«Popstars» – die Mutter aller Castingshows – ist zurück. Doch es ist nicht einfach eine neue Staffel, die diesen Donnerstag auf Sendung ging. Es ist Popstars 2.0. Das sagt zumindest Detlef D! Soost, der nicht totzukriegende Juryvorsitzende der auch in diesem Jahr vierköpfigen Jury. Diesmal an seiner Seite: drei Musiker, die selbst einmal als Kandidaten in der ProSieben-Show angefangen haben. Doch auch sonst gibt es einige Neuerungen.
Nach einem Jahr Pause holt ProSieben 2012 das Casting-Urgestein
«Popstars» wieder in die Primetime zurück. Beim Sendeplatz ging man keine Experimente ein, sondern wählte den sich in den letzten Jahren zum Castingshow-Stammplatz etablierten Donnerstagabend aus. Vorab wurden bereits neue Regeln und vor allem eine runderneuerte Jury angekündigt. Runderneuert? Nur fast! Was dem RTL sein Dieter, ist dem ProSieben sein D! – denn natürlich darf Choreograph und «Popstars»-Gesicht Detlef D! Soost nicht fehlen. An seiner Seite nehmen in dieser Staffel keine wirklichen Musikgrößen Platz, sondern ganz bodenständig ehemalige Zöglinge des Juryvorsitzenden. Die einstigen «Popstars»-Kandidaten Lucy Diakovska (2000, „No Angels), Ross Antony (2001, „Bro’Sis“) und Senna Guemmour (2006, „Monrose“) unterstützen ihren damaligen Mentor bei der Suche nach neuen, hoffnungsvollen Talenten. Bereits relativ früh beweisen vor allem die beiden Damen eindrucksvoll ihr eigenes Können und zeigen anhand dessen, dass sie den Gesang beherrschen und nicht nur in dieser Staffel locker eine Runde weiter kommen würden, sondern auch, dass der Juryposten doch auf eine Art und Weise berechtigt mit ihnen besetzt wurde; wenngleich man sagen muss, dass die Castingshow bei der Juryauswahl stets ein glücklicheres Händchen bewies als die Kölner Konkurrenz.
Das neue Voting- bzw. Punktesystem ist schnell erklärt. Jedes Jurymitglied hat insgesamt drei mögliche Punkte zu vergeben. Die Anzahl aller Punkte ergibt bei vier Bewertenden zusammen zwölf. Ein Weiterkommen der Kandidaten ist ab acht Punkten garantiert. Das bedeutet im Extremfall: selbst wenn einer der Juryangehörigen einem Kandidaten partout nichts abgewinnen kann, könnte dieser weiterkommen. Vorausgesetzt, die Kollegen kratzen ihre Punkte zusammen und lassen ihn mit mindestens acht Punkten in die nächste Runde. Dieses Prinzip stellt nicht nur die Relevanz aller Juryteile in den Vordergrund, sondern bringt bringt auch eindeutigere Klarheit als vage, emotionale Entscheidungen. Zudem liefert es den Kandidaten ein Schwarz-auf-Weiß-Ergebnis ihrer Gesangskünste, was möglicherweise auf den ersten Blick radikal klingt, sich in den Bewertungen jedoch als fairer herausstellt als auf bloßen Emotionen beruhende Entscheidungen. Trotzdem wird nicht an expressiven Dialogen gespart, sodass ab und an gern ein Auge zugedrückt wird, wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin besonders niedlich in die Kamera lächelt.
Leider hat «Popstars» 2.0 bei seinem neuen Anstrich vergessen, auf die altbewährte Methode der Tränendrüsenmassage zu verzichten. Zwar werden in der zehnten Staffel emotionale Einspieler weggelassen, die Frage nach irgendeinem traurigen Schicksalsschlag in der Vergangenheit muss aber nach wie vor erlaubt sein. Man möchte meinen, dass es heutzutage zum guten Ton gehört, wenn in Castingshows Tränen fließen – immerhin zelebriert die ProSieben-Show diesen sich totlaufenden Trend nicht mehr ganz so penetrant. Auf dem schmalen Grad zwischen Zurschaustellung und wahren Gefühlsausbrüchen wandelt auch der Umgang mit den Kandidaten, an denen der liebe Gott bei der Gabe von Talent ein wenig flotter vorbeispaziert ist. Hier verfährt ProSieben geschickt und unterteilt die typischen Casting-Nerds in zwei Kategorien. Während sie die der selbstbewussten Sorte vor die Jury schicken, wo sie sich ein hartes aber nicht entwürdigendes Urteil abholen können, belässt man es bei den sensibleren Kandidaten dabei, Ausschnitte aus ihrer Vorstellung unkommentiert zu zeigen. Zwar bleibt die Frage, ob auch das sein muss. Da man jedoch davon ausgehen kann, dass die Kandidaten der Veröffentlichung ihrer Auftritte zugestimmt haben, ist ein derartiger Umgang mit den weniger talentierten Sängerinnen und Sängern absolut legitim – und in der Castingshowlandschaft vorbildlich.
Besonders revolutionär ist die erste Ausgabe der «Popstars»-Staffel natürlich nicht, doch negativ ist das keineswegs. Die ersten Castings bieten gewohnte Talentshow-Kost mit einer Mischung aus durchschnittlichen, guten und teilweise sehr guten Künstlern. Die Jury hat ein hohes Unterhaltungspotential. Für den emotionalen Part sorgt in diesem Jahr Ross Antony, der das ein oder andere Mal kräftig schlucken muss, wenn er „an sich selbst“ erinnert wird. Überhaupt scheint die Taktik, ehemalige Kandidaten in die Jury zu nehmen, eine gute gewesen zu sein. Wer, wenn nicht selbst ehemalige Castingteilnehmer könnten besser aufkeimendes Gesangspotential beurteilen? Damit vor allem das noch besser gelingt, entschied sich ProSieben für die Einführung besonderer Mikrophone, die zu jedem Zeitpunkt beliebig stummgeschaltet werden können, sodass bei Gruppenperformances das Hauptaugenmerk auf nach und nach jeden einzelnen Künstler gerichtet werden kann. Leider fehlt es bislang allerdings vor allem den Kandidaten an Wiedererkennungswert, den «Popstars» dringend braucht, um die Zuschauer auch in Zukunft bei der Stange zu halten. Da man sich in dieser Staffel entschied, die Nach-Casting-Phase anstatt in Deutschland auf Ibiza stattfinden zu lassen, ist es allerdings gut möglich, dass die Show in diesem Punkt noch einen gewaltigen Sprung macht. Immerhin bot sich die Recall-Phase schon immer für das Einstreuen von Soap-Elementen an, sodass die Kandidaten nach und nach an Profil gewannen.
Abgerundet wird der überraschend gute erste Eindruck der Jubiläumsstaffel von «Popstars» durch das neue Outfit, das die Show in ihrer Generalüberholung erhalten hat. Das Intro präsentiert sich in sommerlicher Kulisse, die Kandidaten erhalten vor jedem Auftritt einen übersichtlichen Steckbrief in Form einer Einblendung und die Insertierungen bekamen allesamt einen neuen Anstrich, sodass das angestaubte Image, das die Show in den letzten Jahren inne hatte, wie weggefegt ist.
Mit der gelungenen Mischung aus „zurück zu den Wurzeln“ und neuem Anstrich dürfte einem Quotenerfolg für «Popstars» nun eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Doch was könnte der Show das Genick brechen? Leider kommt die Talentshow zu einem Zeitpunkt, in dem der Castingshow-Überdruss in Deutschland (noch) allgegenwärtig ist. Was «Popstars» braucht, ist die Hoffnung, dass die Zuschauer den Mut haben, wenigstens einen Blick zu riskieren, um sich selbst davon zu überzeugen, dass die Mutter aller Castingshows den so wichtigen Schritt in Richtung „ernst zu nehmende“ gemeistert hat. Weg von der Freakshow, zurück zum Musikwettbewerb. Mit kleinen Änderungen und dem neuen Gewand wäre der Show ein Erfolg zu wünschen.