mit insgesamt 0,23 Millionen Zuschauern am Samstagabend um 20.15 Uhr äußerst gering ausfiel, sollen sich schätzungsweise rund 25.000 Menschen am Voting beteiligt haben. Einen großen Erfolg stellte das Experiment angesichts des geringen Marktanteils von 1,2 Prozent in der Zielgruppe dennoch nicht dar, weswegen es nicht mit einer Fortsetzung ausgebaut wurde.
«Jack Point Jack» wurde am 15. März 2003 im Alter von einer Folge beerdigt. Die Produktion hinterließ den Hauptdarsteller Stephan Michme, der weiterhin im Radio zu hören und vereinzelt (beispielsweise als Reporter beim Musikpreis «Echo») auch im Fernsehen zu sehen ist. Größere Beachtung fand zuletzt sein «Magdeburg»-Projekt, mit dem er mithilfe eines Musikalbums, einer Live-DVD und zweier Dokumentationen seine Heimatstadt portraitierte. Michael Stelzer, der Regisseur des interaktiven Films, inszenierte später Sketche für die Comedyformate «Sechserpack», «Geile Zeit», «Axel!» sowie «Zack – Comedy nach Maß» und war zudem als Realisator bei «Die Schnäppchenhäuser» und «Die Schulermittler» tätig.
Möge das Event in Frieden ruhen!
Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann einem extrem erfolglosen Magazin am Vorabend von RTL II.