Herr Ewald, Sie bereiten selbst Politiker auf Talkshows vor. Sehen Sie in Raabs neuer Show «Absolute Mehrheit» eine Chance für die Politik?
Es ist eine Chance für einzelne Politiker, nicht aber für die Parteien an sich. Es müssen viele Dinge zusammenpassen, dass ein Politiker in diesem Format wirklich überleben kann. Die Gäste, die für die Premiere zugesagt haben, gehören in zwei Kategorien. Sie sind entweder selbst sehr authentisch oder aber sie haben ein großes Bekanntheitsdefizit. Es geht hier klar um den persönlichen Gewinn.
Nun gab es auch Kritik bezüglich des Konzepts, beispielsweise seitens der ARD. Wie stehen Sie selbst dem neuen Format gegenüber?
Ich glaube nicht, dass die Zuschauer mehr erfahren werden. Das Ziel von ProSieben ist es sicherlich, gegen die Politikverdrossenheit vorzugehen. Ob das mit einer solchen Sendung aber gelingt, weiß ich nicht. Vielleicht schadet es sogar. Die Politik ist in Wahrheit ja keine Arena, sondern eine Kompromissgesellschaft. Möglich, dass in solchen Sendungen durchaus falsche Erwartungen geweckt werden.
Wir kennen Stefan Raab als Moderator und Spieler in «Schlag den Raab» und verschiedenen anderen Events. Was muss Raab beachten, dass er den Spagat schafft, einen guten Job als Polittalker zu machen, gleichzeitig aber seine Fans nicht verschreckt?
Stefan Raab ist eine Fernsehpersönlichkeit, die als persönlicher Freund wahrgenommen wird. Die Biochemie im Hirn empfindet ihn als guten Bekannten, bei dem man immer gerne vorbeischaut. Stefan Raab kann in dieser Sendung durchaus ein bisschen überraschen, beispielsweise wenn er in einigen Punkten besser vorbereitet ist als seine Gäste. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass er extrem gut vorbereitet in die Show gehen wird. Die Zuschauer werden sich dann immer mit ihm freuen, wenn Raab mal einen Punkt gegen einen Politiker gemacht hat.
Also kann Raab nichts verlieren?
Ich gehe mal davon aus, dass später kaum der typische 3sat-Gucker zuschauen wird. Bei der Premiere mag das anders sein, da wird das halbe Feuilleton vor den Geräten hängen. Später aber werden die einschalten, die Raab sowieso als „coole Socke“ empfinden.
Sprechen wir doch mal über die Gäste. Zugesagt hat zum Beispiel Wolfang Kubicki – welche Stärken und Schwächen hat er?
«Absolute Mehrheit» ist eine Talkshow für Menschen, die absolut mit sich im Reinen sind. Das erkennt man auch an der Gästeliste der ersten Sendung. Bei allen gibt es zwischen den Worten und dem Handeln keinen Widerspruch. Kubicki ist ein pragmatischer Opportunist, der in der Sendung eigentlich nichts verlieren kann. Es müsste schon extrem viel passieren und gegen ihn laufen, damit er das Studio als offensichtlicher Verlierer verlässt. Ich hoffe aber, dass Raab vielleicht ein paar Widersprüche gefunden hat, vorstellen kann ich es mir jedoch nicht so recht.
Also kann Kubicki nur gewinnen und deshalb geht er dort hin.
So denkt er gar nicht. Ihm geht es einzig um die persönliche Popularität. Normalerweise haben Politiker ja das Ziel, dass sie Sachinhalte verbreiten wollen. Im besten Fall übernehmen Zuschauer dann die Meinung des Politikers oder gehen zumindest gebildeter aus der Sendung raus. Kubicki hat seit Jahren aber nur sich selbst als Programm – damit ist er zweifelsohne erfolgreich. Er hat die FDP in Schleswig-Holstein gemeinsam mit Lindner aus dem Sumpf geholt. Sein Auftreten wird vom Volk also durchaus honoriert.
Ein gewisses Hick-Hack gab es dann im Vorfeld um Volker Beck und Peter Altmaier – beide hatten wohl Kontakt, dann wurde angeblich Beck ausgeladen und am Donnerstag wollte Altmaier plötzlich nicht mehr kommen. Viele Schlagzeilen also für Raab – hilft das der Sendung?
Es kann gut sein, dass es die Einschaltquoten erhöht. Und da die Quoten im Privatfernsehen wichtig sind, hilft das natürlich. Der Qualität einer solchen Sendung hilft ein derartiges Hick-Hack aber nicht. Es kommt häufig vor, dass Politiker bei solchen Talkshows auch recht kurzfristig absagen, aber das findet hinter den Kulissen statt und wird nicht öffentlich ausgetragen. Das, was vergangene Woche passiert ist, war unprofessionell.
Wir müssen abwarten, welche Gäste, die aktuell noch angekündigt sind, auch wirklich kommen. Thomas Oppermann ist einer davon.
Ich habe den Eindruck, dass Raab von jeder Partei möglichst einen Gast haben wollte. Von der SPD wollte eventuell niemand in die Sendung kommen, sodass die Partei Oppermann geschickt hat. Er bekleidet aktuell kein wichtiges Amt, hat also nichts zu verlieren und kann deshalb dort auftreten.
Von den Linken kommt Jan van Aken – muss ich mich schämen, wenn ich bei seinem Namen aktuell kein Bild im Kopf habe?
(lacht) Er ist ein aufstrebender Politiker, der die Sendung als Sprungbrett nutzen will. Ich kann ihn nicht einschätzen, weil ich ihn noch nie in Talkshows gesehen habe. Er war früher bei Greenpeace und ist jetzt stellvertretender Parteivorsitzender. Er wird sicherlich moralisch richtig argumentieren und zum Angriff blasen.
Würden Sie Ministern grundsätzlich raten, zu Raab zu gehen?
Als Coach rate ich Politikern davon ab. Sie müssen wissen: Als Top-Politiker sitzen Sie in Gremien, die letztlich dann Entscheidungen treffen. Diese Entscheidung fällt nicht zu 100 Prozent so aus, wie Sie es anfangs wollten. Dennoch müssen Sie diese später möglichst gut verkaufen. Das ist nicht nur in der Politik so, sondern eigentlich in fast jedem Unternehmen. Genau das macht es für die Spitzenpolitiker aber so schwer, später in solchen Sendungen als wirklich authentisch zu gelten. Da wird ihnen eher vorgeworfen, dass sie sich verbiegen lassen. Viele Politiker haben ja schon vor normalen Talkshows Respekt, in denen sie ihre zehn auswendig gelernten Kernsätze wieder und wieder vorsagen.
Eingeladen war auch Piraten-Politiker Ponader, der von der Piraten-Spitze zurückgepfiffen wurde und nun nicht auftritt. Wäre das für Ponader eine Chance gewesen?
Ich bin froh, dass die Parteispitze ein Mittel gefunden hat, Herrn Ponader nun zurückzupfeifen. Er inszeniert sich wie Kubicki und Beck auch selbst, hat aber im Gegensatz zu den beiden keine Ahnung, was er tut. Kubicki und Beck sind echte Profis, Ponader ist ein Amateur. Keine Arbeit, wenig Ahnung, kein Rückhalt in der Partei. Bei Raab hätte er sich zum Affen gemacht. Ich glaube, dass Stefan Raab sich durchaus über einen Besuch gefreut hätte. Letztlich wäre es aber zu einer Vorführung eines Überforderten gekommen.
Wer hat denn die besten Chancen aus der Runde dann letztlich zu gewinnen?
Nun ja, ich habe auch keine Glaskugel auf dem Tisch. Zwei oder drei lustige Sätze können schon entscheidend sein. Das ist wie beim Poetry Slam. Das Publikum wählt selten die beste Poesie, sondern die unterhaltsamsten Darbietungen zum Sieger. Grundsätzlich hat hier der die größten Chancen, der frei argumentieren kann und auf der moralisch „richtigen“ Seite steht – vielleicht also der unbekannte van Aken.
Was passiert denn, wenn ein Politiker komplett ungecoached in eine solche Sendung geht?
Willkommen in der deutschen Politik. Viele Politiker können sich gar keinen Coach leisten, weil es die Partei nicht zahlt. Sie werden dann von internen Beratern betreut, die sicherlich auch keinen schlechten Job machen. Sie sind es dann, die ihnen die zehn Kernsätze einschärfen, die alle auch faktisch zu 100 Prozent überprüft sind. Die Politiker haben alle Angst, in solchen Shows Fehler zu machen. Ich als Coach würde eher dazu raten, die eigene Persönlichkeit in solchen Sendungen weiter zu entwickeln. Die Dinge, die man sagt, sollten natürlich trotzdem faktisch richtig sein.
Wer macht das denn Ihrer Meinung nach richtig gut aktuell?
Gerhard Schröder war einst einer der ersten, die sich ein Medientraining gegönnt haben. Gregor Gysi überzeugt mich auch – ganz unabhängig von dem, ob ich inhaltlich mit ihm übereinstimme. Gysi hat da ein gewisses Talent – als Zuschauer haben Sie zumindest verstanden, was er sagen möchte. Wenn Gysi auf einem Marktplatz auftritt und nebendran ein anderer Politiker, würde man wohl eher zu Gysi gehen. Das spricht klar für ihn.
Noch ein letztes Mal zurück zu «Absolute Mehrheit»: Stefan Raab spricht davon, dass die Parteien ihm schier die Türen eingerannt haben. Ihre Ausführungen klingen etwas anders. Wird Raab irgendwann ein Problem mit der Gästeakquise bekommen?
Das ist schwer zu sagen. Ich weiß, dass viele Politiker nicht zu ihm wollen. Die wollen ja noch nicht einmal in normale Talkshows. Für die Parteien ist es letztlich eine Abwägung: Was kann ich gewinnen und was möglicherweise verlieren? Ich glaube, dass es vielleicht eine Handvoll Leute in der deutschen Politik gibt, die bei Raab eine gute Figur machen können. Wissen Sie, Politik ist immer auch Eitelkeit. Die Macht liegt dort, wo die Leute glauben, dass sie liegt. Wenn dann ein Politiker in einem solchen Format vorgeführt wird, dann beschädigt ihn das unter Umständen enorm. Und genau davor haben diese Leute natürlich Angst.
Danke für Ihre Einschätzung.
Zur Person: Marcus Ewald ist geschäftsführender Gesellschafter und Trainer bei Media Advice GmbH & Co. KG in Mainz. Der Deutsche Meister im Debattieren 2008 schult Redner aus Politik, Wirtschaft und Lehre in ganz Deutschland. Er war Vizepräsident des Verbands der Debattierclubs an Hochschulen e.V. und ist amtierender Präsident des EUDC, des Europäischen Rats des Debattierens. Als Dozent ist er unter anderem für die Hertie School of Governance Berlin, die European Business School (EBS), die Hamburg Media School (HMS) und die FH Frankfurt im Einsatz.