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Die Kritiker: «Boxhagener Platz»

Story


Am Boxhagener Platz in der DDR lebt im Jahr 1968 der zwölfjährige Holger mit seinen Eltern. Bei denen ist er allerdings eher selten, viel mehr verbringt er seine Zeit mit seiner Großmutter Otti. Tägliche Spaziergänge zum Friedhof und Männerbekanntschaften inklusive. Holger liebt seine Oma, die immer eine Geschichte aus ihren jungen Jahren und leckeres Essen parat hat. Die beiden kümmern sich um Opa Rudi, der ans Bett gefesselt ist. Die Zeit vergeht wie im Flug, das Leben macht Spaß. Bis eines Nachts der Nazi Fisch-Winkler tot aufgefunden wird. Und zwar in jener Nacht, in der Rudi das erste Mal seit langem – ohne ein Wort zu sagen – wieder das Haus verlassen hat.

Die Indizien scheinen eindeutig, doch als ganz so einfach erweist sich der seltsame Vorfall dann doch nicht. Denn Rudi stirbt bald an einer alten Kriegsverletzung. In die einstige Idylle am Boxhagener Platz ist Unruhe eingekehrt. Zudem machen Flugblätter mit ungern gesehenen Parolen die Runde. Schließlich bandelt Otti auch noch mit dem Spartakuskämpfer Karl an, in dem Holger einen Freund findet. Aber wer ist für den Tod an Fisch-Winkler verantwortlich?

Darsteller


Gudrun Ritter («Das Haus der Krokodile») ist Otti
Michael Gwisdek («Vater Morgana») ist Karl Wegner
Samuel Schneider («Guter Junge») ist Holger
Meret Becker («Kokowääh») ist Renate
Jürgen Vogel («Hotel Lux») ist Klaus-Dieter
Hermann Beyer («Vergiss dein Ende») ist Rudi

Kritik


In der Vergangenheit angesiedelte Filmstoffe schaffen im besten Falle ein Gefühl der Nostalgie. Stimmt die Atmosphäre, wirkt das Setting authentisch, ist die halbe Miete eingefahren. Wenn der Regisseur zudem nicht auf den Kopf gefallen ist und die Darstellerriege einen Hauch von ihrem Beruf versteht, könnte die ganze Sache eine ziemlich runde werden. All diese Faktoren scheinen sich beim «Boxhagener Platz» zusammengefügt zu haben.

Mit der Verpflichtung der fast 76-jährigen Gudrun Ritter hat Regisseur Matti Geschonneck einen wahren Glücksgriff gelandet. Als herrlich kauzige Oma Otti (eine ähnliche Dame verkörperte sie auch im Kinofilm «Das Haus der Krokodile») lässt sie einen kernigen Spruch nach dem anderen vom Stapel, zeigt dabei selten Gefühlsregungen. An Stelle von Holger würden auch wir jeden Rat dieser alten Frau befolgen. Auch wenn es zunächst etwas merkwürdig anmuten mag, dass das Trinken von lauwarmem Wasser einen guten Stuhlgang zur Folge hat. Ritter trägt diesen Film und es macht ungeheuren Spaß, ihr dabei zuzusehen. Unterstützung erhält sie von ihren ebenfalls großartig aufspielenden Schauspielkollegen wie etwa Samuel Schneider, der seine Rolle bemerkenswert meistert. Alle Charaktere wurden hervorragend besetzt. Wir sind mitten im Leben der ehemaligen DDR. Wir sind ein Teil vom Boxhagener Platz.

Lange Zeit wohnen wir dem alltäglichen Treiben dort bei. Es ist klein hier, jeder kennt jeden. Es gibt Gespräche, Lästereien, ja auch Gerüchte. Einen Mord allerdings ist noch nicht vorgekommen. So ändert sich mit dem Vorfall auch die Stimmung des Films. Der trockene, niemals in Klamauk ausartende Humor macht Platz für eine etwas ernstere Seite. Alles behutsam und einfühlsam inszeniert von Geschonneck. Die Atmosphäre versetzt uns in die 1960er-Jahre, die Spannungskurve steigt zunehmend an. Schnörkellos, fast schon still. Und äußerst gelungen. Man fühlt sich ins Geschehen hineinversetzt. Es wirkt authentisch, eben durch die vorherrschende Menschlichkeit. Wo Trauer ist, findet sich trotzdem immer noch Platz für leisen Humor. Das beste Beispiel liefert die Beerdigung von Rudi. Eine tieftraurige Angelegenheit, die in einem Fiasko endet. Dennoch ertappt man sich beim Schmunzeln. Ein schlechtes Gewissen muss man dabei nicht haben.

Das unbekümmerte Drehbuch von Torsten Schulz bringt sowohl die etwas ernstere Thematik als auch das schroffe DDR-Leben am Ort des Geschehens zur Geltung. «Boxhagener Platz» ist ein weitestgehend herzlicher Film mit tollem Witz, einer exzellenten Hauptdarstellerin und einer einnehmenden Geschichte; ein vom Kameramann ansehnlich fotografiertes und vom Regisseur treffend in Szene gesetztes Drama. Und eine ganz klare Empfehlung.

Das Erste strahlt «Boxhagener Platz» am Mittwoch, den 4. Juli, um 20.15 Uhr aus.
04.07.2012 19:30 Uhr Kurz-URL: qmde.de/57720
Janosch Leuffen

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Tags

Boxhagener Platz

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