Der an skandinavische Thriller erinnernde Krimi fängt äußerst stark an, erreicht im Mittelteil die Talsohle, um in einem grotesken Finale zu alter Stärke zurückzufinden.
Inhalt:
Bruno van Leeuwen hat schon viele Tatorte gesehen, doch was den Kommissar am Koniginnedag im Amsterdamer Vondelpark erwartet, stellt ihn vor ein böses Rätsel: Kevin, ein etwa 13-jähriger Junge liegt im Gebüsch, mit eingeschlagenem Schädel und einem klaffenden Loch im Gaumen. Man hat sein Gehirn entfernt. Was könnte das Motiv für diesen bestialischen Mord an einem Kind sein?
Seine Frau Simone kann ihm diese Frage nicht beantworten. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, die Tag für Tag kleiner wird, denn sie ist, kaum 50 Jahre alt, an Alzheimer erkrankt. Nur mühsam und mit Hilfe der Pflegerin Ellen kann Bruno sich noch selbst um Simone kümmern. Und er weiß längst, dass Ellen Recht hat: Er muss seine Frau ins Heim geben. Aber das will er nicht, Simone ist die Liebe seines Lebens. Umso schmerzhafter ist es für van Leeuwen, als er entdeckt, dass Simone ihn vor Jahren betrogen hat.
Nachts treibt van Leeuwen Simones Betrug um, tagsüber sucht der Kommissar nach der Lösung des tödlichen Rätsels. Ein kleiner Bambussplitter, den van Leeuwen am Tatort gefunden hat, bringt ihn schließlich auf die richtige Spur. Die Herkunft des Bambus aus Melanesien und die groteske Vorgehensweise des Mörders lassen einen Ritualmord vermuten.
Darsteller:
Peter Haber («Verblendung», «Kommissar Beck») ist Bruno van Leeuwen
Maja Maranow («Tatort», «Ein starkes Team»)ist Simone van Leeuwen
Tobias Moretti («Kommissar Rex», «1 1/2 Ritter») ist Josef Pieters
Jasmin Gerat («Kokowääh», «Mann tut was Mann kann») ist Julika Tambur
Johanna Gastdorf («Das Wunder von Bern», «Die Welle») ist Ellen
Marcel Hensema («Wild Romance», «Deadline») ist Anton Gallo
Kritik:
Unangenehm erscheint es einem. Die Szenerie, die Thematik -
«Eine Frau verschwindet» ist eine Ansammlung an obskuren Ideen und unheimlichen Vorstellungen, die für ZDF-Verhältnisse ungeheuer mutig scheinen. Ritualmorde, Verstümmelung, das Heraustrennen eines Gehirns: Ja, ohne Zweifel kann der kommende Fernsehfilm der Woche als gewagt bezeichnet werden. Und doch auf einer Basis, die versucht, nicht allzu drastisch zu wirken.
«Eine Frau verschwindet» verzichtet zum einen auf explizite Gewaltdarstellung. Zwar ist die unheilvolle Thematik allgegenwärtig, die Ermittler unterhalten sich offen über die Methodik, mit welcher das Gehirn eines ermordeten Jungen entfernt wurde, und doch wahren die Figuren dabei einen gewissen Ehrenkodex. Zwar wird nichts beschönigt, die Kommissare nehmen kein Blatt vor den Mund, aber man verzichtet darauf, aus den Vollen zu schöpfen. Man tauscht das Nötigste miteinander aus, was zur Folge hat, dass es im Ermessen des Zuschauers liegt, wie weit er in seiner Fantasie gehen kann und möchte. Während sich das mutige Publikum die Szenerie vielleicht detailgetreu vorstellt, belassen es zartbesaitete Betrachter dabei, den wissenschaftlichen Fakten zuzuhören. Dank dieser Idee entsteht ein akustischer Thriller, während die Bilder sich an Krimi-Vorbildern orientieren, zu denen ganz klar der «Tatort» und vor allem Stieg Larssons «Millenium»-Trilogie gehören dürften. Vor allem letztere hat augenscheinlich viel ihrer Machart zu derer von «Eine Frau verschwindet» beigetragen. Die Düsterness, die Ruhe und die Detailverliebtheit, die in entscheidenden Momenten drastischen Schnitten, gefolgt von Minimalismus weicht, sorgten bereits in «Verblendung», «Verdammnis» und «Vergebung» für die unvergleichliche Stimmung – und die Mischung zwischen Krimi, Thriller, gepaart mit einer erotischen Spannung.
Letztere findet man versteckt in der Beziehung zwischen Ermittler Bruno und seiner an Alzheimer erkrankten Frau. Auch, wenn beide ihrer körperlichen Liebe keinen Ausdruck mehr verleihen können, ist Bruno derart verzweifelt in seine Frau verliebt, dass es offensichtlich erotische Szenen gar nicht benötigt, damit ein Kribbeln zwischen dem ungleichen Paar entsteht. Schlussendlich sind es wieder Worte, die im Kopf für eine gewisse Form der Drastik sorgen: Es ist das Vorlesen von Briefen, die an Pornographie heranreichen. Und schließlich ist es wieder dem Leser selbst überlassen, ob er sich seinem Kopfkino hingibt, oder ausschließlich den Worten lauscht. Dennoch wirkt diese Szene deplatziert. Es hätte sie schlichtweg nicht gebraucht, sodass sie in ihrem Auftauchen gewollt mutig wirkt und dabei das genaue Gegenteil erreicht.
Ein Blick auf die Besetzungsliste verrät eine ungewohnte Zusammensetzung der Darsteller. Zur Wahrung von Authentizität wählte man – passend zur Kulisse Amsterdam – viele niederländische Darsteller für die Haupt- und Nebenrollen aus. Dies ist angenehm, sorgt es doch für frischen Wind im ansonsten eher drögen Krimi-Deutschland. Viele der Schauspieler bewahren sogar ihren niederländischen Akzent. Das wirkt zugegebenermaßen zunächst befremdlich. Doch weicht dieser Skepsis schnell die Gewöhnung. Mehr noch: Die Wahl der Darsteller mitsamt ihrer Intonation erscheint schnell originell und schlichtweg anders. Ob der Durchschnitt-gewohnte Krimi-Zuschauer sich mit dieser Idee anfreunden kann, ist wohl von jedem einzelnen abhängig. Die Idee an sich ist mutig und spricht dafür, dass sich die Macher etwas Besonderes für ihr Publikum einfallen lassen wollten, anstatt ihnen Einheitskost zu bieten.
Neben den Schauspielern gehören zum «Eine Frau verschwindet»-Ensemble selbstverständlich auch die Leute hinter der Kamera. Allen voran Regisseur Matti Geschonneck. Der Macher von TV-Movie-Perlen wie «Das Ende einer Nacht» lässt stellenweise seine Handschrift durchblitzen. Allen voran in der Optik, die wie üblich auf jedwede Art von Farbfilter, schnelle Schnitte und anderweitigen „modernen Krimskrams“ verzichtet. Man möchte sagen, Geschonnecks Werke scheinen minimalistisch und wiegen diesen Minimalismus anhand ausladender Drehbücher und interessanter Plottwists wieder auf. So auch hier.
Musikalisch erinnert der Score von «Eine Frau verschwindet» mit seinen eingängigen, ruhigen Piano-Melodien an Streifen wie Sam Mendes‘ «American Beauty» oder den Erotik-Thriller «Eyes Wide Shut». Nur wenige Tonfolgen schaffen es bereits, dem Zuschauer eine Gänsehaut zu bereiten. Dies passt zur Machart des Regisseurs und reiht sich perfekt in die Reihe der Attribute ein, mit der «Eine Frau verschwindet» ohne Zweifel überzeugen kann.
Doch leider zeigt sich stellenweise eine gewisse Anbivalenz in der Qualität, mit der die Handlung voranschreitet. Die Art, wie mit den Thematiken umgegangen wird ist ohne Zweifel beachtenswert und sorgt für Unbehagen, ohne dabei zu viel zu offenbaren. Gleichzeitig verschossen die Macher ihr Pulver bereits innerhalb der ersten Hälfte. Ab dann baut der Streifen qualitativ immer mehr ab und mausert sich leider zu einem typischen ZDF-Krimi. Dialoge ziehen sich äußerst zäh, der Film wirkt stellenweise viel zu lang und macht es dem Publikum nicht unbedingt einfach, trotz des vielversprechenden Beginns dranzubleiben. Dazu sollte es sich jedoch zwingen, denn die Auflösung, die ohne Zweifel mit internationalen Produktionen mithalten kann, entschädigt zu weiten Teilen für den langwierigen Mittelteil.
Fazit: «Eine Frau verschwindet» bietet einen mutigen Mix aus akustischem Thriller und augenscheinlichem Krimi, der sich stellenweise auf dem Niveau skandinavischer Vorbilder befindet. Frischer Wind in der Darstellerriege und ein interessanter Twist gen Ende sorgen für ein spannendes Filmerlebnis, das sich aufgrund eines zähen Mittelteils nicht ganz in die Reihe der Streifen von Matti Geschonneck einordnen kann, für die der Regisseur schon Preise gewann.
Das ZDF strahlt «Eine Frau verschwindet» am Montag, den 15. Oktober um 20:15 Uhr aus.