Benjamin von Stuckrad-Barre ist umgezogen: von ZDFneo zum kleinen Spartenkanal Tele 5. Senderchef Kai Blasberg will qualitativ hochwertige Unterhaltung liefern. Julian Miller hat die Privatsender-Premiere des etwas anderen Polit-Talkers gesehen.
Stuckrad-Barres Sendung war schon immer ganz großer Kindergeburtstag. In seiner Late-Night-Show war er zu ZDFneo-Zeiten bereits mit Marina Weisband im Bett, mit Michael Glos stand er am Stehtisch und ließ ihn von Fiona Erdmann nach allen Regeln der Kunst anbaggern, mit Katja Kipping tanzte er Disco-Fox.
Am Schluss liegt die Politik so, wie sie eigentlich ist, brach und Stuckrad-Barre steht über ihr wie ein Gerichtsmediziner, der mit flinkem Skalpell alles Ablenkende beiseite geschabt hat: die Fassade auseinander geschoben, die leeren Phrasen herausseziert, die Inhalte extrahiert und (vermeintlich) in die Mülltonne gekloppt. In seiner Sendung ist kein Platz für vorbereitete Statements, für verlogene Zurschaustellung, für die Vermittlung von Inhalten, wie sie der jeweilige Politiker gerne präsentieren würde. Denn wenn es „zu inhaltlich“ wird, geht Stuckrad-Barre dazwischen, tanzt Disco-Fox, rennt um den Tisch oder verbrennt einen Zehn-Euro-Schein. Bis der Zirkus wieder weitergehen kann. In seiner Sendung gibt er sich dabei als ideologische Nullmenge aus, die zunächst einmal alles satirisch und damit kritisch beäugt. Ohne diese Anbiederung und diesen übertriebenen Respekt vor Politikern eines Günther Jauch oder Markus Lanz.
Nach dem Umzug zu Tele 5 hat sich am Inhalt wenig verändert. Der dramaturgische Kern aus allerhand Nonsenselementen, kompromissloser Unterhaltung, beißender Satire und eiskaltem Journalismus, den hauptsächlich Markus Feldenkirchen vom „Spiegel“ als der Linke und Nikolaus Blome von der „Bild“ als der Rechte verkörpern, ist derselbe geblieben. Nur stellenweise wurden behutsam Neuerungen eingefügt; in der ersten Folge etwa ein als Peer Steinbrück verkleidetes Mädchen, das dem Gast Johannes Ponader die Frage der Woche stellen durfte.
Ungewohnt wirkt dagegen die Studiooptik, die nun aus einer blauen Wohlfühlatmosphäre irgendwo zwischen urbanem Yuppie-Wohnzimmer in einem ganz trendigen Loft und klassischem angelsächsischen Late-Night-Look besteht, womit sie große Ähnlichkeiten zum Set der ersten ZDFneo-Staffel aufweist. Die futuristischen, kalten Quader und der zelebrierte Einrichtungsnihilismus vom Frühjahr wurden wohl irgendwo in der Berliner Fernsehwerft eingemottet. Alles ist ein wenig wohnlicher, ein wenig peppiger, ein wenig mehr „in“ - oder zumindest eine Karikatur davon. Bei Stuckrad-Barre weiß man das nie so genau.
Letztlich kommt es aber auf den Content an – Einrichtungsfragen sind ohnehin eher Geschmackssache. Außerdem sind wir hier beim Polit-Talk und nicht bei Tine Wittlers Wohnalpträumen. Und der Inhalt stimmt. Auch wenn, oder wahrscheinlich gerade weil dem Format nicht nur immer wieder eine massive Inhaltsleere vorgeworfen wird, sondern Stuckrad-Barre und Produzent Christian Ulmen auch ein Stück weit mit dieser Eigenschaft der Sendung hausieren gehen. Am Schluss schaffen sie es jedoch gerade dadurch, deutlich mehr Inhalte zu vermitteln und deutlich schärfere und klarere politische Bilder zu zeichnen als etwa «Günther Jauch». Vor allem natürlich, wenn Jauch sich wieder Sarah Wiener eingeladen hat oder mit zwei Brathähnchen im Gasometer steht und damit den hoffnungslosen Versuch unternimmt, politische Relevanz vorzutäuschen. Bei Stuckrad-Barre muss sich ein Politiker verteidigen; bei «Günther Jauch» darf Helmut Schmidt eine Stunde Wahlwerbung für Peer Steinbrück machen. Klar, wer da letzten Endes die eigentlich relevantere Sendung macht. Überraschend ist da schon viel eher, wo die läuft. Denn während ARD und ZDF in ihren Polit-Talks die boulevardesken Zugänge nacheinander abklappern, macht Tele 5 politisch relevante Sendungen im einundzwanzigsten Jahrhundert für ein Publikum, das auf der Höhe der Zeit ist und einen Computer hochfahren kann. „Sie sprechen hier nicht mit Sandra Maischberger“, sagte Stuckrad-Barre in der gestrigen Sendung zu Ponader, als dieser ihm Twitter und Shitstorms erklären wollte.
Damit ist klar, wovon man sich hier distanziert: nämlich vom öffentlich-rechtlichen Mainstream-Polit-Talk-Establishment, dessen Ergebnisse nach dem Ende der Sendung gegen null gehen, das nur selten einen Mehrwert in der politischen Diskussion bietet, das den Kindergarten Politik so ernst nimmt, dass es weh tut, das die Phrasen nicht entlarvt, sondern ihnen eine Plattform bietet – und damit letztlich viel mehr Nonsens offenbart, als es «Stuckrad-Barre» tut. Nur, dass man den öffentlich-rechtlichen Nonsens nicht an der Oberfläche wahrnehmen kann, sondern erst ein wenig kratzen muss. So wie Stuckrad-Barre die Worthülsen seiner Gäste auseinander nimmt, als eine Art Michel Friedman, nur in weniger aggressiv.
Wenn die Qualitätsoffensive bei Tele 5 von Senderchef Kai Blasberg (Foto) eines nicht ist, dann eine Anbiederung an den letzten hirntoten Zuschauer. Hier sind noch Fernsehmacher am Werk, keine Controller oder Marktforscher oder Intendanten, die Mainstream lernen wollen und dabei vergessen, wofür man sie gefeiert hat. Leider geil, Frau Dr. Emmelius!