…wird politisch. Ein Kommentar zum vielleicht größten Highlight des TV-Herbsts.
Damit hat TV-Tausendsassa Stefan Raab wieder alle überrascht: Ab November moderiert er eine politische Gesprächsrunde bei ProSieben und steigt als Meinungsmacher in das Karussell der Polit-Talkshows ein, das sich bisher fast ausschließlich bei öffentlich-rechtlichen Sendern drehte. Bei seiner Ankündigung zur neuen Show «Absolute Mehrheit» im „Spiegel“ verteilte Raab – selbstbewusst wie immer – gleich eine kleine Spitze gegen den Schwestersender Sat.1, der mit «Eins gegen Eins» ebenfalls eine Art Polit-Talk etablieren will. Doch Raab „will die einzige relevante Talkshow im Privatfernsehen machen“, wie er selbst sagt. Ein ehrgeiziges Ziel. Aber kein unmögliches, wie die Vergangenheit gezeigt hat.
Schon bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen übte sich Raab als Polit-Moderator und veranstaltete Primetime-Sondersendungen, die erstaunlich gute Einschaltquoten erreichten – so am 26. September 2009, einen Tag vor der Wahl: Über 1,5 Millionen junge Zuschauer, auf die Raab es als Zielgruppe vor allem abgesehen hat, sahen damals die Sendung. Und dies an einem Samstagabend um 20.15 Uhr. Die Einschaltquote betrug 15,2 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen und lag damit weit über den ProSieben-Durchschnitt. Dies zeigt das Potenzial, das die vermeintlich politikverdrossenen jüngeren Zuschauer mitbringen. Weshalb Raab auch sagt, „dass man die jungen Zielgruppen mit solchen Formaten wieder für Politik interessieren kann.“
Schon damals aber lieferte Raab, gemeinsam mit Peter Limbourg und mehreren hochrangingen Politiker-Gästen, keinen einfachen und drögen Talk, sondern etwas anderes: Politainment. Eine Art unterhaltsame, spielerische Vermittlung von politischen Inhalten. Dies geschah bei den «TV total Bundestagswahlen» beispielsweise durch Abstimmungen im Publikum, die ihren persönlichen Bundestag bereits am Abend vor der eigentlichen Wahl zusammenstellen konnten. 2005 mit einem erstaunlich realitätsnahen Ergebnis, 2009 mit einem weniger aussagekräftigen. Aber unabhängig von der Prognosegenauigkeit der «TV total»-Zuschauer folgte nachher die Erkenntnis: Unterhaltsam war das Ganze in jedem Fall.
Und weil Stefan Raab wie wohl kein zweiter weiß, wie man seine Zuschauer unterhält, wird er das Konzept des Polittainment auch bei seinem baldigen Talk anwenden: Hier dürfen die Zuschauer per Telefon abstimmen, welcher der Diskutanten am überzeugendsten argumentiert hat. Erreicht einer von vorgesehenen vier bis fünf Talkgästen (Politiker + ein Promi + ein Normalbürger) sogar die absolute Mehrheit, gewinnt er 100.000 Euro – bei Politikern und Promi vermutlich für den guten Zweck.
Letztlich aber steht nicht der Geldgewinn im Mittelpunkt, sondern die Abstimmung. Denn die liefert am Ende der Sendung schwarz auf weiß, wer der beste Gesprächsteilnehmer war und wer vielleicht nur leere Phrasen gedroschen hat. Dieses Voting kann also eine Art Korrektiv werden für die teils inhaltsleeren Talks, die sich scheinbar im Kreise drehen. Berufspolitiker sollten daher genau überlegen, ob sie in Raabs Ring steigen. Die Gefahr ist gar nicht so klein, dass sie sich am Ende blamieren.
Dass nicht nur Stefan Raab es ernst meint mit dem Projekt «Absolute Mehrheit», zeigt auch der Programmplatz, den ProSieben in unregelmäßigen Abständen für die Sendung freiräumt – es ist der wohl beste beim ganzen Sender: jenen nach dem fast immer sehr zuschauerstarken Spielfilm am Sonntagabend. Das Quotenziel steht aufgrund dieses Sendeplatzes fest: Konkurrent Günther Jauch im Ersten bei den jungen Zuschauern zu schlagen, auch wenn dessen Sendung meist wohl nur für kurze Zeit direkt parallel gegen Raab senden wird. Dennoch verspricht die Konstellation das wohl spannendste TV-Duell des Herbsts. Dieses werden selbst Frau Merkel und ihr – noch unbekannter – SPD-Herausforderer in einem Jahr nicht toppen können, wenn die nächste Bundestagswahl ansteht. Außer, sie veranstalten ihre Redeschlacht bei Stefan Raab höchstpersönlich…
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