Erstaunlich, was laut WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn so alles den Erhalt unserer Demokratie sichert. Ein Kommentar.
Demokratie funktioniert auch ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Beispiel USA, wo das in Teilen staatlich finanzierte PBS hinter den großen Broadcast Networks und dem Pay-TV ein Schattendasein fristet, wobei es mehr als die Hälfte seines Budgets ohnehin nicht aus Zwangsabgaben bezieht, sondern aus freiwilligen Spenden. In weit über zwei Jahrhunderten hat da noch niemand die Diktatur ausgerufen. Ganz ohne Tagesschau-App und «Musikantenstadl».
Es ist also nicht nur maßlos arrogant, wenn WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn in seinem mittlerweile wohl bekannten Artikel die Haushaltsabgabe zur „Demokratie-Abgabe“ umdichtet. Sondern in erster Linie auch unsinnig und eher ein Zeichen einer vielleicht subventionsbedingten Verblendung.
Doch Schönenborn legt in seiner öffentlich-rechtlichen Hybris so richtig los. Da man „schwerlich ein kommerzielles Vollprogramm findet, das auch nur eine halbe Stunde am Tag über Politik berichtet“, behauptet er in pathetischem Tonfall: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sichert das Funktionieren unserer Demokratie.“
Gehen wir das mal durch: Eine Instutition, die ihren Chefredakteur nach massivem politischen Druck zum Entsetzen von Dutzenden Staatsrechtlern entlässt, sichert laut Schönenborn das Funktionieren unserer Demokratie.
Wenn man Jürgen Klinsmann ungehindert zur besten Sendezeit über die vermeintlich doofen Amis reden lässt, die politisch desinteressiert seien, da ihre Freizeit für Hausreparaturen am Wochenende draufgeht, sichert ein derartiger Schwachsinn das Funktionieren unserer Demokratie.
Wenn man Günther Jauch mit zwei Brathähnchen ins Gasometer stellt und das als politische Relevanz verkauft, sichert das das Funktionieren unserer Demokratie.
Wenn Markus Lanz „Wow“ sagt und seine Gäste fragt, wann sie zum letzten Mal gekifft haben, sichert das das Funktionieren unserer Demokratie.
Wenn man es bei Ereignissen von Weltbedeutung völlig verschläft, Sondersendungen einzurichten und die Zuschauer mit Breaking News auf dem Laufenden zu halten, sichert das das Funktionieren unserer Demokratie.
Wenn «Das Ernste» Witze von vor dreißig Jahren ausgräbt, sichert das das Funktionieren unserer Demokratie.
Wenn sich das «Traumschiff» durch den Ozean pflügt und an malerischen Stränden hält, sichert das das Funktionieren unserer Demokratie.
Wenn Frank Plasberg über Baumärkte statt Politik spricht, sichert das das Funktionieren unserer Demokratie.
Angesichts der Strukturen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens – und erst recht angesichts all der Skandale in den letzten Jahren – kommt man nicht einmal mehr umhin, sogar in die entgegengesetzte Richtung zu denken. Sind Parteifunktionäre und hochrangige Politiker wirklich die richtige Kontrollinstanz, um sicherzustellen, dass die Sender von ARD und ZDF eine neutrale Berichterstattung liefern? Der gesunde Menschenverstand sagt „Nein“. Und all die Vorfälle, in denen die Politik nachweislich versucht hat, Berichterstattungen zu verhindern oder zu verschieben, bestätigen diesen Verdacht. Dass in den entsprechenden Gremien zu einem signifikanten Anteil Politiker die relevantesten Personalentscheidungen treffen, setzt dem Irrsinn ohnehin die Krone auf. Aber es sichert wohl das Funktionieren unserer Demokratie. Auf welche Weise auch immer.
Doch wer die Haushaltsabgabe infrage stellt, weil er das Programm der Öffentlich-Rechtlichen, ob im Fernsehen, im Radio oder online, nicht nutzt, entzieht sich laut Schönenborn der „gesellschaftlichen Solidarität“. Eine gewagte These. Vor allem in Zeiten, in denen es zum öffentlich-rechtlichen Angebot Alternativen en masse gibt, die oft sogar eine bessere Qualität liefern als die Angebote von ARD und ZDF. Es ist verständlich, wenn viele Mitglieder der Gesellschaft einen Widerwillen gegen die Haushaltsabgabe hegen. Auch wenn man sich darüber streiten kann, ob sie angesichts des bisherigen GEZ-Schnüffel-Systems nicht vielleicht doch die bessere Alternative ist.
In dieser Diskussion jedoch ernsthaft zu suggerieren, dass ARD und ZDF einen relevanten Anteil am Erhalt der Demokratie in der Bundesrepublik haben, ist angesichts der Programmgestaltung dieser Sender nichts weiter als blanker Hohn. Und offenbart vielmehr das Rechtfertigungsproblem, das die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben, um weiter unsere Gebühren zu kassieren.