Im Herbst 2011 begann Das Erste seine Programmoffensiven am Vorabend und in der Primetime – knapp ein Jahr danach bleiben ein gemischtes Zwischenfazit und weiter bestehende Baustellen, vor allem am Vorabend. Defizite hat man zudem im Unterhaltungs-Genre. Season
Die vergangene TV-Saison (September 2011 bis Mai 2012) hat Das Erste schwach abgeschlossen: Im Durchschnitt erreichte der Sender nur noch 11,8 Prozent Marktanteil beim Fernsehpublikum ab drei Jahren – und damit den schlechtesten Wert seit langer Zeit. Selbst hinter das ZDF, das 12,0 Prozent erreichte, ist man zurückgefallen. Gegenüber der Vorsaison betrug das Minus des Ersten satte 0,8 Prozentpunkte – nur RTL hat, auf höherem Niveau, noch mehr Marktanteile abgeben müssen.
Die Baustellen
Die größte Baustelle des Ersten bleibt nach wie vor der Vorabend, der seit vergangenem Herbst umfangreiche Programmänderungen erfahren hat: Die lang geplanten «Heiter bis tödlich»-Krimiserien erreichten allerdings meist nur 1,5 bis 2 Millionen Zuschauer und lösten das chronische Vorabendproblem keineswegs. Mehrere Serien hat die ARD daher bereits abgesetzt, insgesamt hält man aber auch in Zukunft am Krimi-Genre fest – trotz der starken ZDF-Konkurrenz, bei der die alteingesessenen Krimis wie «SOKO 5113» zuletzt sogar noch Zuschauer gewannen.
Ein noch größerer Flop war «Gottschalk Live», das eigentlich Dreh- und Angelpunkt der Vorabend-Offensive war und endlich wieder viele Zuschauer anlocken sollte. Wie allseits bekannt kam alles anders – und die Probleme wurden mit Thomas Gottschalk nur noch größer. Seit Juni ist nun Schadensbegrenzung angesagt, doch Lösungen sind längst nicht in Sicht: Erst am vergangenen Freitag floppte mit «Null gewinnt» der nächste Vorabend-Neuling.
Neben der Programmreform vor 20 Uhr vollzog Das Erste im Herbst 2011 auch Neuerungen in der Primetime: Durch Günther Jauchs neues ARD-Engagement als Polit-Talkmaster rochierte man munter die meisten anderen Talkformate auf neue Sendeplätze, was sich wiederum auf die Sendezeiten weiterer Primetime-Programme auswirkte. Diese abendliche Programmreform verlief in großen Teilen reibungsloser als jene am Vorabend: Frank Plasberg konnte die Marktanteile des Ersten am Montagabend steigern und gewann im Jahr 2012 weitere Zuschauer für seinen Talk «Hart aber fair». Günther Jauch verbesserte die Quoten seiner Vorgängerin Anne Will deutlich – diese wiederum kann relativ zufrieden mit ihren Zuschauerzahlen am Mittwoch sein. Talk-Sorgenkind bleibt lediglich Reinhold Beckmann, der am ohnehin quotenschwachen Donnerstag-Spätabend schwach startete und zuletzt sogar noch Zuschauer verlor. In der Primetime läuft es sonst dank beliebter Fiction-Programme weiterhin gut – besonders am Dienstagabend mit Quotenrennern wie «Um Himmels Willen» und am Sonntag mit dem «Tatort».
Die Chancen
Alles bleibt beim Alten: Für die kommende Saison hat Das Erste kaum Neuerungen angekündigt und will den eingeschlagenen Weg vorerst weitergehen – die Krimi-Schiene am Vorabend bekommt also eine neue Chance und geht damit ins zweite Sendejahr, während auch die schwächelnde Daily «Verbotene Liebe» (Foto) on Air bleiben darf. Festzuhalten bleibt aber: Sollten sich die Zuschauerzahlen auch bis 2013 nicht merklich verbessern, muss die ARD wieder einmal neue Konzepte für den Vorabend entwickeln. Schon jetzt ruft die schwache Akzeptanz der Programmstrecke neue Gedankenspiele auf den Plan: So wünschen sich laut einer Hörzu-Umfrage viele Zuschauer richtige Dokumentationen in der sogenannten „Todeszone Vorabend“.
Trotz der größtenteils ordentlichen bis guten Zuschauerzahlen stehen auch die fünf großen ARD-Talks unter Beobachtung: Intern wird von verschiedenen Rundfunkräten die inhaltliche Beliebigkeit und Ähnlichkeit kritisiert – die Gremien fordern mittelfristig eine Reduzierung der TV-Diskussionsrunden. Vor Ende 2013, wenn die Verträge der Talker auslaufen, dürfte es hier aber noch keine Programmänderungen geben – außer bei «Beckmann», das gerüchteweise schon bald wieder am Montag zu sehen sein könnte. Die aktuelle Kritik birgt jedoch vor allem die Chance, dass sich die Macher der Formate selbst hinterfragen und ihre Talks optimieren: Durch eine stärkere inhaltliche Abgrenzung voneinander könnten Sendungen bestimmte Schwerpunkte und auf neue Gesprächspartner – abseits des altbekannten Gäste-Karussells – setzen. Und somit für die ohnehin dringend benötigte Frische in der anscheinend festgefahrenen deutschen Talkshow-Landschaft sorgen.
Im Unterhaltungsbereich steht Das Erste besonders mit Kai Pflaume und seinen Quizshows gut da – zumindest in der Primetime. Erfolgreich bleibt zudem Guido Cantz mit seinem Samstagabend-Format «Verstehen Sie Spaß?», das auch in der vergangenen Saison teils mehr als fünf Millionen Zuschauer und oftmals ein großes jüngeres Publikum hatte. Noch nicht ganz angekommen ist dagegen Matthias Opdenhövel, der mit seinem «Countdown» am Donnerstagabend schwach abschnitt und zuletzt mit «Brot und Spiele» beim Gesamtpublikum nicht punktete. Das Erste muss einerseits Geduld mit dem neuen Sendergesicht beweisen, andererseits noch nach besseren Konzepten für Opdenhövel suchen: möglicherweise mit einer Samstagabendshow, die regelmäßig ausgestrahlt wird und nicht nur als Event – und die neue Impulse in diesem Genre setzt, das sich derzeit im Umbruch befindet und neue Chancen eröffnet. Andererseits läuft die ARD Gefahr, mit Opdenhövel das vielleicht größte Showmaster-Talent der vergangenen Jahre zu verkennen.
Mut beweisen muss Das Erste auch in Sachen Humor: Zuletzt hat das ZDF mit starken Comedy- und Satire-Formaten bewiesen, wo gute komödiantische Unterhaltung im deutschen Fernsehen derzeit zu Hause ist – und dafür die Lorbeeren in Form von guten Zuschauerzahlen geerntet. Neben Dieter Nuhrs «Satire Gipfel», Ina Müller und Kurt Krömer hat Das Erste nach dem Abgang von Harald Schmidt derzeit selbst keine großen Namen zu bieten. Und auch von den Plänen eines öffentlich-rechtlichen «Switch» unter dem Arbeitstitel «Das Ernste» hat man in diesem Jahr nichts mehr gehört. Das intern ausgemachte „Humordefizit“ des Ersten scheint auch in den nächsten Monaten Bestand zu haben. Dabei gibt es so viele gute öffentlich-rechtliche Humorformate in den dritten Programmen – und zudem einige untergetauchte Fernsehgesichter, die an Comedy-Glanzzeiten der ARD erinnern und mit neuen Shows vielleicht wieder erinnern würden: Was machen eigentlich Hape Kerkeling und Jürgen von der Lippe?