Woody Allen zeigt sich in seinem Episodenfilm über Rom und die Liebe erstaunlich konturlos.
Woody Allen war zwar nie wirklich weg, dennoch wurde vergangenes Jahr «Midnight in Paris» als sein großes Comeback gefeiert – berechtigterweise, führte der bezaubernde Nostalgie-Trip den neurotischen New Yorker doch wieder zu altem Glanz zurück und brachte ihm nach einigen Jahren als Programmkino-Randerscheinung wieder ausgewachsene Medienaufmerksamkeit ein. Konsequenterweise herrschte eine große Erwartungshaltung, wie sich der auf «Midnight in Paris» folgende Rom-Ausflug des mehrfachen Oscar-Preisträgers schlägt, schließlich tritt er in «To Rome with Love» nach sechsjähriger Pause wieder selbst vor die Kamera. Begleitet wird er dabei unter anderem von Penélope Cruz (gekrönt mit einem Academy Award für Allens «Vicky Cristina Barcelona»), Alec Baldwin («30 Rock»), Jesse Eisenberg («The Social Network»), Ellen Page («Juno») und Roberto Benigni («Das Leben ist schön»). Wer sich angesichts dieses Ensembles von Woody Allens komödiantischem Episodenfilm zu den Themen Liebe, Romantik, Sex und Zuneigung ein großartig gespieltes, cleveres Kinovergnügen verspricht, dürfte allerdings vom konturlosen Drehbuch des Stadtneurotikers enttäuscht werden.
Eine der voneinander unabhängigen Episoden erzählt von den frisch vermählten, schlichten italienischen Landleuten Antonio (Allessandro Tiberi) und Milly (Alessandra Mastronardi), die ihre Flitterwochen in Rom verbringen, wo sie unversehens in Situationen stolpern, die ihre Beziehung auf die Probe stellen: Während Antonio von der Prostituierten Anna (Penélope Cruz) für einen Kunden gehalten wird, verirrt sich Milly auf der Suche nach einem Friseur in die Arme des schmierigen Leinwandstars Luca Salta (Antonio Albanese). Ebenfalls in Versuchung gerät der Architekturstudent Jack (Jesse Eisenberg), der sein gemütliches Leben in Rom und an der Seite seiner Freundin Sally (Greta Gerwig) niemals in Frage gestellt hat. Dies ändert sich, als Sally Besuch von ihrer besten Freundin Monica (Ellen Page) erhält, einer Männer verschlingenden, pseudointellektuellen Künstlerin, die mit ihrer aufgeweckten Persönlichkeit die Aufmerksamkeit stets auf sich zu lenken weiß. Dagegen kann auch der Stararchitekt John (Alec Baldwin) nichts unternehmen, der für einige Tage beim ihn verehrenden Jack untergekommen ist und den naiven Jüngling vor der durchschaubaren Masche Monicas zu warnen versucht.
Derweil besucht auch der aufgrund seiner avantgardistischen Ideen belächelte Opernregisseur Jerry (Woody Allen) der Ewigen Stadt einen Besuch ab. Eigentlich reiste er mit seiner Gattin Phyllis (Judy Davis) lediglich dorthin, um seinen zukünftigen Schwiegersohns Michelangelo (Flavio Parenti) kennen zu lernen, aber als er dessen Vater Giancarlo (der Tenor Fabio Armiliato) singen hört, wittert er die Chance nach einem Comeback. Den großen Durchbruch über Nacht hat Durchschnittsbürger Leopoldo (Roberto Benigni) bereits hinter sich: Schimpfte er zuvor noch über die verwöhnten Stars dieser Welt, ist er nun, ohne dass ihm der Anlass bekannt wäre, ebenfalls ein begehrter Promi, um den sich die Fans und Medien scharen. Was zahlreiche Privilegien mit sich bringt, doch auch Nachteile ...
Nach dem nostalgisch-melancholischen «Midnight in Paris» dreht Woody Allen in «To Rome with Love» das klamaukige Element wieder stärker auf. Zumindest in den Episoden rund um Roberto Benignis Star-über-Nacht Leopoldo und in der Geschichte des nach neuem Ruhm greifenden Opernregisseur Jerry. Diese zwei Episoden sind bewundernswert anachronistisch, da sie vollkommen stur auch ihre exzentrischeren Momente erzählen, ohne sich an ihnen verzaubernden Rationalisierungen zu versuchen. Dies verleiht ihnen zusätzlichen, unaufdringlichen Irrsinn sowie auch eine zeitlose Eigendynamik. Benigni zeigt in der Rolle des ahnungslosen Tölpels wieder sein großartiges komödiantisches Timing, zugleich wird Woody Allen jedem seiner Fans mit seiner überspitzten Selbstdarstellung als neurotischer Kunstregisseur ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern. Doch während die Dialoge beider Blödel-Episoden geschliffen sind, ist es die Erzählweise leider nicht: Nachdem die Kernpointe ausgereizt wurde, folgt sowohl in der Benigni-, als auch in der Allen-Geschichte ein längerer, den Witz mindernder und erzählerischen Schwung bremsender Epilog.
Wesentlich stärker überstrapaziert Allen allerdings die Geschichte um Naivling Jack und die Verführerin Monica. Zwar ist dieses Segment dank Ellen Page, die mit Intensität und feiner Ironie die prahlerische, ach-so-freigeistige Quasselstrippe spielt, das schauspielerisch am stärksten beeindruckende des Films, jedoch ist es auch sehr vorhersehbar. In der Mitte der Story wiederholen sich zudem vermehrt immer gleich gelagerte Szenen, in denen sich Monica zur welterfahrenen Traumfrau aufspielt, was der von Eisenberg sympathisch-nervös gespielte Jack anfangs durchschaut, bis er sich einlullen lässt und auch Johns altersweisen Rat überhört. Bleibt somit nur noch die Story rund um das junge, italienische Ehepaar, welche tatsächlich auch nicht zu ausschweifend erzählt wird und dank der sich in ihrer Rolle als wache sowie herzensgute Prostituierte genießenden Cruz durchaus einigen Pep zu bieten hat. Die hierzulande völlig unbekannten Tiberi und Mastronardi versprühen unverbrauchtes Charisma, und auch wenn weder Handlungsverlauf noch Aussage dieser Liebes-Verwirrgeschichte neu sind, kann Woody Allen der Geschichte dank einer verschnörkelten Erzählweise neues Leben einhauchen.
Wenn nur eine von vier Geschichten durchweg überzeugt und diese auch noch die unoriginellste des Films ist, die zwei Klamauksegmente gen Schluss ihre Pointe überreizen und der schauspielerisch beste Part eines Episodenfilms vorhersehbar geschrieben ist, fällt es trotz einiger einsichtiger wie herrlich verschrobener Dialoge schwer, ein positives Fazit zu ziehen. «To Rome with Love» ist, und das ist bei Filmen von Woody Allen fast schon das Mindeste, ein Film mit Charisma. Man merkt Allen die Liebe zum Schauplatz an und die Spielfreude der Beteiligten verleiht «To Rome with Love» eine Denkwürdigkeit, die etwa Garry Marshalls Episodenfilme nicht aufweisen können. Jedoch fehlt dem Drehbuch der letzte Schliff, der Meisterregisseur und -autor läuft in diesem Episodenfilm nur auf kreativer Sparflamme. Der Kinogang lohnt sich deshalb nur für echte Allen-Fans, und sei es nur, um den Meisterregisseur wieder spielen zu sehen.