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«Schlüter sieht's»: Von Sat.1 und verpassten Chancen

Der Privatsender kommt vor allem in der Daytime nicht auf Kurs. Und nutzt am Abend die Schwäche der Konkurrenz nicht.

RTL ist unumstritten der größte deutsche Privatsender – nicht nur anhand der Einschaltquoten, die dies schwarz auf weiß belegen, sondern auch gefühlt ist RTL die Nummer eins: weil der Sender im Gespräch bleibt, weil er immer wieder große Event-Formate sendet und weil er durch seinen bewährten Programm-Mix zumindest noch etwas Vielfalt bietet. Aber wer ist Ihrer Meinung nach die Nummer 2 der großen deutschen Privatsender hinter RTL? Ist es gefühlt noch der Sender Sat.1, bei dem in unseren Köpfen immer noch die Nostalgie der großen Jahre mit Schreinemakers, «ran», der «Wochenshow» oder auch der «Glücksspirale» mitschwingt?

Sat.1 war lange Zeit der zweite große Privatsender neben RTL, welcher ein Programm für die ganze Familie machte. ProSieben tat dies zwar auch, legte sich aber bereits sehr früh auf eine ganz junge Zielgruppe fest – und hatte daher in den Köpfen vieler Zuschauer, besonders der älteren, nie die Relevanz, die Sat.1 zumindest einmal erreicht hatte. Doch Jahre des Missmanagements haben die glorreichen Zeiten des Senders fast vergessen lassen.

Der letzte richtig große Quotenhit von Sat.1 liegt weit zurück – und möglicherweise ändern die Zuschauer ihre Sehgewohnheiten und –prioritäten im nächsten TV-Jahr grundlegend. Will heißen: Der feste Zuschauerstamm bricht weg – erkennbar beispielsweise an den desolaten Einschaltquoten, die der Sender derzeit am Vorabend einfährt. Weniger als vier Prozent Marktanteil in der Zielgruppe hatte am Montag das 19.30-Uhr-Magazin «push». Dies sind Quoten, über die selbst kabel eins klagen würde. Mit einem Tagesmarktanteil von acht Prozent lag Sat.1 am Montag hinter RTL II und VOX sowie nur einen Prozentpunkt vor kabel eins. Eine Momentaufnahme – oder baldige Gewohnheit angesichts der aktuellen Entscheidungen?

Unverständlich war beispielsweise die vorschnelle Absetzung der Gameshow «Ab durch die Mitte», die ohnehin nach Plan nur noch diese Woche im Programm war und teils bessere Quoten hatte als das Programm davor und danach. Sat.1 setzte die Show trotzdem eine Woche früher ab und sendet nun Doppelfolgen der Crime-Doku «K11» – mit erwartbar schlechten Quoten. Nicht besser läuft es für die Test-Talks um 12 Uhr, die ebenfalls Marktanteile im einstelligen Bereich vorweisen. Die Zuschauer haben dieses Konzept abgestraft: Schließlich war der Talk «Annica Hansen» mit immerhin 13,3 Prozent Marktanteil gestartet, verlor dann aber schnell an Zuspruch.

Richtig ist es grundsätzlich, auf solche Teststrecken zu setzen. Aber warum man mutige Konzepte wie das einer Vorabend-Gameshow vorschnell abbricht, ist nicht nachvollziehbar. Zumal der Schlüssel zum Erfolg möglicherweise nur über Programm führt, das sich von der Konkurrenz abhebt. Dies kann zum Beispiel heißen: Weg vom massiven Anteil an Reality TV, unter das weite Teile der Daytime fallen. ProSieben hat sich von diesem Genre deutlich abgegrenzt und erntet dafür gute Quoten – auch wenn es ebenfalls nicht allzu viel Perspektive bringt, die immergleichen Sitcoms am Nachmittag zu wiederholen.

Ärgern müssten sich die Sat.1-Verantwortlichen über ihre Flops und die generelle Lage des Senders eigentlich immens: Denn der Dauer-Marktführer RTL schwächelt – vor allem in der Primetime – in diesem Jahr stark. Und die Chance, den Kölnern hinsichtlich der Quoten näher zu kommen, ist derzeit vielleicht so groß wie seit den 90er Jahren nicht. Sat.1 müsste genau jetzt in die Offensive gehen und schnell handeln. Zum Beispiel mit den vielen Millionen, die man nun durch den Verlust der Champions-League-Einnahmen zur Verfügung hat. Angekündigt sind bisher trotzdem nur zarte Versuche: Zum Beispiel die neuen eigenproduzierten Primetime-Serien, die ab 10. September starten, aber nur sechs oder sieben Folgen beinhalten. Fühlt sich fast an wie die nächste Test-Sendung…

Jan Schlüters Branchenkommentar gibt es jeden Mittwoch nur auf Quotenmeter.de.
25.07.2012 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/58094
Jan Schlüter

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