Roman Lob ist der Gewinner von «Unser Star für Baku». Julian Miller mit ersten Eindrücken und einem Rückblick auf die Sendung.
Lena Meyer-Landrut kann man nicht ersetzen. Nicht nur, weil der Erfolgsdruck für den «Eurovision Song Contest» für Roman Lob in Baku zu groß wäre, sondern auch weil das Desaster bei der Jagd nach einer Künstlerin mit scheinbar ähnlichen Attributen vorprogrammiert gewesen wäre. Es klingt banal, aber es gibt eben nur eine Lena. Gut also, dass man bei «Unser Star für Baku» erst einmal Tabula Rasa gemacht hat und nach den zwei erfolgreichen Jahren beim «ESC» nun mehr oder weniger von Null anfing. Das grundlegende Konzept der Sendung, nämlich die Suche nach einem noch unbekannten Künstler in einer Handvoll Live-Shows, ist geblieben; so ziemlich alles andere wurde modifiziert.
Die größte – und wohl auch umstrittenste – Änderung nach den «USfO»-Zeiten war sicherlich der neue Abstimmungsmodus. Auf der Suche nach unserem Interpreten in Aserbaidschan kam die von Stefan Raab entwickelte Blitztabelle zum Einsatz, bei der man bereits von der Minute an, in der die Künstler zum ersten Mal am Abend die Bühne betraten und sich kurz vorstellten, sah, wer gerade in der Zuschauergunst vorne lag. Schon in der Premierenausgabe von «Unser Star für Baku» zeigte sich ein klares Muster, das eindeutige Rückschlüsse auf das Telefonverhalten der Zuschauer zulässt. Zu Beginn der Sendung wurden die Favoriten (bzw. die Teilnehmer, die auf den ersten Blick einen sympathischen Eindruck machten) ans obere Ende der Blitztabelle gepusht; deren Auftritt erfolgte den Regeln gemäß am Ende der Sendung. Während der Auftritte verhielt es sich meist so, dass die Stimmen für denjenigen, der gerade auf der Bühne stand, in die Höhe schossen. Und am Schluss, insbesondere nachdem der Countdown eingeblendet wurde, der die Dauer bis zur Schließung der Telefonleitungen anzeigte, war das Feld in allen Sendungen völlig konfus, denn manche Kandidaten trennte manchmal nur der zehnte Teil eines Promilles vom nächsthöheren Platz. Ihre Namen rotierten im Sekundentakt um die Grenze zwischen Weiterkommen und Abschussliste. Oft war es pures Glücksspiel, wer es in die nächste Runde schafft und wer nicht, da sich die einzelnen Stimmen gegenseitig aufhoben – unter Anderem auch, weil die Zuschauer die Frontrunner im vorderen Teil der Blitztabelle meist nicht ausreichend zementierten. Was aber auch verständlich ist, schließlich kostet ein Anruf bei ProSieben fünfzig Cent. Das summiert sich dann schnell.
Doch die wichtigste Frage nach dem Finale ist eigentlich eher die, ob wir nun mit Roman Lob einen würdigen Vertreter für Baku gefunden haben, der auch Chancen hat, ein zählbares Ergebnis einzufahren. Über seine gesanglichen Qualitäten brauchen wir uns zumindest keinerlei Sorgen machen – denn von Woche eins an hat er bei «Unser Star für Baku» in jeder Sendung geliefert. Ob mit fehlerlosen Interpretationen langsamer Songs wie „Easy“ (im Original von The Commodores) oder Performances seiner rockigen Eigenkompositionen wie „Day by Day“, mit denen er, wie es Stefan Raab formuliert hat, sein „Schmusepeterimage“ dann wieder zerstörte. Das ist auch das Interessante an ihm: Denn er scheint nicht auf ein Genre festgelegt zu sein, da er Songs aus vielen Gattungen überzeugend vortragen kann. Man mag anmerken, dass sein Siegertitel „Standing Still“ kein typisches Grand-Prix-Lied ist. Doch das war „Satellite“ ebenso wenig.
Roman war zwar von Anfang an der Favorit in der Zuschauergunst, doch anders als vor zwei Jahren bei «Unser Star für Oslo» mit Lena Meyer-Landrut gab es im aktuellen Zyklus der Casting-Show keinen Den-oder-Keinen-Kandidaten. Bis zum Schluss waren die Prozentabstände bei den Zuschauerabstimmungen hauchdünn.
Von Romans Persönlichkeit hat man indes noch nicht allzu viel mitbekommen (was sich angesichts der bald einsetzenden Interview-Welle wohl in naher Zukunft ändern wird). Denn bisher eckte er nirgendwo sonderlich an, wirkt wie der ideale Schwiegersohn, der beste Kumpel, das Schnuckelchen mit der schicken Mütze und der tollen Stimme. Man sollte jedoch nicht den Fehler machen, ihm das negativ und als Mangel an Ecken und Kanten auszulegen, den man unbedingt beseitigen müsste. Denn davon, das geleckte Produkt einer Plattenfirma zu sein, ist er weit entfernt. „Ich bin so, wie ich bin“, äußerte er sich in den Einspielfilmchen bei «Unser Star für Baku» gerne. Und das ist auch genau richtig so. Roman Lob ist keine neue Lena – das soll er aber auch überhaupt nicht sein.
Wie das Ergebnis in Baku letztlich ausfallen wird, lässt sich natürlich noch kaum abschätzen. Die Frage ist dabei auch wieder, wie man Erfolg definiert. Wird man nur jubeln, wenn die Titelrückgewinnung in der Nationalen Aufgabe 2.0 funktioniert, oder reicht eine Platzierung in den Top Ten, um das Projekt als geglückt gelten zu lassen? Reelle Chancen haben wir. So wie 2010 und 2011 auch. Denn wenn der «Eurovision Song Contest» jedes Jahr aufs Neue eines ist, dann das: immer wieder eine Überraschung.
Mit 360 Grad schließt sich auch nächsten Freitag wieder der Kreis.