Die Übertragungskonzepte könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Das Erste aus den Stadien berichtet, zieht es das ZDF an den Ostseestrand. In Hamburg präsentierten die Sender ihre Pläne für die Euro 2012.
Im Osten was Neues? Am 8. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine. ARD und ZDF werden die Spiele übertragen und schaffen bei der Berichterstattung Synergie-Effekte wie selten zuvor. Auf der EM-Pressekonferenz im Fußballstadion des Hamburger Sportvereins hörte man schon den Geschwister-Vergleich: Brüderlich werden die Technik- und Produktionsmittel inklusive gemeinsamer Reisebuchungen geteilt – auch wenn die On-Air-Konzepte unterschiedlich sein werden. Doch nicht nur WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn ist schon vor dem EM-Anpfiff klar: „Es wird die politischste Europameisterschaft, die es bislang gegeben hat.“
Jörg Schönenborn berichtet sonst eher über (nationale) Wahlen als über die Nationalmannschaft. Vielleicht ist es aber gerade kein Zufall, dass ausgerechnet ein erfahrener Polit-Journalist für den politisch instabilen EM-Austragungsort die Fäden ziehen soll und damit offizieller ARD-Teamchef dieser EM 2012 ist. Schönenborn selbst vergleicht seine Position metaphorisch als die des Mannschaftsarztes: „Er ist sichtbar, wirkt aber im Hintergrund – Solange sich keiner verletzt, tritt er gar nicht in Erscheinung.“ Zudem kenne er sich mit Ergebnissen aus – zumindest bei Wahlsendungen. In seiner Heimatstadt Solingen war er selbst schon als Spieler und Schiedsrichter aktiv.
Die unsichere politische Lage - vor allem in der Ukraine - stellt die Sender vor schwierige Herausforderungen: Nicht nur technisch bei der teils mangelnden Infrastruktur, sondern auch auf zweiter Informationsebene für die Zuschauer. In kaum einem anderen Austragungsort war die Meinungs- und Pressefreiheit so gefährdet. Zudem werden kritische Stimmen über Menschenrechtsverletzungen immer lauter. Ähnlich wie bei der Formel 1 in Bahrain am vergangenen Wochenende, wird der Sport damit nicht allein Gegenstand der Berichterstattung sein können. „Die Europameisterschaft ist eine Chance“, so Theo Koll, der ZDF-Hauptredaktionsleiter Politik und Zeitgeschehen. So planen beide Sender dem Informationsbedürfnis der Zuschauer nachzukommen und werden mit ihren Korrespondenten verfolgen, was sich abseits der Stadien abspielt. Dokumentationen runden die tiefgreifende Berichterstattung bereits vor dem EM-Start ab, da beide Austragungsländer den Deutschen relativ unvertraut seien, was die Urlaubsstatistiken bewiesen, so Theo Koll.
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft trifft auf starke Vorrunden-Gegner, was den TV-Machern schon zu Beginn des Turniers hohe Zuschauerzahlen versprechen könnte – bis hin zu einem möglichen Quotenrekord Richtung Finale. Neben den Niederländern spielen auch die Dänen und Portugiesen in der Gruppe von Löws Elf.
„Es gibt Parteien, die schreiben ihr Steuerkonzept auf einen Bierdeckel. Unser Steuerkonzept passt auf eine Briefmarke: Wir suchen die Nähe“, so beschreibt ARD-Teamchef Jörg Schönenborn das TV-Konzept beider Sender. Die beiden ARD-Moderatoren Gerhard Delling (Foto) und Reinhold Beckmann werden für Das Erste mit Experte Mehmet Scholl direkt aus den Stadien vor Ort berichten. Vom Quartier der deutschen Nationalmannschaft meldet sich Michael Steinbrecher für das ZDF sowie «Sportschau»-Neuzugang Matthias Opdenhövel, über dessen Aufgabe ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky sagt: „Wir hoffen, dass er sehr lange dort bleiben kann.“ Kommentieren werden für Das Erste: Tom Bartels, Gerd Gottlob sowie Steffen Simon. DTM-Gesicht Claus Lufen und Ralf Scholt sind als Reporter mit im ARD-Team.
Wie bereits bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland sowie der Europameisterschaft 2008, plant das ZDF ein Public-Viewing-Event, von dem die Rahmenberichte kommen. Diesmal einen „Fußballstrand“ an der Heringsdorfer Seebrücke auf Usedom. Neben der ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein ist auch der Ex-Schiedsrichter Urs Meier und ZDF-Experte Oliver Kahn am Ostseestrand. Der ehemalige Torhüter verlängerte seinen ZDF-Vertrag um weitere drei Jahre, sodass Oliver Kahn auch bei der vom ZDF neu eingekauften Champions League ab Herbst und der nächsten Weltmeisterschaft 2014 mit an Bord sein wird. Außerdem für das ZDF in der EM-Aufstellung: Béla Réthy, Wolf-Dieter Poschmann, Sven Voss, Rudi Cerne, Oliver Schmidt und Thomas Wark.
Neben dem Public-Viewing mit anschließender Live-Analyse, plant der Sender an der Ostsee ein Beach-Soccer-Feld, Fußball-Pavillons für Parcour-Wettkämpfe und einen Heißluftballon sowie ein ZDF-Orakel. ZDF-Kommentator Béla Réthy (Foto) hofft bei all den Attraktionen auf gutes Wetter – vor allem an den Austragungsorten: „Als wir beim letzten Mal in Danzig waren, war es zu warm – da ist unser Ü-Wagen abgebrannt.“ Für zehn Euro pro Ticket erleben 1.000 Zuschauer das „Pay-TV“ der besonderen Art auf Usedom. Laut Sender habe die UEFA einen kostenpflichtigen Eintritt vorgeschrieben. 120 der 1.000 Zuschauer erleben das Public-Viewing-Event sogar vom Strandkorb aus.
Nachdem sich die UEFA die Sängerin Oceana, welche Nahe Hamburg aufwuchs, als Sängerin des offiziellen EM-Songs aussuchte, sind die Mainzer mit dem Titel „I Like To Move It“ für ihre On-Air-Kampagne fündig geworden: Die ukrainische Band Los Colorados soll Partystimmung in die Wohnzimmer – oder Public-Viewing-Events – transportieren. Die Band interpretiert internationale Songs im Rhythmus ihrer ukrainischen Heimat mit Akkordeon, Balalaika und Polka-Takt.
Dank Synergie-Effekte sollen die Kosten laut ARD und ZDF auf dem Niveau der EM 2008 liegen – trotz weitaus längerer Fahrtwege und schlechterer Infrastruktur. Auch wenn genaue Summen nicht veröffentlicht werden, wird der Etat in der Branche auf knappe zehn Millionen Euro geschätzt. Insgesamt 300 Mitarbeiter sollen für eine reibungslose Übertragung sorgen. Die ARD ist in Polen verantwortlich für die Übertragungstechnik rund um das Stadion, in der Ukraine übernimmt diesen Job das ZDF – auch wenn der jeweils andere Sender On-Air geht. Also Freundschaftsspiele bei ARD und ZDF: Das Erste beginnt die Übertragung am 8. Juni. Einen Tag später ist dort auch das erste Deutschland-Spiel gegen Portugal zu sehen. „Mit dem Zweiten“ sieht man dann das zweite Deutschland-Spiel live, dann gegen die Niederländer. Die Mainzer dürfen unter anderem auch beim Endspiel ran. Deutsche Beteiligung ist beim Finale damit garantiert – zumindest neben dem Spielfeld.