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Jan Kromschröder: ‚Den Abgesang der deutschen Serie sehe ich nicht‘

Der Chef von ITV Studios Germany («Der letzte Bulle») spricht über die drei jüngsten Sat.1-Serienflops. Zudem hat er für seine Dozententätigkeit seine Ex-Lieblingssoap mit «Berlin – Tag & Nacht» verglichen. Was dabei heraus kam…

Herr Kromschröder, wie geht es der deutschen Serie?
Die deutsche Serie bewegt sich immer auf und ab, und das seit Jahrzehnten. Als «Der letzte Bulle» startete, waren wir alle sehr froh und erleichtert, dass das Format vom Zuschauer angenommen wurde und Sat.1 nun einen Tag mit deutschen Serien hatte, der sehr gut lief. Jetzt gab es drei Versuche und die waren nicht ganz so erfolgreich. Man kann deshalb nicht davon sprechen, dass es der deutschen Serie nun schlecht geht. Das ist letztlich in Amerika nicht anders. Dort setzen sich von zehn Formaten ein oder zwei durch. Die Amerikaner sind uns nicht etwa in dem voraus, dass sie wirklich immer die besseren Bücher hätten oder grundsätzlich die besseren Schauspieler. Sie entwickeln einfach mehr!

Also ist die deutsche Serie weiterhin auf einem Weg, der keine Sorgen bereiten muss?
Als ich vor vier Jahren Granada/ITV STUDIOS Germany als Geschäftsführer übernommen habe, war dies eine Firma, die hauptsächlich im Unterhaltungsbereich erfolgreich war. Dann haben wir mit Fiction-Produktionen angefangen, was sicherlich auch mit meiner Vergangenheit zu tun hat. Wir machen heute den «Bullen», haben acht Folgen der Comedy «Sekretärinnen» für RTL produziert und sind auch derzeit intensiv unterwegs in Sachen Entwicklung neuer fiktionaler Formate. Ich kann nicht erkennen, dass die Sender inzwischen deutsche Serien ablehnen.

Dennoch: Die Liste der Flops im Jahr 2012 ist lang.
Stimmt. Es gab eine Reihe an Serien, in denen die Zuschauer nicht die Welt vorgefunden haben, die sie sehen möchten. Die drei Sat.1-Serien haben offensichtlich nicht die Lebenswelt geschaffen, für die sich das junge Publikum interessiert. Die ARD zeigt am Vorabend Crime & Smile-Serien, für die sich anscheinend auch nicht wirklich viele Junge begeistern. Und RTL war über Jahre hinweg mit seinen Vorabendsoaps unglaublich erfolgreich und hat jetzt ein Problem damit. RTL II hingegen hat mit «Berlin – Tag & Nacht» etwas geschaffen, für das sich zumindest ein Teil der zu dieser Zeit fernsehenden Jugendlichen stark interessiert. Das Format trifft die Lebenswirklichkeit dieser jungen Menschen. Ich glaube, dass uns das auch beim «Letzten Bullen» gelungen ist; mit einer Geschichte, die einen Macho-Mann zeigt, der sich aber mit Intelligenz und Lebenserfahrung durch das Leben navigiert.

Fehlen nicht vielleicht die guten Grundideen? Die konnte ich zuletzt nicht mehr erkennen. Die Erfolge erzählen ungewöhnliche Geschichten, wie die eines über Jahre im Koma liegenden Ermittlers oder der Anwältin, die ihren Klapptisch im Einkaufszentrum aufstellt.
Ich muss Ihnen da widersprechen. An den «Garmisch Cops» ist überhaupt nichts neu – aber die Serie funktioniert trotzdem den Vorstellungen des ZDF entsprechend. Ich habe neulich mal einen Versuch gewagt: Ich habe mir eine Woche lang «Berlin – Tag & Nacht» angeschaut und eine Woche lang eine Daily Soap, die ich ganz früher sehr gerne gesehen habe und die über Jahre als die am besten produzierte galt.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Ich war überrascht. «Berlin – Tag & Nacht» hatte die besseren und spannenderen Konflikte, es war – beispielsweise in Bezug auf die Musik – besser produziert. So wie «Berlin – Tag & Nacht» muss eine Serie im Jahr 2012 sein. Meine einstige Lieblingssoap hingegen war all das nicht. Die Bildkompositionen, die ich einst so geschätzt habe, waren nicht mehr vorhanden. Das war nicht mehr die Serie von früher, es fühlte sich eher an wie der «Marienhof» aus dem Jahr 1998. Es ist mir klar geworden, warum das einige Zuschauer nicht mehr gucken.

«Berlin – Tag & Nacht» tritt schlicht auch via Facebook ganz anders mit seinen Zuschauern in Kontakt.
Das muss man heutzutage machen – wir erleben das auch immer beim «perfekten Dinner». Facebook ist enorm wichtig für uns. Die Welt verändert sich in diesem Bereich rasant. Das merken die Öffentlich-Rechtlichen nicht so sehr, weil sie ein älteres Publikum haben. Gerade die Privaten müssen da aber enorm am Ball bleiben. Genau das hat auch so mancher der neuen Serien das Genick gebrochen.

Die innovative Grundidee hat gefehlt.
«Auf Herz und Nieren» zum Beispiel: Die Konstellation „Mann versus Frau“ wurde nicht weitergetrieben. Ich habe da kein Grundthema erkennen können. Mich hat das ein bisschen an «Edel & Starck» erinnert. «Es kommt noch dicker» - da wurde eine böse Frau während eines Gewitters dick. Wir lernen: Dick sein ist eine Bestrafung. Das klappt nicht, weil wir alle in Deutschland ja selbst zu dick sind. Frauen finden gerade ihre eher etwas zu pummelige Freundin sympathisch.

Was ja auch «Verliebt in Berlin» zum Beispiel gezeigt hat.
Vollkommen richtig, Herr Weis. Den Pilotfilm davon zeige ich heute noch gerne. Aber: Ich bin der Überzeugung, dass «Verliebt in Berlin» jetzt nicht mehr funktionieren würde. Das war ein Format, das genau in diese Zeit gepasst hat – heute hätten Sie damit keine Chance mehr.

Erhöht jeder Flop, der jetzt bei den Privaten passiert, den Druck auf Sie?
Nein, weil wir auf mehreren Beinen stehen. Früher war es so, dass wir uns ausschließlich auf die zuverlässige RTL-Gruppe konzentriert und für diese Unterhaltungsformate hergestellt haben. Heute machen wir auch Fiction, auch für andere Sender und Gruppen – 2011 hatten wir 14 verschiedene Auftraggeber. Mich interessiert eher, wo wir hin können mit der deutschen Serie. In Amerika bekomme ich immer noch neue Varianten von «Navy CIS», die aber nicht wirklich anders aussehen als 2003. Ich bekomme dort jedoch auch Formate wie «American Horror Story», das zwar keine übermäßig guten Quoten holt, aber trotzdem in eine zweite Staffel geht. Solche Serien können es schon auf vier oder fünf Seasons bringen. Sie sehen also: Den Abgesang der deutschen Fiction sehe ich nicht – und auch keinen weltweiten Trend in diese Richtung. Nicht zuletzt, weil wir das beste öffentlich-rechtliche System auf der ganzen Welt haben und nach wie vor die meisten 90er weltweit herstellen. Da mache ich mir um andere Genres mehr Sorgen.

Die da wären?
Ich frage mich schon, ob es in fünf Jahren noch die teure Event-Show geben wird oder ob sich alles weiter in Richtung Factual bewegt. Das Genre Coaching muss sich zur Zeit neu erfinden. Und ich frage mich, ob es das Genre Dating noch einmal ins Fernsehen schafft.

Wie stehen Sie zum «Tatort». Ungewöhnliche Storys, aber auch viel Kritik wegen der zahlreichen neuen Teams.
Ich mag die ungewöhnlichen Geschichten. Ich mag Jörg Hartmann, es ist auch gut, dass Dortmund jetzt einen «Tatort» hat. Aber es wird trotzdem viel zu viel. Ich kann das alles nicht mehr auseinander halten. Jetzt soll Andrea Sawatzki zurückkommen. Ich erkenne dahinter keine Strategie. Die vielen Teams führen doch dazu, dass die Episoden alle eine reine Fallstruktur haben werden. Die «Tatorte», die Spaß machen, Münster etwa, haben auch eine klar horizontale Linie. Etwas, das auch «Wilsberg» beim ZDF so großartig macht. Aber horizontale Geschichten kann der «Tatort» nicht mehr erzählen.

Das ZDF zeigt am Montag einen Film von Ihnen, der «Mandy will ans Meer» heißt. Ist es in Ordnung, wenn unsere Redaktion dieses Sozial-Drama als „erfrischend“ bezeichnet?
Natürlich. Die Geschichte soll ihren Weg zum Zuschauer finden. Das Mädchen Mandy wünscht sich trotz aller Schwierigkeiten in ihrem Leben etwas, das viele von uns schon einmal gefunden und erlebt haben. Den Blick aufs Meer, auf den endlosen Horizont, das Gefühl zu schwimmen. Gerade bei einem schweren Grundthema war es uns unglaublich wichtig, dass immer etwas Positives mitschwingt. Es muss Licht am Ende des Tunnels geben. Wäre das nicht der Fall, dann bräuchten wir keinen unterhaltenden Film zu machen. Dann kann ich mit einem 2-Mann-Team eine Dokumentation drehen.

Wir haben genau dies mit dem Wort „Hoffnung“ umschrieben. Ist diese „Hoffnung“ also das Wichtigste in dem Film?
Ich finde das sehr, sehr wichtig. Ich bin ein Freund davon, in einer solchen Geschichte Achterbahn zu fahren. Der Vater ist Alkoholiker. Der Zuschauer soll sich fragen: Wie sieht es in der Wohnung aus? Ist es dreckig und schmutzig? All dies können Christian Pfannenschmidt und Regisseur Tim Trageser aber nur in dieser Offenheit zeigen, wenn es am Ende eine emotionale Entlastung gibt.

Ohne diese Hoffnung würde der Zuschauer schnell wegschalten?
Der Zuschauer würde den Film unbewusst als zu hart und zu dunkel empfinden. Das möchte er unter der Woche am Feierabend nicht haben. Montags, beste Sendezeit im ZDF, da hat man sich gerade ein Brot geschmiert und einen Tee gemacht. Da ist es wichtig, dass das Positive am Ende deutlich wird.

Warum ist der Film nicht nur etwas für das klassisch Drama-affine Publikum?
Wegen Anna Loos und des gesamten Casts, die alle ihren Job hervorragend machen, und wegen der schönen Bilder. Manche Elemente sind leicht märchenhaft überzeichnet. Das ist aber immer noch ein ernsthafter Film mit einem gesellschaftspolitischen Anliegen.

Letzte Frage noch, weil Anfang 2013 die neue «Der letzte Bulle» ansteht. Was erwartet die Zuschauer darin grob?
Ein Mick, der sich anders entwickelt, als viele denken. Es gibt eine Horizontale, die unglaublich spannend wird!

Herr Kromschröder, Danke für das Interview.
25.11.2012 10:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/60509
Manuel Weis

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Tags

Der letzte Bulle Berlin Es kommt noch dicker

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