Die neue RTL-Dokusoap «Letzte Chance für unsere Ehe» zeigt sich als ein für RTL-Verhältnisse erschreckend nüchternes Format. Ohne Umschweife und erstaunlich realistisch begleitet die Sendung zwei Paare durch die dunklen Zeiten ihrer Beziehung – und darüber hinaus.
Man mag es kaum glauben, aber in den Unendlichkeiten der deutschen Doku-Landschaft gibt es tatsächlich noch Bereiche, die von RTL in Form eines Helpformates noch nicht abgedeckt wurden. Dabei ist es so simpel: wo Partnerfindung, die erste gemeinsame Wohnung und Kindererziehung bereits längst von Kameras begleitet werden, hat man die dunklen Seiten einer Beziehung bislang relativ konsequent außer Acht gelassen. Nun wagt RTL den ersten Schritt in diese Richtung und setzt auf schwer verdauliche Kost am frühen Sonntagabend.
Mit der Doku-Soap
«Letzte Chance für unsere Ehe» liefert der Privatsender, der in der Vergangenheit aufgrund des augenscheinlich sinkenden Niveaus in eigenproduzierten Formaten oft ins Kreuzfeuer der Kritiker geriet, ein Format ab, das auf den ersten Blick nicht ganz in die angenommene Programmfarbe passen mag. Es fehlt die mittlerweile zum Standard gewordene Leichtigkeit. Der Ton, den die Sendung bereits ab den ersten Minuten an den Tag legt, ist gedämpft und nachdenklich. Das beginnt schon beim Sprecher. Setzte man in den vielen ähnlich aufgebauten Doku-Formaten auf ein- und denselben Stammkommentator, der die Situationen entweder ironisch-sarkastisch beobachtete oder bis ins Überspitzte dramatisierte, baut man hier auf eine Sprecherin, die in einem verhältnismäßig neutralen Tonfall die Szenerien kommentiert. Zudem verzichtet man auf versuchte Analysen der Szenerie, sondern bleibt beim Betrachten und Erklären. Dies führt dazu, dass die Sendung in einer relativ strikten Gangart voranschreitet und eine gewisse Seriosität ausstrahlt. Außerdem holte man mit Susanne Veit eine echte Diplom-Therapeutin mit ins Boot. Ihr Job ist es, Ordnung in die Situationen der beiden geschilderten Fallbeispiele zu bringen und mithilfe von Erfahrung und Einfühlungsvermögen die zerrütteten Beziehungen zu kitten.
Leider erhält der auf den ersten Blick doch positive Eindruck dieses Sendungsexperiments einen ordentlichen Knacks, wenn man beginnt, die beiden Familienfälle zu betrachten, die in der Testepisode von «Letzte Chance für unsere Ehe» behandelt werden. Es sind zwei Paare, denen sich das Format abwechselnd widmet. Auf der einen Seite stehen Daniel und Annika, die sich nach sechs Jahren Ehe auseinandergelebt haben und denen zudem ein unerfüllter Kinderwunsch das Leben schwer macht. Die geschilderten Umstände sind realistisch und werden nüchtern, dabei aber nicht oberflächlich beleuchtet. Nach einer Analyse der Situation, seitens der Diplompsychologin, werden in ruhiger Erzählweise einzelne Lösungsansätze präsentiert. Gemeinsam mit Susanne Veit fährt das Paar an Orte der gemeinsamen Erinnerung, beantwortet die Frage, wie im Alltag mehr Nähe zwischen beiden geschaffen werden kann und setzt sich intensiv mit dem Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ auseinander. Das Ergebnis dieses kurzen Einblicks in eine Paartherapie ist am Ende ein erneuter Heiratsantrag von Daniel an seine Frau. „Mission geglückt!“ möchte man sagen. Zudem präsentiert sich dieses Fallbeispiel zwar als nicht sonderlich spektakulär, dafür aber umso reeller.
Ganz anders verhält es sich allerdings beim zweiten Beispiel, das immerhin die andere Hälfte der Laufzeit ausmacht. Sabrina und Andy aus Köln haben eine Tochter. Und auch diese beiden stehen vor den Scherben ihrer Ehe. Doch hier sind die Umstände ein wenig anders. Denn während man im ersten Beispiel eindeutig auf bodenständige Hauptdarsteller baute und ohne viel Effekthascherei auskommen wollte und –kam, greift man hier nun auf zwei Protagonisten zurück, die zwar immerhin nicht gescripted zu sein scheinen, allerdings auch einer «Frauentausch»-Episode entsprungen sein könnten. Das Klischee von der klassischen „primitiven Familie“ wird hier bis ins Detail ausgeschlachtet. Vom ungepflegten Aussehen beider über eine verdreckte Wohnung, bis hin zur abenteuerlichen Artikulation und der Tatsache, dass Ehemann Andys Lieblingsbeschäftigung das ganztägliche Computerspielen ist, greift man hier auf sämtliche Vorurteile zurück, die man über ein sich streitendes Pärchen im Kölner Plattenbau wohl haben mag. Wenn nun auch noch theatralisch inszeniert wird, wie Andys Ehefrau vor aller Augen den zur Sucht gewordenen Flugsimulator vom Computer ihrer Mannes löscht und diesen damit an den Rande des Nervenzusammenbruchs treibt, möchte man fast meinen, die Köpfe hinter der Sendung haben hier zwei völlig unterschiedliche Sendungsansätze in einem Format zusammengebracht.
Doch eins soll betont werden: wenngleich man vor allem bei der Auswahl des letzteren Paares wohl darauf vertraute, die niederen Zuschauerinstinkte zu befriedigen, die man mit seinen Dokusoaps sonst befriedigen will, kann beobachtet werden, dass eine bewusste Zurschaustellung weitestgehend ausbleibt. Man verzichtet auf ironische Kommentare seitens der Kommentatorin, auf die zum Standard gewordenen Chart-Balladen zur Vertonung der Situationen und Stilmittel wie Zeitlupenaufnahmen und Schwarz-Weiß-Bilder. Zudem belässt man es nicht nur bei der Darstellung des Streits, sondern Diplom-Psychologin Susanne Veit ist ernsthaft auf der Suche nach Lösungsansätzen. Zwar missglückt der Vermittlungsversuch der Paartherapeutin und eine Versöhnung bleibt aus, doch anstatt wie in so vielen anderen Formaten endet die Arbeit von Susanne Veit nicht damit, das Experiment für gescheitert zu erklären, sondern geht darüber hinaus. So begleitet sie Ehefrau Sabrina bis zur Scheidungsanwältin, hilft ihr beim Papierkram und sieht ihre Aufgabe erst dann als erfüllt an, wenn ein handfestes Ergebnis erzielt wurde.
Zusammengefasst möchte man meinen, die Autoren seien mit einer gewissen Doppelmoral an die Sendung herangegangen. Auf der einen Seite wären da die ruhige Erzählweise, pädagogisch wertvolle Erkenntnisse und der Anschein, seinen Protagonisten wirklich etwas Gutes tun zu wollen. Auf der anderen Seite scheint solch ein ernstes Format jedoch nicht in die erfolgreiche Richtung zu passen, die RTL in den letzten Monaten durch mehr oder minder sinn- und wertlose Dokusoaps eingeschlagen hat. Somit bringt man Elemente in das Format, die den anfangs positiven Eindruck regelrecht kaputt machen. Trotzdem muss hervorgehoben werden: ein derart ernstes Format zu einer Thematik, die mit Fingerspitzengefühl angefasst werden möchte, hätte man RTL trotz aller Kritikpunkte nicht zugetraut. Fraglich, ob derart ungewohnte und vor allem ernste Kost den RTL-Stammzuschauer zufriedenstellt.