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Bald 20 «Tatort»-Teams: Gut für die Reihe?

Wird sich der dramaturgische Fokus der «Tatort»-Reihen ändern müssen, wenn bald mehr Ermittler auf Mörderjagd gehen?

Der «Tatort» bekommt in Bälde Verstärkung. Massive Verstärkung. Gleich fünf neue Ermittlerteams sind angekündigt, darunter jeweils eines unter der Leitung von Til Schweiger und Wotan Wilke Möhring, deren neue Reihen in Hamburg angesiedelt sind. Doch auch in Dortmund und im Saarland wird bald wieder munter gemordet, während Thüringen seinen ersten «Tatort» überhaupt erhalten soll. Zieht man die in diesem Jahr eingestellten Reihen um das Saarland-Duo Kappl und Deininger (gespielt von Maximilian Brückner und Gregor Weber) und den Hamburger Undercover-Ermittler Cenk Batu (gespielt von Mehmet Kurtulus) ab, so sind das netto drei neue Reihen der Dachmarke, die uns in nächster Zeit ins Haus stehen, womit man auf insgesamt zwanzig Ermittlerteams kommen wird.

Gleichzeitig scheint es unwahrscheinlich, dass diese Änderung dazu führen wird, schlicht mehr neue «Tatort»-Folgen pro Jahr zu produzieren. So werden die beiden neuen Reihen um Schweiger und Möhring etwa nur auf eine neue Folge pro Saison kommen. Die gleiche Schlagzahl scheint für den Schweizer Ableger zu gelten, dessen erste neue Ausgabe im August vor einem Jahr lief, während die zweite am 28. Mai 2012 als die letzte vor der Sommerpause ausgestrahlt wurde. Das beliebte Münsteraner-Duo Thiel und Börne schafft es ebenso auf nur zwei Folgen pro Jahr. Die Zeiten, in denen Ermittlerteams vier oder gar fünf Mal im Jahr zu sehen waren, scheinen zumindest zu weiten Teilen vorbei zu sein. Der Trend ist klar: Der «Tatort» entzerrt sich, wird dadurch, dass es bald so viele verschiedene Reihen gibt wie noch nie zuvor, vielseitiger.

Unterschiede hat es schon immer gegeben: Die Münsteraner Version mit Jan Josef Liefers und Axel Prahl in den Hauptrollen konzentriert sich dramaturgisch etwa sehr stark auf die amüsanten Konflikte, die sich aus der Interaktion zwischen den beiden grundverschiedenen Hauptprotagonisten ergeben, und lässt die eigentlichen Krimi-Plots dabei nicht selten die zweite Geige spielen. Der Wiener «Tatort» um Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser ist dagegen für seine manchmal recht derben Töne bekannt, für den typischen Wiener Humor und den Hauch Sozialkritik, den man trotz all der Kuriositäten fast immer in die Folgen einbaut. Deutlich mehr in die Sozialkritik-Schiene geht dagegen die niedersächsische Reihe um die Ermittlerin Charlotte Lindholm (gespielt von Maria Furtwängler), die hauptsächlich in der Landeshauptstadt Hannover angesiedelt ist, während die nun eingestellte Hamburger Reihe um Cenk Batu (gespielt von Mehmet Kurtulus) für deutsche Krimi-Verhältnisse eine hohe Plot-Dichte aufwies und vergleichsweise actiongeladen erzählte. Das hat die positive Konsequenz, dass der «Tatort» heute kein Einheitsgewäsch mehr ist, sondern durch die vielen thematisch und narrativ sehr unterschiedlichen Reihen nicht nur für jeden Geschmack etwas bieten kann, sondern sogar wöchentlich problemlos zwischen eher humoristischen und eher ernst-sozialkritischen Umsetzungen alternieren kann. Das schafft kaum eine andere Dachmarke.

In einem Interview mit dem Medienmagazin DWDL.de führte «Tatort»-Koordinator Gebhard Henke noch weitere, eher pragmatische Gründe an, warum mehr Reihen und weniger Folgen pro Reihe durchaus Sinn machen. Schließlich ist es bei einer Schlagzahl von lediglich ein oder zwei Folgen pro Jahr einfacher, prominente und/oder sehr versierte Darsteller wie Til Schweiger, Wotan Wilke Möhring, Jan Josef Liefers oder Axel Prahl an Bord zu holen, die allesamt (verständlicherweise) noch an einer Vielzahl anderer Projekte arbeiten wollen, was sich bei einem Kontingent von vier oder gar noch mehr zu produzierenden Folgen pro Jahr kaum realisieren lassen würde. Und ohnehin: Auch Henke hat Bedenken, dass sich pro Jahr fünf gute Drehbücher für jede Reihe entwickeln ließen. Ein Grundsatzproblem, das der Funktionsweise des deutschen Fernsehmarkts geschuldet ist, und dem man durch eine Verringerung der Anzahl der herzustellenden Episoden aus dem Weg gehen kann.

Doch es gibt auch Kritik an dieser Neuerung – unter Anderem auch aus den eigenen Reihen: «Tatort – Leipzig»-Hauptdarstellerin Simone Thomalla ließ sich von Bild.de etwa folgendermaßen zitieren: „Wenn ein «Tatort»-Team jetzt nur noch maximal zweimal im Jahr ermittelt, kann man viele Geschichten, gerade zwischen den Kommissaren, nicht mehr erzählen. Die Abstände zwischen den Ausstrahlungen sind zu groß.“

Diese Kritik lässt sich jedoch recht schnell entkräften. Denn der «Tatort», in dem die Figurenführung mit am stärksten im dramaturgischen Zentrum steht, ist die Münsteraner Reihe um Thiel und Börne – und dieses Duo ist seit ihrer ersten Folge 2002 nur zweimal im Jahr zu sehen. Wenn man sich die Einschaltquoten ansieht, stellt man fest, dass gerade dieses Ermittlerteam beim Publikum besonders gut ankommt. Dass es erzählenswerte Geschichten gäbe, die man aufgrund der geringen Anzahl an jährlich hergestellten Folgen nicht angehen könnte, lässt sich zumindest an diesem Beispiel nicht erkennen. Zwar mag es durchaus nur sehr wenige Handlungsbögen geben, die sich über mehrere Ausgaben erstrecken, doch auf die amüsante Grundkonstellation zwischen den Protagonisten, aus der sich der Reiz der Reihe speißt, hat dies keinerlei Auswirkung.

Was sich jedoch vielleicht erkennen lässt, ist eine straffere Erzählweise. Und die Tatsache, dass Thiel und Börne auch nach zehn Jahren immer noch ein großes Publikum und die versammelte Kritikerschaft unterhalten. Zwar nur zweimal im Jahr, dafür aber langfristig.
22.07.2012 09:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/58028
Julian Miller

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Tatort

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