Erst vor wenigen Wochen lief die erste Ausgabe des Dortmunder «Tatorts», Das Erste legt an diesem Wochenende mit der zweiten Episode nach. Julian Miller sah sich den 90-minütigen Film vorab an.
Story
In Nora Dalays Nachbarschaft wurde der Dealer und Zuhälter Serkan Bürec erschossen. Er galt als rechte Hand des zwielichtigen Geschäftsmannes Tarim Abakay. Für Kriminalhauptkommissar Peter Faber deutet alles darauf hin, dass sich am Tatort auch eine Zeugin aufhielt. Doch sie bleibt spurlos verschwunden. Dass die Mordkommission jetzt in ihrem Revier ermittelt, gefällt den Streifenpolizisten Rainer Polland und Paul Klose gar nicht. Nora Dalay kennt den impulsiven Polland gut. Früher gingen die beiden gemeinsam auf Streife.
Und auch Pollands Ehefrau Sonja ist in der Gegend keine Unbekannte: Die Ex-Prostituierte engagiert sich heute für Straßenmädchen und hilft ihnen, wo sie kann. Schnell findet die Hauptkommissarin Martina Bönisch einen guten Draht zu ihr. Aber weiß sie auch, wo die verschwundene Tatzeugin steckt? Daniel Kossik hört sich derweil bei den Männern um, die „am Arbeiterstrich" auf den nächsten Job warten. Mit einem von ihnen, Marek Bojanov, soll sich das Opfer vor kurzem gestritten haben. Ging es um die horrenden Mieten für die heruntergekommene Unterkunft, die dessen Boss Tarim Abakay von den Einwanderern kassiert?
Darsteller
Jörg Hartmann («Weissensee») als Peter Faber
Anna Schudt («Alles was recht ist») als Martina Bönisch
Aylin Tezel («Almanya – Willkommen in Deutschland») als Nora Dalay
Stefan Konarske («Same Same But Different») als Daniel Kossik
Thomas Arnold («Allein gegen die Zeit») als Jonas Zander
Robert Schupp («Die Stein») als Hauptkommissar Krüger
Tanja Schleiff («Die Jagd nach dem Schatz der Nibelungen») als Sonja Polland
Kritik
Das hohe Niveau der Dortmunder «Tatort»-Premiere vor ein paar Monaten wird mit der zweiten Folge nicht nur gehalten, sondern noch einmal übertroffen. Drehbuchautor Jürgen Werner und Regisseur Thomas Jauch (beide zeichneten sich in ihrer jeweiligen Position bereits für die erste Ausgabe verantwortlich) dringen nun dichter vor zu den Figuren und deren Umfeld.
Die türkischstämmige Nora wohnt trotz ihres angesehenen und finanziell auch passabel vergüteten Berufs als Polizistin immer noch in der Dortmunder Nordstadt, einem Sumpf aus Gewalt und Korruption mit einem hohen Anteil an sozial schwachen Ausländern. Vor allem die Bulgaren sind es, die es am härtesten trifft: Sie verdingen sich für ein paar Euro als Tagelöhner und gabeln auf dem Arbeiterstrich vorbeifahrende Passanten als potentielle Arbeitgeber auf. Die deutschen Geschäftebetreiber der Marke White Trash sind darüber nicht sonderlich glücklich, um es gelinde auszudrücken. „Mein Revier“ geht mitten rein in die sozialen Probleme, zeigt sie in einer schonungslosen Offenheit – und zeigt auch, wie die staatlichen Strukturen konsequent dabei versagen, sie in den Griff zu bekommen.
Es sind aber auch die stringente Dramaturgie und die rasante Erzählweise, die vor allem in der ersten Hälfte kaum Zeit zum Durchatmen lassen, sondern flink eine Wendung an die nächste setzen und so schlagfertige und dynamische Dialoge liefern, wie man das sonst eigentlich nur von amerikanischen Produktionen gewohnt ist. Auch die düstere Ästhetik und die schnellen Schnitte tragen dazu ihren Teil bei.
Anders als in den meisten «Tatorten» geht man auch bei der Figurenkonstellation andere Wege. Peter Faber ist nicht unbedingt ein Sympathieträger, wenn er in Befragungen den Angeschuldigten so lange provoziert, bis dieser ihm ins Gesicht schlägt, und generell nie ein Blatt vor den Mund nimmt. Die Charaktere sind hier nicht auf Biegen und Brechen auf Identifizierbarkeit getrimmt, sondern haben äußerst markante Eigenschaften und gerne auch sehr düstere Seiten, was sie um ein Vielfaches interessanter macht als das gute, nette Ermittlerduo, das zwar nicht immer das Gesetz, aber die Sympathien auf seiner Seite hat.
Letztlich hat man mit Aylin Tezel und Jörg Hartmann noch zwei außerordentlich versierte Darsteller, die sich vor Axel Prahl und Jan Josef Liefers nicht zu verstecken brauchen, und durch ihr reduziertes Spiel eine sehr nahegehende und authentische Performance zeigen. Das soll die Leistungen von Anna Schudt und Stefan Konarske, die beide ebenso überzeugen, in dieser Folge nicht mindern – da ihre Figuren, verglichen mit den beiden Anderen des Ermittlerquartetts einen Tacken weniger individuell gezeichnet sind, stechen sie jedoch nicht ganz so sehr hervor wie ihre Kollegen.
Bleibt zu hoffen, dass es schon möglichst bald weitere neue Folgen aus dem Pott auf die Mattscheibe schaffen. Denn derart eindrucksvolle «Tatorte» wie die beiden bisherigen aus Dortmund sieht man selten.
Das Erste strahlt «Tatort: Mein Revier» am Sonntag, den 11. November 2012, um 20.15 Uhr aus.