Das ZDF versucht mit „ganz normalem Wahnsinn“ den Alltag einer etwas anderen Fernsehfamilie zu zeigen.
Story
Nach Suizidversuch und Klinikaufenthalt kehrt der Familienvater Jochen Windscheidt in seine Patchworkfamilie zurück und muss feststellen, dass die Realität einer Rückkehr zur Normalität im Wege steht. Nach einer Burn-Out-Therapie gelingt es dem Architekten nicht, sein Arbeitspensum zu verringern. Die unerwartete Flucht seines Büropartners, mit dem die finanzielle Grundlage der gemeinsamen Firma verschwindet, verschärft die Situation weiter.
Das Verhältnis zu seiner überarbeiteten Frau Susanne ist nach einer Affäre, die sie mit seinem besten Freund eingegangen war, getrübt. Gleichzeitig muss sie um eine sicher geglaubte Beförderung in der Arbeitsagentur bangen und Hilfe für ihre demente Mutter arrangieren, da ihr Vater mit Fortschreiten der Krankheit überfordert scheint. Die Stütze des Ehepaars bildet der gemeinsame Sohn Aaron, dessen Unbeschwertheit das verbliebene Familienglück zusammenhält.
Weniger sorgenfrei ist hingegen das Verhältnis zu Susannes Sohn aus einer früheren Partnerschaft, Samuel. Parallel zu seinen Fehlzeiten in der Schule steigt auch die investierte Zeit in den Verkauf von Drogen, mit dem er sein Taschengeld aufbessern möchte. Ihm Gegensatz zu ihrem Stiefbruder, der endgültig auszubrechen droht, scheint die etwa gleichaltrige Marie mit festem Schritt durchs Leben zu gehen. Ihre Noten sind gut, Eskapaden sind ihr fremd – doch fühlt sie sich im Trubel des Alltags vernachlässigt und spielt mit dem Gedanken, zu ihrer leiblichen Mutter zurückzukehren.
Gemeinsam versucht die Familie, gegenzusteuern – und droht dabei nicht nur wortwörtlich im Watt der Nordsee, sondern auch in ihren ungelösten Problemen zu versinken.
Darsteller
Anja Kling («Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen») als Susanne Windscheidt
Hendrik Duryn («Alarm für Cobra 11») als Jochen Windscheidt
Samuel Schneider («Boxhagener Platz») als Florian Windscheidt
Lilli Fichtner als Marie Windscheidt
Aaron Kissiov als Benni Windscheidt
Hermann Beyer («Vergiss dein Ende») als Frank Jonas
Barbara Nüsse («Der Seehund von Sanderoog») als Marianne Jonas
Kritik
Der Ansatz, den der Sender für «Familie Windscheidt» gewählt hat, ist in jedem Fall lobenswert, versucht das ZDF doch nach eigenem Bekunden, „näher an die Wirklichkeit zu rücken“. Auch dass die eigenen Produktionen des Öfteren „in der Kritik [stehen], das Leben zu beschönigen“, gesteht man in Mainz indirekt ein. Tatsächlich wird schnell deutlich, dass der Fernsehfilm kein Interesse daran hat, die Zuschauer nur durch schöne Bilder vom Umschalten abzuhalten. Dem Einstieg in den Film fehlt die gewohnte, sanfte Steigung hin zum seichten Höhepunkt. Stattdessen löst sich mit der ersten Minute ein wahrer Steinschlag an fiktiven Familienproblemen – die drohen, dem Zuschauer auf dem heimischen Sofa die Luft zu nehmen.
Die große Schwäche des Films ist in der undurchsichtigen Fülle an Themen zu lokalisieren, deren Behandlung sich Regisseurin Isabel Kleefeld widmet. Vom Vater-Sohn-Konflikt über Geschwisterstreit, Depressionen und Selbstmordgedanken bis hin zu Drogenproblemen, Geldsorgen und außerehelichen Liebesbeziehungen liefert «Familie Windscheidt» eine Plattform für nahezu jede mögliche Hürde, die sich einer deutschen Durchschnittsfamilie bieten kann. Das gut dargestellte Verschweigen aller Probleme innerhalb der Familie kann zwar erklären, weshalb alles Unglück in großer Plötzlichkeit über die Protagonisten hereinbricht, nicht aber darüber hinwegtäuschen, dass sich der Fernsehfilm an eine thematische Breite wagt, die manch werktägliche Vorabendserie ein ganzes Kalenderjahr beschäftigen könnte.
Die für den Fall erfolgreicher Ausstrahlung und durch das offene Ende angedeutete Möglichkeit weiterer Filme um die Windscheidts entschuldigt den thematischen GAU nur bedingt. Offensichtliche Ursache für die zahlreichen Probleme, mit denen Familie und Zuschauerschaft konfrontiert werden, ist der Versuch des ZDF, mit dem Werk eine „Durchschnittsfamilie“ abzubilden. Anstatt jedoch exemplarische Probleme hervorzuheben, wird die gesamte Schublade menschlichen Unglücks aus der Familienkommode gezogen und in knapp neunzig Filmminuten gekippt.
Damit wird das vordergründige Ziel von «Familie Windscheidt», nicht nur denjenigen Zuschauern ein „Wiederentdecken“ zu ermöglichen, die ZDF-Fernsehfilme für gewöhnlich in mehrstöckigen Strandhäusern an der schwedischen Ostseeküste genießen, verfehlt. Zwar bietet sich dem Publikum, wie von der Produktion gewünscht, nicht der Eindruck einer heilen Welt – stattdessen jedoch erfüllt wohl alle Betrachter das gute Gefühl, ein im Verhältnis zu den Windscheidts unaufgeregtes Dasein zu pflegen. Die angestrebte Authentizität verliert damit leider deutlich an Wirkung.
Obgleich der Schwächen in der Umsetzung ist «Familie Windscheidt» weit innovativer, als die üblichen Produktionen der Kategorie „Familienfilm“. Ein Erfolg ist dem Werk zu wünschen, dürfte doch mit Spannung zu beobachten sein, ob weiteren Filmen der Reihe ein gelungenerer Spagat zwischen Fiktion und Alltag glückt. Das Spiel ist gelungen, besonders die Nachwuchsdarsteller und die Eltern des im Mittelpunkt stehenden Ehepaars können überzeugen. Die Inszenierung scheint zu Beginn etwas hektisch, gewinnt jedoch mit fortlaufender Spieldauer an Qualität und entspricht den üblichen Standards des Genres.
Das ZDF strahlt «Familie Windscheidt – Der ganz normale Wahnsinn» am Montag, den 19. November 2012, um 20.15 Uhr aus.