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Thommy und die Parkbank

RTL hat am Sonntag «Albtraum Mobbing» getestet. Verdient das Format eine Fortsetzung?

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Beispiel: Sonnenburg, jetzt bewaffnet mit den Telefonnummern, ergreift das Telefon: “Marcel? Ja, hey, hier ist Thommy Sonnenburg!“ … “Ja, dann bis gleich!“. So läuft das ab. Marcel muss ein riesiger Fan der «Ausreißer» sein. Oder Nihilist. Sein ebenfalls krass überzogener erster Auftritt spricht jedenfalls Bände: rauchend, auf einer Parkbank. Zum Treffen mit Sonnenburg zieht er dann aber den Schneidersitz im Gras vor, gemeinsam mit einem Kumpel. “Kann ich kurz mit Marcel alleine sprechen?“, heißt es. Kein Ding, Thommy, das geht klar. Das Publikum rutscht natürlich indes unruhig umher. Warum wird ein erstes Treffen inszeniert, obwohl Sonnenburg und Marcel zweifellos schon im Vorfeld miteinander gesprochen haben? Warum will man den Eindruck eines Storyfadens entwickeln, wenn man doch darauf Wert legt, deutlich zu machen, wie sehr alles auf Wahrheit beruht? Warum verschwendet man damit überhaupt Zeit und macht sich das Voice-Over nicht einmal richtig zunutze?

Nach dem Gespräch mit Marcel, in dem Sonnenburg immerhin Sympathiepunkte durch seine ruhige Art sammeln konnte, geht es kurz über zwei Mädchen zum zweiten großen Gegenspieler Christians: Jannis mit dem eiskalten Blick. Der wird uns selbstredend ganz anders präsentiert: rauchend nämlich, auf einer Parkbank. Wie das eben so ist. Eigentlich ist der gute Jannis aber ein tragischer Fall: Er wurde damals von seiner Schule gegangen, weil er auf der Toilette einen Amoklauf angekündigt hat (erste Wahl war die leider besetzte Parkbank). Das muss nicht sein, dachten dann auch die Mitschüler an der neuen Schule. Jannis war Mobbing-Opfer. Bis Christian auftauchte. Da wurde Jannis zum Mobber. Wie das eben so ist. Wie auch Marcel ist sich Jannis aber nicht sicher, ob er an der großen Aussprache mit Christian teilnehmen wird. Was man der Sendung bis dahin zu Gute gehalten hat, wird nun auch über die Burgmauer geworfen. Bis zu diesem Zeitpunkt machte es den Anschein, man würde die beiden “Fälle“ der Episode getrennt behandeln. Das wäre seriös, ehrlich, richtig. Aber nicht spannend.

Nach 25 Minuten also springt man zur 13-jährigen Carolyn, die unter Cyber-Mobbing zu leiden hatte, weil “sie sich für eine Freundin eingesetzt“ hatte. Worin dieser Einsatz bestand? Dass wissen nur die Götter. Die haben die Deleted Scenes bestimmt gesehen. Für Carolyn gibt es keine Reenactments, sondern Szenen mit ihr höchstpersönlich. Von links nach rechts durchs Bild laufen wird da nur übertrumpft durch: den Parkbank-Fetisch der Produzenten. Da sitzt das traurige Mädchen also auf der Bank im Regen, den Schirm in den Händen. Cue the music, let it be, das ist Fernseh-Poesie. Apropos: Mehrmals darf man die Facebook-Beleidigungen bewundern, die Carolyn so an den Kopf geworfen wurden. Sätze wie “hesslige schlampe“ und “aha foze“ lassen nicht nur am Gewissen der Mobber, sondern auch der Zukunft des Landes zweifeln. Und wenn man nicht schon längst Liste führt, kommt man jetzt auch nicht mehr umhin, einen anderen Geniestreich der Macher zu bewundern: den Freeze-Frame. Auf jeden halbwegs traurigen oder schockierenden Satz folgt ein Stillstand mit kleinem Zoom, dann ein Reactionshot von Sonnenburg. Zoom, Klaviermusik und man hat den Zuschauer in der Tasche. Nein, halt. Auf der Parkbank. Wo er hingehört.

Bei Carolyns Darstellung, die demselben Muster wie Christians folgt, wird wieder klar, wie wenig eigentlich an das Publikum getragen wird: Tipps sind rar. Gepriesen werden Carolyns Eltern, die ihrer Tochter zugehört, geglaubt und auf die Ignoranz der Schule hin einen Umzug durchgemacht haben. Jetzt geht es ihrer Tochter wieder gut. Aber kann das die Lösung sein? In Christians und Jannis' Fall war der Umzug ausschlaggebend für das Mobbing. Gibt es keine anderen Möglichkeiten? Antwort ungewiss. Mal wieder. Harte Kritik gibt es ja auch keine. Sollten Mobbing-Opfer oder gar Mobber vor dem Schirm sitzen, wissen sie jetzt, dass es noch andere ihrer jeweiligen Art, sowie einen Typen namens Thommy Sonnenburg gibt, der sich vielleicht eines Tages genau so am Telefon meldet. Die große Mediation zwischen Christian und seinen Mitschülern dauert dann noch circa sechs Minuten. Die ein oder andere gute Idee hatte man (den Mobbern Christians Video zeigen; Sprünge zu After-Interviews), aber im Großen und Ganzen unterlag auch diese Sequenz der Inszenierung nach RTL-Manier. Christian meinte am Ende jedenfalls, ihm habe die ganze Sache geholfen. Dem Zuschauer eher weniger. Weil man sich aber doch wieder treu geblieben ist, die altbekannte Schablone benutzt hat, wurde der ein oder andere mit Sicherheit unterhalten. Nur überrascht wurde man von «Albtraum Mobbing» leider nicht. Weder positiv, noch negativ.

Was den Gedanken an eine Fortsetzung angeht, müssen deshalb ganz klare Worte gefunden werden: Das lohnt sich nur, wenn man sich verändert. Das fängt natürlich damit an, dass man stets neue, fordernde und beispielhafte Fälle in Sachen Mobbing findet. Darüberhinaus könnte man in weiterem Maße auf die jeweilige Art und das Medium eingehen, die Arme ausstrecken, vielleicht auf Fälle wie den von Amanda Todd eingehen. Nicht nur den Christians und Carolyns der Woche helfen, sondern gleich auch den Zuschauern mit Ratschlägen über Coaching, Hotlines oder allgemeine Verhaltensweisen. Man könnte auch einmal einen ernsthafteren und beständigeren Versuch wagen. So würde ja auch niemand bezweifeln, dass eine Dokumentation, die einen TOA von Anfang bis Ende begleitet überaus fesselnd sein könnte. Wenn das allerdings keine Richtungen sind, in die man gehen möchte, hat man sein Potential bereits mit der ersten Folge erschöpft. Alles andere wäre Wiederholung und das Einschalten nicht wert.
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02.12.2012 21:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/60682
Marco Croner

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Albtraum Mobbing

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