Alles auf Anfang! Kann der Neubeginn der «Spider-Man»-Reihe den vorherigen Verfilmungen das Wasser reichen?
Das Geschrei der Fans war groß, als Sony Anfang 2010 nach all den verkündeten Plänen zu einem regulären vierten Teil der äußerst lukrativen «Spider-Man»-Reihe das Projekt überraschend fallen ließ und stattdessen plötzlich von einem kompletten Neubeginn sprach. Die Streitigkeiten mit Stammregisseur Sam Raimi über das Drehbuch und die Richtung, in welche sich die Fortsetzung entwickeln sollte, ließen sich scheinbar nicht beilegen, weshalb sowohl Raimi als auch Hauptdarsteller Tobey Maguire schließlich die Produktion verließen. Bei Sony Pictures wollte man indes natürlich nicht auf das erfolgreiche Franchise verzichten, spielten die ersten drei Teile der Comicverfilmung weltweit doch rund 2,5 Mrd. US-Dollar ein. Darüber hinaus kann nur mit regelmäßig produzierten Kinoauftritten Spider-Mans verhindert werden, dass die Filmrechte an Figurenschöpfer Marvel zurückfallen.
So wurde gemäß der in Hollywood grassierenden Ideenarmut ein ohnehin für die Zeit nach «Spider-Man 4» als Allheilmittel in Erwägung gezogener Reboot kurzerhand vorgezogen. Mit Marc Webb («(500) Days of Summer») und Andrew Garfield («Das Kabinett des Dr. Parnassus», «The Social Network») waren in den folgenden Monaten auch schnell ein neuer, aufstrebender Regisseur sowie ein unverbrauchter Hauptdarsteller gefunden, sodass die Produktion mit großen Schritten vorangetrieben werden konnte, um nun pünktlich zum 50-jährigen Comicjubiläum der freundlichen Spinne aus der Nachbarschaft die Kinos der Welt zu erobern. Und auch wenn es in der Tat weiterhin sehr befremdlich erscheint, dass eine so populäre Filmreihe nur zehn Jahre nach dem ersten und lediglich fünf Jahre nach ihrem dritten und letzten Teil bereits von vorne gestartet wird, kann sich das Endergebnis durchaus sehen lassen.
In «The Amazing Spider-Man» bekommen wir Peter Parker (Andrew Garfield) also erneut als High-School-Schüler zu sehen. Zu jenem Zeitpunkt wohnt der gutmütige Außenseiter bereits einige Jahre bei seinem Onkel Ben (Martin Sheen) und seiner Tante May (Sally Field), haben seine Eltern ihn als Kind eines Nachts doch aus ungeklärten Gründen deren Obhut überlassen und sind wenig später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Als Teenager findet Peter nun zufällig alte Unterlagen seines verstorbenen Vaters, der gemeinsam mit seinem Partner Dr. Curt Connors (Rhys Ifans) an speziesübergreifender Genetik geforscht hat. Um mehr über seinen Vater und dessen Arbeit zu erfahren, nimmt er daraufhin Kontakt zu Dr. Connors auf.
Während des Aufenthalts in dessen Labor, in dem auch Peters Mitschülerin und heimliche Angebetete Gwen Stacy (Emma Stone) als Praktikantin arbeitet, wird er jedoch von einer genetisch veränderten Spinne gebissen und entwickelt daraufhin enorme Kräfte und einige sonderbare Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, mühelos an Wänden hinaufzuklettern, sich besonders agil zu bewegen oder bestimmte Ereignisse einige Sekunden im Voraus zu ahnen. Während er sich allmählich mit diesen neuen Talenten vertraut macht, unterstützt er den einarmigen Dr. Connors mithilfe der Aufzeichnungen seines Vaters bei seinen Forschungen. Connors möchte unter Nutzung der DNA von Eidechsen deren Fähigkeit, Körperteile nachwachsen zu lassen, auf andere Spezies übertragen. Ein Selbstversuch geht jedoch gehörig schief und so muss sich Peter neben seinen alltäglichen Problemen auch noch mit einer aggressiven Kreuzung aus Mensch und Echse herumschlagen, die für Schrecken und Chaos in New York sorgt.
Zweifellos mag einiges an dieser Ausgangssituation vertraut klingen, sind einige Elemente der Comicvorlage schließlich unumstößlich, um aus Peter Parker Spider-Man werden zu lassen. Dennoch gelingt es Marc Webb und seinen Drehbuchautoren bereits bekannte Aspekte gelungen zu variieren sowie abseits dessen mit einer etwas anderen und düstereren, aber dennoch lockeren Herangehensweise an den Stoff für genügend frischen Wind zu sorgen, um keinerlei Langeweile aufkommen zu lassen. In einigen Gesichtspunkten orientiert sich «The Amazing Spider-Man» dabei noch ein Stück näher an der Comicvorlage als Sam Raimis Trilogie. Und dennoch zeigen sich die Macher darüber hinaus erfreulich mutig, wenn sie gänzlich eigene Ansätze zur Hintergrundgeschichte Spider-Mans entwickeln und einen weder in den Comics noch in den bisherigen Verfilmungen in der Form vorgekommenen Handlungsstrang um Peter Parkers Eltern und vor allem die tragende Rolle seines Vaters entwerfen. Zwar wird hier vieles lediglich angedeutet, doch bergen die aufgeworfenen Fragen einiges an interessantem Potential, welches die Macher sicherlich für die fest geplanten Fortsetzungen zu nutzen wissen.
Unzweifelhafte Kernstärke des Films ist jedoch Hauptdarsteller Andrew Garfield, der mit seiner großartigen Performance einen glaubhafteren, wenn auch etwas anders gearteten Peter Parker abliefert als Tobey Maguire. Garfield gelingt es vorzüglich, alle Facetten und Emotionen seiner Figur eindringlich zu vermitteln und so auch deren Einleben in die Rolle als Spider-Man sehr nachvollziehbar und vor allem sympathisch zu gestalten. Doch auch Emma Stone («Zombieland», «Crazy, Stupid, Love.») erweist sich als Peter Parkers erste große Liebe Gwen Stacy als wahrer Glücksgriff. Die Romanze zwischen den beiden weiß mit ungezwungenen, weitestgehend klischeefreien, dafür aber mit charmantem Witz angereicherten Dialogen vollends zu überzeugen. Die Chemie zwischen den beiden stimmt von vorne bis hinten, was unter Umständen auch daran liegen mag, dass es zwischen Garfield und Stone während der Dreharbeiten privat tatsächlich gefunkt hat. Nicht zuletzt mithilfe ihrer gemeinsamen Szenen gelingt es dem Film eine ausgewogene und wunderbar funktionierende Balance zwischen Komik, Tragik, Romantik und Action herzustellen.
Dagegen fällt der Bösewicht allerdings ein kleines Stück ab. Zwar gibt sich der stets sehenswerte Rhys Ifans («Notting Hill», «Radio Rock Revolution») sichtlich Mühe, das Maximum aus seiner Figur herauszuholen und so auch einige Sympathiepunkte für sich einzuheimsen, doch gibt ihm das Drehbuch nicht genügend Spielraum, um sich vollends zu entfalten. Sein grundlegender Konflikt wird zwar durchaus greifbar, doch hätten einige Minuten mehr ganz gut getan, um Ifans Stärken weiter auszuspielen und dem Publikum die nicht nur bei eingefleischten Fans sehr populäre Figur des Lizards noch ein wenig näher zu bringen, zumal sich nach dem Debakel mit dem völlig überladenen «Spider-Man 3» und bedingt durch die erneut im Zentrum stehende Entwicklung der Hintergrundgeschichte Spider-Mans zum Glück nur auf einen Gegenspieler beschränkt wurde. Obendrein dürfte auch das Design der humanoiden Echse die Gemüter teilweise spalten. Auf der einen Seite wirkt ihre Gestalt im Ganzen, gepaart mit einem äußerst angriffslustigen Auftreten, die meiste Zeit durchaus bedrohlich. Auf der anderen Seite macht die Gestaltung ihres Gesichts, insbesondere der Mundpartie, bei Großaufnahmen aus der Nähe mitunter einen etwas albernen Eindruck. Doch ebenso wie die zwei, drei kleinen, am Kitsch entlang schrammenden Einfälle gegen Ende des Films weiß auch dieser kleine Schnitzer das Vergnügen nicht merklich zu trüben.
«The Amazing Spider-Man» ist also mitnichten das Desaster, als das er von Fans der Filmtrilogie Sam Raimis schon im Vorfeld abgestempelt wurde. Sicherlich lässt sich weiterhin darüber streiten, ob ein so früher Neustart einer erfolgreich laufenden Reihe tatsächlich zwingend nötig gewesen wäre, doch macht Marc Webbs Spider-Man-Interpretation viel zu viel richtig, als dass man keinen Spaß daran finden könnte. Auch wenn ein etwas störender Beigeschmack, das Gebotene in anderer Form erst vor kurzem gesehen zu haben, bleibt, und der Film zwar einige frische Ansätze, jedoch keine wirklichen Überraschungen parat hält, können die Art seiner Präsentation und das großartig harmonierende Hauptdarstellergespann für durchgehend fesselnde Blockbusterunterhaltung sorgen. Abgerundet wird das Ganze durch äußerst packende und mit erwartungsgemäß großartigen Effekten bestückte Actionsequenzen. Der Einsatz der 3D-Technik kann bei diesen zwar einmal mehr keinen ständigen Mehrwert bieten, weiß aber insbesondere im Zusammenspiel mit kurzen, hin und wieder eingestreuten und glücklicherweise nicht so künstlich wie im Trailer wirkenden Passagen aus der Egoperspektive zumindest Spider-Mans waghalsige Flugmanöver durch die Häuserschluchten New Yorks ein wenig zu bereichern. Trotz aller berechtigten Kritik am Unterfangen an sich ist «The Amazing Spider-Man» unterm Strich also ein mehr als würdiger Nachfolger der ersten beiden Sam-Raimi-Filme, bei dem die Vorfreude auf eine Fortsetzung nun wesentlich stärker geweckt ist als nach dem unsäglichen «Spider-Man 3».
«The Amazing Spider-Man» ist seit dem 28. Juni in vielen deutschen Kinos zu sehen.