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Die Kritiker: «München 72»

Story


Die dramatische Geiselnahme einer Gruppe von israelischen Sportlern während der Olympischen Spiele 1972 in München gerät zu einem Desaster. In einer noch nie dagewesenen Situation kämpfen die Verantwortlichen und Sicherheitskräfte verzweifelt um Rettung. "München 72" ist die Stunde Null des internationalen Terrorismus.

Anna Gerbers, eine junge, engagierte Polizistin aus dem Ruhrgebiet, gehört zu den glücklichen Auserwählten, die bei den Olympischen Sommerspielen als Ordnerin fungieren dürfen. Die Spiele sollen der Welt ein ganz neues, ein anderes Deutschland zeigen: den Geist von München - weltoffen, locker und frei. Als Anna dem Hubschrauberpiloten Michael Bruckner begegnet, scheint dieser Geist endgültig auch in ihrem Leben angekommen zu sein.

Dann geschieht das Unfassbare: In den frühen Morgenstunden des 5. September dringen palästinensische Terroristen in das Olympische Dorf ein und stürmen die Quartiere des israelischen Teams. Kurz darauf finden Sicherheitskräfte einen toten Israeli. Dessen Landsleute sind nun Geiseln in den Händen von Männern, die offenbar nichts zu verlieren haben. Als der Anführer des Terrorkommandos nach einem Verhandlungspartner verlangt, meldet sich Anna freiwillig. Die Forderungen der Palästinenser sind ebenso eindeutig wie unerfüllbar: die Befreiung von 200 Kampfgenossen sowie freien Abzug. In einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit und um das Leben der Geiseln gelingt es Anna mehrmals, die Kidnapper zum Aufschub ihres Ultimatums zu bewegen - während Michael den Befreiungsversuch vorbereitet.

Zwischen Krisenstab, einer immer verzweifelter werdenden Lage der Geiseln und dem internationalen Verhandlungstisch kommen beide an ihre Grenzen. Sie wissen, dass dies die Stunde ist, um Verantwortung zu übernehmen. Doch müssen sie auch erkennen, dass sie es mit Terroristen zu tun haben, die ihre Tat minutiös vorausgeplant haben. Die Ereignisse enden tragisch.

Darsteller
Bernadette Heerwagen («Zum Kuckuck mit der Liebe») als Anna Gerbers
Felix Klare («Tatort») als Michael Bruckner
Heino Ferch («Vater Mutter Mörder») als Polizeipräsident Dieter Waldner
Benjamin Sadler («Krieg und Frieden») als Adjutant Ulrich K. Wegener
Stephan Grossmann («Zum Kuckuck mit der Liebe») als Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher
Christoph Zrenner («Familie macht glücklich») als Walther Tröger, Bürgermeister des olympischen Dorfs
Rainer Bock («Inglorious Basterds») als Bayerischer Innenminister Bruno Merk
Shredi Jarbarin als Terror-Anführer Issa-Lutif Affif
Esther Zimmering als Ankie Spitzer

Kritik
Es gibt einige furchtbar befremdliche Szenen in diesem Film, die das vollständige Versagen der Bundesrepublik Deutschland sowie der zuständigen Polizeikräfte bei der Geiselnahme israelischer Sportler im Rahmen der Olympischen Spiele 1972 in München offenbaren. Etwa wenn in der Phase der Vorbereitung auf dieses Großereignis der Polizeipsychologe in einer Sitzung mit dem Münchner Polizeipräsidenten ein von ihm entworfenes Szenario vorstellt, das die späteren Ereignisse nahezu minutiös beschreibt, und eine derartige Debatte vom Polizeipräsidenten abgelehnt wird. „Zu unrealistisch“, pöbelt er. Oder wenn die Stürmung des Apartments, in dem die Geiseln stundenlang gehalten wurden, im letzten Moment abgeblasen wird, weil den Koordinatoren gerade eingefallen ist, dass die Geiselnehmer auf ihren Fernsehschirmen alles mit verfolgen, was gerade vor der Tür vonstattengeht. Es sind die großen Was-wäre-wenn-Momente der Geschichte. Was wäre passiert, wenn es einen Plan gegeben hätte? Was wäre geschehen, wenn die bayerische Polizei der Situation auch nur halbwegs gewachsen gewesen wäre, wenn die handelnden Personen nicht von Tuten und Blasen keine Ahnung gehabt hätten, die Reaktion der Einsatzkräfte halbwegs organisiert erfolgt wäre?

«München 72» illustriert kompromisslos und mit so wenig Fiktionalisierung wie möglich das vollständige Versagen der bayerischen Polizei, das schließlich zur Katastrophe geführt hat. „Natürlich wissen wir nicht von allen Szenen, wie sie sich im Detail in der Realität abgespielt haben“, sagt Regisseur Dror Zahavi. Trotzdem ist die Bemühung zu erkennen, so sachlich wie möglich zu erzählen, weswegen man als Basis der Dramaturgie die offiziellen Dokumente über den Gang der Ereignisse wählte.

Zu Beginn pendelt das Drehbuch von Martin Rauhaus noch sehr viel hin und her und erzählt vielerlei Geschichten: die der Essener Polizistin Anna Gerbers, die für die Olympischen Spiele nach Bayern versetzt wird und dort eine (dramaturgisch völlig unnütze) Liebelei mit ihrem Kollegen Michael Bruckner beginnt; die von Bruckners Eltern, die für die Dauer der Großveranstaltung eine befreundete holländische Familie bei sich im Garten campen lassen; und eben die der israelischen Delegation und der palästinensischen Attentäter. Erst mit dem Beginn des zweiten Aktes, nachdem die Terroristen ihre Geiseln genommen haben, hören diese unangenehmen Sprünge auf. Denn dann findet man einen dramaturgisch sinnvollen Rhythmus, der von den historischen Ereignissen auch weitgehend vorgegeben ist.

«München 72» ist ein Film, der sich auf die Dokumentation fokussiert und sich einer Wertung entzieht. Wenn der Anführer der Attentäter Issa-Lutif Affif in exzellent geschriebenen Dialogen von seinen Beweggründen erzählt, geschieht dies tiefsinnig, mit Sinn für die politischen Realitäten, auf eine Weise und in einem Duktus, der zu seiner Figur passend ist. Man erklärt die Motive, rechtfertigt sie aber in keinster Weise. Dass es allerdings Anna Gerbers Hausfrauenphilosophie ist, die am Schluss den effektivsten Zugang zu Affif liefert und Genschers wie Waldners Herangehensweise in den Schatten stellt, wirkt dagegen ein wenig gewollt und konstruiert.

Wenn in diesem Film etwas angeklagt wird, dann sind es die völlig dilettantischen Zustände, mit denen die Bundesrepublik Deutschland und die bayerische Polizei bei diesem Attentat operiert haben. Doch das Ende des Films gibt Hoffnung, indem es diese Diskussion gleichermaßen ein Stück weit beendet. Denn als eine unmittelbare Konsequenz, die man aus der gänzlich misslungenen Intervention zog, erfolgte die Schaffung der GSG 9, die fünf Jahre nach der Münchner Geiselnahme in Mogadischu ihren ersten Einsatz hatte. Vor dem Abspann wird der Zuschauer ferner darüber informiert, dass die Bundesrepublik Deutschland Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen der israelischen Geiseln leistete. Und das – angesichts der fast schon unglaublichen Dummheit und Desorganisation, mit der man damals gegen die Terroristen vorging – auch völlig zu Recht.

Der positive Eindruck von «München 72» wird durch die insgesamt weit überdurchschnittlichen Leistungen der Schauspieler abgerundet. Bernadette Heerwagen macht solide Arbeit, Heino Ferch und Stephan Grossmann spielen äußerst nuanciert und stechen somit besonders heraus. Eine Fehlbesetzung ist dagegen Esther Zimmering, deren Arbeit zu forciert und zu überdramatisiert ausfällt, wo gar keine Dramatisierung mehr nötig gewesen wäre. Angesichts des hervorragenden Gesamtkonstrukts kann man darüber aber guten Gewissens hinwegsehen.

Das ZDF strahlt «München 72» am Montag, den 19. März 2012, aus.
18.03.2012 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/55570
Julian Miller

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München 72

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