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RTL Nitro – ein Start ohne Vollgas?

Seit 1. April sendet unter dem Titel RTL Nitro ein neuer Free-TV-Sender. Welche Strategie steckt hinter dem Start eines weiteren RTL-Programms in Deutschland?

Für den Otto-Normal-Zuschauer scheint der Start eines neuen Senders mit dem Kürzel „RTL“ im Titel wenig sinnvoll. Schließlich gibt es mit dem Hauptprogramm RTL sowie den kleineren Sendern RTL II und Super RTL schon drei solche Programme, und wer etwas mehr genauer hinsieht, zählt auch VOX zur gleichen Sendergruppe. Eigentlich genug Programmplätze, die es hier zu füllen gibt – warum also noch ein neues Angebot namens RTL Nitro? Eine Teilantwort geben aber schon diese bisherigen Sender selbst: Denn Super RTL und RTL II gehören nicht allein der RTL-Gruppe; es sind jeweils weitere Gesellschafter mit großen Anteilen beteiligt, die über das Programm bestimmen können. Bei RTL Nitro pfuscht niemand rein.

Eine ebenso wichtige Antwort auf die Frage nach dem Sendestart gibt aber auch die Konkurrenz: Erst am vergangenen Sonntag – am 1. April – vermeldete der Frauensender sixx einen neuen Rekord-Monatsmarktanteil. 0,9 Prozent der Werberelevanten sahen sixx, das zur ProSiebenSat.1-Gruppe zählt, also zu den natürlichen Rivalen von RTL. Im ersten Quartal 2012 erreichte sixx im Schnitt 0,8 Prozent Marktanteil – eine Vervierfachung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Kurz: sixx ist erfolgreich, und dies unvorhergesehen schnell. Im Mai 2010 schaltete der Sender auf und köderte viele Zuschauer mit dem Versprechen, innerhalb der Sendungen keine Werbung zu zeigen, sondern nur dazwischen. Aber auch das Programm ist attraktiv; es besteht nicht nur aus Zweitverwertungen von Serien, sondern auch aus Eigenproduktionen («sixx – Das Magazin») und vielen Erstausstrahlungen.

Vor allem hat sich sixx dafür einen Namen gemacht, bei ProSieben oder Sat.1 gescheiterte Serien weiter auszustrahlen – prominente Beispiele sind hier «Vampire Diaries» oder die restlichen «Anna und die Liebe»-Folgen. Früher wären solche Serien im Archiv oder im Nachtprogramm verschwunden – heute bietet man mit sixx eine zuschauerfreundliche Alternative, die sich dann auch quotenmäßig auszahlt. «Vampire Diaries» ist auf sixx beispielsweise ein Publikumshit.

Und nicht nur bei großen Sendern gescheiterte Serien werden auf diesem Spartenprogramm ausgestrahlt, sondern auch solche Formate, die womöglich sonst nie auf die heimischen Bildschirme gekommen wären. Denn Sendergruppen erwerben mit ihren Lizenzdeals mit den großen Produktionsstudios (Warner Bros., Disney etc.) nicht nur neue Erfolgsserien und -filme für die nächsten Jahre, sondern automatisch auch viel Archivware und Serien, die in den USA gescheitert sind – also oft nur eine oder zwei Staffeln erhalten. Meist besitzen ProSieben, Sat.1 und RTL mit dem Rechtepaket automatisch die Ausstrahlungslizenz für solche Formate, zeigen diese aber verständlicherweise nur äußerst selten. Auch hier kommen die kleinen Spartensender ins Spiel – sixx zeigt beispielsweise die kurzlebigen Formate «October Road», «Three Rivers» und «Life Unexpected».

Der Sender von ProSiebenSat.1 bietet also eine Marktnische an – als Verwertungsplatz für die Sendergruppe und als Programmalternative für die Zuschauer. Auch bei RTL hat man beobachtet, dass der Free-TV-Markt offensichtlich noch nicht gesättigt ist und mit einem kostengünstigen Seriensender bereichert werden kann. So will es nun auch RTL Nitro tun: mit vielen Serienklassikern, Sitcoms am Vorabend und vereinzelten Neustarts in der Primetime. Ohne sixx und dessen Erfolg hätte es RTL Nitro wohl nie gegeben. Eine Garantie für eine ähnlich positive Entwicklung ist dies aber noch lange nicht.

Denn mit Vollgas lässt man RTL Nitro kaum auf die neuen Zuschauer los: Nur wenige serielle Free-TV-Erstausstrahlungen finden sich in der ersten Programmwoche – darunter das Zugpferd «Modern Family» (Foto) und die Serien «Chase», «Friday Night Lights» und «Nurse Jackie», von denen die beiden letzteren bereits im Pay-TV liefen. Daneben zeigt man zur Primetime noch einmal Serien wie «24» und «Rom», Filmwiederholungen und Factuals «Whale Wars» und «Anwälte der Toten».

Im Vergleich zur damaligen ersten sixx-Programmwoche liest sich ein solches Primetime-Angebot etwas schwächer. Denn sixx startete nicht nur mit der vielbeachteten Free-TV-Premiere der «Sex and the City»-Verfilmung, sondern auch mit Erstausstrahlungen wie der Comedy «S1ngle», der dritten Staffel von «The L Word» sowie der in den USA legendären Talksendung von Oprah Winfrey. Zudem gab es schon ab der ersten Sendewoche eigenproduzierte Formate, darunter Realitys und «sixx – Das Magazin». Mit einer großen Werbekampagne pushte man die Einführung des Senders massiv.

Diese richtig ambitionierte Ausrichtung lässt zumindest der Start von RTL Nitro vermissen. Und so ist weiter fraglich, wie wichtig dieser Sender in der RTL-Gruppe werden soll. Ob er nur als Resterampe dient oder bald mehr Erstausstrahlungen beziehungsweise sogar Eigenproduktionen bietet, so wie sixx es an einigen Tagen vormacht. Und vor allem: Ob RTL Nitro seine Kernzielgruppe (die Männer zwischen 20 und 59 Jahren) erfolgreich ansprechen kann.

Genau diese Fragen hat man sich aber auch vor knapp zwei Jahren zum sixx-Start gestellt, zu dieser Wundertüte, deren erstes Programm etwas wild zusammengewürfelt und nicht wirklich kohärent erschien. Aber eine klare Strategie mit vielen neuen Serienperlen und auf die jungen Frauen konsequent zugeschnittene TV-Formate zahlten sich schnell aus. RTL weiß also, was mit dem neuen Sender zu tun ist.
02.04.2012 22:28 Uhr Kurz-URL: qmde.de/55899
Jan Schlüter

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RTL Nitro

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