Gelungenes Blockbusterkino mit kleinen Mängeln: «John Carter» bringt nach 100 Jahren den Ursprung der Sci-Fi-Fantasy auf die Leinwände.
Einst galt die Marketingmaschinerie der Walt Disney Company als die fähigste der Unterhaltungsbranche. Dieser Ruf geriet in den vergangenen Jahren allerdings ins Wanken, und die Promotion für das Sci-Fi-Fantasy-Epos «John Carter» wird daran nichts ändern. Dem uninformierten Kinogänger dürfte das Realfilmdebüt des «Findet Nemo»- und «WALL•E»-Regisseurs Andrew Stanton wie ein beliebiges Sammelsurium aus Motiven der «Star Wars»-Prequels, «Avatar», einem ins All verlegten «Prince of Persia» und vielen anderen aufwändigen Hollywoodfilmen erscheinen. Ein Irrtum, den man kaum dem Publikum anlasten kann. Dass mit «John Carter» die von «Tarzan»-Schöpfer Edgar Rice Burroughs 1912 verfasste Urmutter zahlreicher Sci-Fi- und Fantasy-Abenteuer auf die Kinoleinwand transportiert wird, hat das Marketing nicht hinreichend vermitteln können. Dabei sollte das durchaus für Hellhörigkeit sorgen können, ist der Stoff doch zeitlos:
Arizona im Jahr 1881: Nachdem er den Sezessionskrieg von seiner dunkelsten Seite erlebte, hat der desillusionierte John Carter (Taylor Kitsch) genug vom Kämpfen. Als ihn Kavalleristen dazu zwingen wollen, gemeinsam mit ihnen Indianer zu bekriegen, kennt der Bürgerkriegsveteran nur noch einen Gedanken: Schnell die Flucht ergreifen und dann seine neu erschlossene Goldmine ausbeuten! Durch schwer erklärliche Umstände wird John Carter jedoch vom Regen in die Traufe transportiert: Nachdem er einen mysteriösen Fremden überwältigte, wacht er auf dem Planeten Mars auf. Dort verfügt er aufgrund seines anderen Knochenbaus und den sich von der Erde unterscheidenden physikalischen Bedingungen über Superkräfte. Wie John Carter alsbald erfährt, bekriegen sich auf Barsoom, wie die Einheimischen den roten Planeten nennen, mehrere Völker bis aufs Blut: Die schlanken und mit gewaltigen Hauern ausgestatteten Tharks, das Volk Heliums, die Zodangans und eine mysteriöse, schwer zu fassende vierte Partei mit überaus zerstörerischen Fähigkeiten. Im Kampf um die Vorherrschaft Barsooms gerät der als Wunderwaffe angesehene John Carter zwischen die Fronten: Im Anführer der Tharks findet er zwar einen Freund, aber er verliert sein Herz an Dejah Torris (Lynn Collins), die Prinzessin Heliums ...
In den USA wurde das Bild der John-Carter-Storys stark von den Taschenbuchausgaben mit Covern des Comickünstlers Franz Frazetta geprägt, der den Helden besonders muskulös, die Dame an seiner Seite vollbusig und die Marswesen auffallend monströs darstellte. Der Einfluss Frazettas zeigt sich in den gescheiterten Versuchen, Burroughs „Pulp-Romane“ auf die Kinoleinwand zu bringen, denn in den meisten dieser nie verwirklichten Projekte sollte die trashigere Seite der Barsoom-Geschichten im Vordergrund stehen.
Regisseur und Co-Autor Andrew Stanton, seit frühster Kindheit glühender Fan der Romanreihe, ging angesichts dessen mit seiner Leinwandadaption nicht gerade den naheliegendsten Weg: Statt einer kunterbunten, schrägen sowie übertriebenen Space Opera abzuliefern, entwickelte aus der Vorlage ein, an den Genregewohnheiten gemessen, komplexes Abenteuer mit vielschichtigen Figurenkonstellationen und einer reichhaltigen Mythologie. Wirklich kompliziert ist sein «John Carter» deshalb keineswegs, doch manche Szenen entfalten erst rückblickend ihren vollen Wert. Dadurch ist der Film gehaltvoller als einige seiner Genre-Konkurrenten und weist auch eine ambivalentere Grundstimmung auf. Im Gegenzug muss er aber auch ein narrative Stolpersteine hinnehmen, da die Filmemacher mit der immensen Mythologie und dem großen Figurenrepertoire zahlreiche Bälle jonglieren müssen und dabei nicht ununterbrochen mit mühelos erscheinendem Geschick glänzen.
Auch die Figuren wurden in ihrer Darstellung gegenüber der Vorlage leicht abgewandelt – insbesondere der im Original makellose Titelheld. Das Ergebnis ist ein weitestgehend von Ironie befreites Sci-Fi-Fantasy-Epos, das seine feine Prise Humor aus Plänkeleien zwischen den Figuren gewinnt und seinen Helden eine nachvollziehbare Entwicklung durchmachen lässt. Gerade letzteres ist im heutigen Blockbusterkino eher zur Seltenheit geworden, und somit in «John Carter» sehr willkommen. Die Action ist sehenswert inszeniert, nimmt jedoch einen kleineren Raum ein, als man im Vergleich zu anderen Sci-Fi-/Fantasy-Spektakeln erwarten dürfte. Die Drehbuchautoren sind weniger auf eine schiere, überwältigende Materialschlacht aus, sondern darauf, dass die zunehmend brenzligeren Herausforderungen John Carters Wandlung zum Helden stützen. Das macht die Actioneinlagen überschaubar, aber auch mitreißend.
Hauptdarsteller Taylor Kitsch gelingt es auf Basis des Skripts einen Helden zu kreieren, der über das Mindestmaß für ein gelungenes Stück Sci-Fi-/Fantasy-Abenteuer hinausgeht. Zwar wird sein John Carter wohl nicht zu den größten Kino-Ikonen des fantastischen Films aufsteigen, doch mit einem bodenständigem Charisma lässt er schnell Sympathie für die Figur aufkommen. Mit Fortlauf des Films zeigt er auch Verletzlichkeit, die John Carter mehr Charakter verleiht, aber nie seiner Glaubwürdigkeit als durchsetzungsfähiger Kämpfer im Weg steht. Ähnliches gilt für Lynn Collins, die in der Rolle der Marsprinzessin Dejah Toris den Eindruck einer starken und gleichsam intelligenten Frau macht, aber bei der schieren Masse an (teilweise etwas hölzerner) Exposition etwas blasser rüberkommt, als es ihr möglich gewesen wäre.
Daryl Sabara wiederum gibt in seinen wenigen Szenen mit nachvollziehbar staunenden Augen die Rolle des Buchautoren Edgar Rice Burroughs und verhilft dem Finale zu seinem erstaunlichen Nachdruck. Das restliche menschliche Ensemble ist zwar durchaus markant besetzt, hinterlässt aber entweder kaum bleibenden Eindruck. Die mittels Motion Capturing erschaffenen Marswesen sind dagegen allesamt äußerst ausdrucksstark, stellen für die Tricktechnik und Schauspielkunst vereinende Technologie aber keinen Fortschritt gegenüber vergangenen Effektfilmen dar.
Die Marslandschaften, zu weiten Teilen an realen Schauplätzen gedreht und nur im Detail digital manipuliert, sind gleichermaßen weitläufig wie beeindruckend. Sie drücken sowohl Trostlosigkeit, wie auch Freiheit aus und unterstützen somit die dichte Atmosphäre von «John Carter». Sie lassen eine reichhaltige, exotische Filmwelt vermuten, allerdings ist Andrew Stantons Interpretation von Barsoom bei aller Realitätsnähe auch etwas monoton geraten. Nur die zwischendurch auftauchenden, massiven Barsoom-Technologien brechen den grau-roten Look auf und sorgen für erneutes Staunen. Als Zuschauer muss man also durchaus auch eine minimale Hingabe für weitschweifige Wüstenlandschaften mitbringen, ansonsten kann sich während der über zwei Stunden zwischendurch eine gewisse „Sandmüdigkeit“ einstellen.
Wie es bei hoch budgetierten Popcorn-Produktionen mittlerweile gebräuchlich ist, haben Kinobesucher auch bei «John Carter» die Wahl, ob sie die opulenten Leinwandbilder in 3D betrachten möchten oder auf den Aufpreis verzichten. Wer sich nach dem Regisseur richten möchte, sollte einer 2D-Vorführung auf möglichst großer Leinwand den Vorrang geben, da der zweifache Oscar-Preisträger kein großer 3D-Anhänger ist. Obendrein schreckte er vor der Herausforderung zurück, sich bei der Verwirklichung seines aufwändigen Realfilmdebüts zusätzlich mit klobigen 3D-Kameras und weiteren damit verbundenen technischen Fragen auseinanderzusetzen. Anders als etwa «Kampf der Titanen» oder «Die Legende von Aang» ließen sich die 3D-Effektspezialisten allerdings viel Zeit für den Konvertierungsprozess, was man der 3D-Fassung durchweg anmerkt. «John Carter» verfügt über viel Tiefenwirkung und auch eine kleine Auswahl an Bildelementen, die aus der Leinwand ragen. Handwerklich ist die 3D-Illusion also grundsolide. Jedoch verzichtet Stantons Reise zum Mars, anders als beispielsweise James Camerons «Avatar», auf Sequenzen, die speziell mit der 3D-Technologie im Hinterkopf entwickelt wurden und sie vollauf ausnutzen. Deshalb dürften besonders überzeugte 3D-Anhänger den Besuch der konvertierten Fassung ebenso wenig bereuen, wie Unentschlossene oder 3D-Gegner den Besuch einer 2D-Vorführung.
Fazit: Obwohl man dem imposanten Popcornspektakel sein immenses Budget ansieht und die impressive Marslandschaften Abenteuerdurst wecken, ist «John Carter» kein derart visuell geprägtes Prachtwerk wie «Avatar». Dafür sind die Hauptfiguren deutlich besser entwickelt, lassen sogar auch ohne größeren Pathos Mitgefühl beim Publikum entstehen. Außerdem gelang es dem Autoren-Team, die grundlegende, zahllos kopierte Geschichte durch etwas Feinschliff frisch und spannend neu zu erzählen. Auch wenn durch den Versuch, die wuchtige Barsoom-Mythologie für Neulinge einzudampfen, ein paar Längen entstanden, lässt Andrew Stanton seine Zuschauer mit einem runden Gefühl aus dem Kinosaal stapfen. Eine Fortsetzung darf gerne kommen.