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360 Grad: Yada, Yada, Yada

Wie schlug sich die erste Ausgabe der ZDF.kultur Talk-Show mit Charlotte Roche und Jan Böhmermann? Julian Miller kommentiert.

Vielleicht liegt die Zukunft manchmal ein Stück weit in der Vergangenheit. Diesen Eindruck konnte man zumindest bei der ersten Folge der neuen ZDF.kultur Talk-Show «Roche und Böhmermann» gewinnen. Denn konzeptionell erinnert das Format an die glorreichen Zeiten von «3 nach 9» und der «NDR Talk Show», die in den siebziger und achtziger Jahren lagen, doch die Gesprächsführung an sich versucht, sich der Mittel von heute zu bedienen.

Die Studioeinrichtung ist minimalistisch, radikal auf das Wesentliche reduziert. Schwarzer Hintergrund, eine runde weiße Lampe über dem großen runden Tisch. Auf dem Tisch Stabmikrophone, die man entweder nach dreißigjähriger Einmottung aus einem Archivkeller gefischt hat oder aufwendig neu herstellen ließ, Aschenbecher, die in der Premierenfolge jedoch unbenutzt blieben, und japanischer Whiskey. Die guten alten Zeiten, in denen im Fernsehen noch hemmungslos geraucht und gesoffen wurde. Hat man so eigentlich nur noch beim Kollegen Stuckrad-Barre und seinen Gästen.

In der Gesprächsführung selbst versuchte man, sich weg von den durchchoreographierten Talk-Shows zu bewegen, wie man sie allabendlich bei der ARD und im ZDF sieht. Die Atmosphäre war deutlich lockerer und weniger straff durchdramatisiert. Anstatt vorher genau zu antizipieren, wo sich in einer Diskussion die Konfliktfelder ergeben werden und diese möglichst klar herauszustellen (den Eindruck hat man vor allem bei «Günther Jauch» und «Hart aber fair»), wollten Roche und Böhmermann wohl mit eine gewissermaßen natürlicheren Gesprächskultur aufwarten.

Den großen Nachteil, den das mit sich bringen kann, konnte man am Ende der ersten Folge sehen, als Böhmermann Britt Hagedorn damit konfrontieren wollte, worauf ihr Format «Schwer verliebt» eigentlich aus ist: nämlich auf den Voyeurismus und die Befriedigung niederster Zuschauerinstinkte. Das ist an sich zwar kein Geheimnis und wohl für jeden denkenden Menschen mühelos zu durchschauen, doch Hagedorn ist mittlerweile gut geübt darin, ihre Sendungen zu verteidigen. Böhmermann sprach die bekannten Kritikpunkte an, Hagedorn konterte. Und sie konterte gut, denn sie konnte in der Gesprächsrunde Böhmermanns Vorwürfe zu weiten Teilen entkräften, was daran lag, dass er hauptsächlich bei allgemeinen Punkten blieb. Darauf, dass eine ehemalige Teilnehmerin von «Schwer verliebt» schwere Vorwürfe erhebt, wie mit ihr umgegangen worden sein soll, und dass bei Holger Kreymeiers Blog Fernsehkritik.tv mittlerweile Auszüge aus der internen Produktionsbibel veröffentlicht wurden, die einen deutlich anderen Blick auf das Format liefern, als es Sat.1 und Hagedorn gerne hätten, ging Böhmermann nicht ein. Warum auch immer. Zweifellos hätte dies nämlich seinen Gast deutlich mehr ins Schwitzen gebracht.

Wenig Neues bot auch das Gespräch mit Marina Weisband, die wie ein Leierkastenmann ihre drei bis vier Thesen runterbeten durfte, die sie in jeder Talk-Show anbringt: Die Piraten fordern eine transparente Politik, sind basisdemokratisch organisiert und lesen sich gerade in die Themengebiete (Wirtschaft und so) ein, die bisher allenfalls am Rande auf ihrer Agenda standen. Die an Sven Marquardt gerichtete Frage, ob er sich vorstellen könnte, diese Partei zu wählen, wurde nicht intensiviert. Weisband durfte beim Abhaken ihrer Thesen bleiben, Roche nickte ab, von Böhmermann kam ab und an ein kurzer Einwand. Strich drunter. Weiter im Text. Noch einen Whiskey.

«Roche und Böhmermann» will keine politische Veranstaltung sein, sondern in erster Linie Unterhaltung. Doch damit ein solches Format (auch bei der jungen Zielgruppe, die ZDF.kultur anstrebt) funktioniert, ist ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Relevanz vonnöten. Dafür ist es aber unabdingbar, die Gesprächsteilnehmer mit dem zu konfrontieren, was sie machen. Natürlich muss das nicht in einem Tribunal ausarten – doch die Gesprächsleiter müssen auf kompetente Weise kritisch nachfragen. Bei einem Gast wie Britt Hagedorn schlicht das abzufrühstücken, womit sie sich schon seit Ewigkeiten auseinandersetzen muss, und an entsprechender Stelle bei der gebotenen Möglichkeit darauf zu verzichten, in die Tiefe zu gehen, tat der Sendung somit überhaupt nicht gut.

Natürlich wird an dieser Stelle gerade auf hohem Niveau gejammert. Denn unbestreitbar ist, dass zwischen Roche und Böhmermann die Chemie zu stimmen scheint, und die beiden in der Lage sind, einen guten, jungen und auch relevanten Talk zu machen. Denn bereits in der ersten Folge entstanden trotz all der Defizite, die man ausmachen konnte, interessante Diskussionen zwischen den einzelnen Gästen, die man bei «3 nach 9» oder der «NDR Talk Show» in den allermeisten Ausgaben völlig vergeblich sucht. In einem vom Medienmagazin DWDL.de geführten Interview lässt sich auch sehr klar Roches Aversion gegen das herauslesen, was dort mittlerweile oft so fabriziert wird: „Ich […] kenne [als Gast] das Gefühl, dass man jedes Mal einschläft, bis man dran ist. Dann liefert man seine zwölf Minuten ab und schläft wieder ein. Das machen alle und mir kann niemand sagen, dass das nicht so ist.“ Und genau das will «Roche und Böhmermann» nicht sein: Ein Forum für Platten-, Buch- und Filmpromo, eine Sendung, die als verlängerter Arm der Presseabteilungen fungiert, in der die Gäste ihre Staubsauger verkaufen und die Moderatoren wenig mehr zu tun haben als zu nicken und mit ein paar Fragen irgendeine Art von Gespräch in Gang zu halten. «Roche und Böhmermann» will zwar unterhaltsam, aber gleichzeitig gehaltvoll diskutieren.

Schon letzten Sonntag war die Bemühung zu erkennen, diesem Anspruch auch gerecht zu werden. In weiten Teilen gelang dies auch schon recht gut, wenn man von ein paar insgesamt eher unglücklich gelaufenen Passagen absieht. Luft nach oben ist vorhanden und die Chance, dass sich mit «Roche und Böhmermann» ein interessantes und avantgardistisches Talk-Format etablieren könnte (wenn man bei 0,2% Marktanteil von Etablieren sprechen kann), besteht. Jetzt heißt es mal wieder abwarten, in welche Richtung sich die Sendung entwickeln wird.

Und wenn alle Stricke reißen, kann immer noch Frank Hof eingreifen. Oder Böhmermann richtet seiner Kollegin einen Twitter-Account ein. Wirkt bei Harry und Thommy ja auch Wunder. Zwinkersmilie.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.
09.03.2012 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/55411
Julian Miller

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Tags

360 Grad Roche Böhmermann ZDF.kultur

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