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Die Kino-Kritiker: «Drive»

Im neuen Film mit Kritikerliebling Ryan Gosling prallen hypnotische Bilder auf extreme Gewalt.

Man lehnt sich sicherlich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man Ryan Gosling als einen der großen Hoffnungsträger Hollywoods bezeichnet, gehört der Kanadier doch zweifellos zu den gegenwärtig talentiertesten Filmschauspielern. In seiner bisherigen Karriere hat der 31-Jährige dabei stets auch ein gutes Händchen für die Drehbuchauswahl bewiesen. Ob nun Marc Forsters komplexer Mysterythriller «Stay», das hoch gelobte Drama «Half Nelson», die originelle Tragikomödie «Lars und die Frauen», das bedrückende Liebesdrama «Blue Valentine» oder jüngst George Clooneys Politthriller «The Ides of March». Die Filme, in denen Gosling bislang mitgewirkt hat, stießen fast ausnahmslos auf gute bis hervorragende Resonanz, wozu er selbst auch oft einen erheblichen Teil beigetragen hat. Dies bezeugen neben einigen internationalen Filmpreisehrungen auch seine Oscar- sowie vier Golden-Globe-Nominierungen (zwei davon allein in diesem Jahr).

Dabei verwundert es doch sehr, dass sich sein Bekanntheitsgrad außerhalb der USA noch immer vergleichsweise in Grenzen hält. Doch auch wenn Gosling vorwiegend in Independent-Produktionen zu sehen ist, dürfte es bloß eine Frage der Zeit sein, bis sich dies endgültig ändert. Als Hauptdarsteller des Thrillerdramas «Drive», welches acht Monate nach seiner Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Cannes nun auch endlich den Weg in die deutschen Kinos gefunden hat, setzt er die Serie seiner bemerkenswerten Rollenwahlen jedenfalls weiterhin nahtlos fort. So ist der Film im Hinblick auf seine bloße Handlung zwar eher althergebrachte Kost, ansonsten allerdings in nahezu jeder Hinsicht außergewöhnlich.

Im Mittelpunkt von «Drive» steht ein namenloser junger Mann (Gosling), der ein außerordentliches Talent im Umgang mit Autos besitzt und dies nutzt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Während er tagsüber hauptsächlich in der Werkstatt seines väterlichen Freundes Shannon (Bryan Cranston, «Breaking Bad») arbeitet und sich nebenbei mit dessen Hilfe auch als Stuntfahrer beim Film ein paar Dollar dazu verdient, bietet er nachts hin und wieder Kriminellen seine Dienste als Fluchtwagenfahrer an. Ohne selbst direkt in die jeweiligen Einbrüche und Raubüberfälle involviert zu sein, führt er jenen Job mit eiskalter Professionalität stets zu einem erfolgreichen Ende. Gefühlsregungen sucht man bei ihm vergebens. Doch als er eines Tages seine neue Nachbarin Irene (Carey Mulligan, «Wall Street: Geld schläft nicht») und deren Sohn Benicio (Kaden Leos) kennenlernt, entwickelt er schon bald eine Sympathie für die beiden. Und selbst als Irenes Mann Standard (Oscar Isaac, «Sucker Punch») aus dem Gefängnis entlassen wird und nach Hause zurückkehrt, liegt dem Fahrer das Wohl der Familie weiterhin am Herzen. So findet er sich nicht nur damit ab, dass Irene spätestens jetzt für ihn unerreichbar scheint, sondern möchte ihrem Mann Standard sogar helfen, sein kriminelles Leben endgültig hinter sich zu lassen. Da dieser jedoch nach wie vor Schulden bei einigen Gangstern hat, muss er noch einen letzten Job erledigen, für den der Fahrer seine Hilfe anbietet. Doch der eigentlich simple Überfall nimmt eine tragische Wendung und das Unglück seinen Lauf.

Die grundlegende Geschichte von «Drive» spielt zwischenzeitlich zwar erfreulicherweise mit den Erwartungen der Zuschauer, indem sie bestimmte Entwicklungen zunächst andeutet, letztendlich aber doch wieder verwirft, gestaltet sich im Großen und Ganzen allerdings als nicht wirklich neu. Dennoch ist «Drive» weit davon entfernt, ein herkömmlicher Film zu sein. Der dänische Ausnahmeregisseur Nicolas Winding Refn («Walhalla Rising»), der für diese Arbeit in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet worden ist, versteht es den auf einem Roman von James Sallis basierenden Stoff so zu verpacken, dass etwas Ungewöhnliches und dennoch ungemein Mitreißendes entsteht.

Ihm kommt es dabei offensichtlich viel mehr auf eine ganz eigene Stimmung und die Figuren als auf die Originalität der bloßen Handlung an. Sein Film lebt von starken Kontrasten. Das beginnt schon bei der verschnörkelten rosa Schrift des Vorspanns, die für sich genommen eher auf eine kitschige Liebeskomödie als auf einen düsteren Thriller schließen ließe. Doch auch im weiteren Verlauf vollführt er mehrere Stimmungswechsel. Anders als es die zugehörige Werbekampagne eventuell erahnen lässt, ist «Drive» in erster Linie ein überaus ruhiger Film. In gemächlichem Tempo und mit vergleichsweise wenig Dialog erzählt Refn vielmehr mit Bildern als mit Worten. Und darin versteht er sich erstaunlich gut. Mit einer fast schon meditativen Bildsprache, die immer wieder von kurzen, gut gesetzten Zeitlupensequenzen bereichert wird, entfaltet er ein atmosphärisches Konstrukt, in dem er seine so unterschiedlichen Figuren aneinander geraten lässt.

Gegen die ruhigeren Passagen setzt er dabei die doch recht spärlichen, aber unglaublich spannend inszenierten Einsätze des Protagonisten als Fluchtwagenfahrer und etwa ab der Mitte des Films schließlich auch extreme Gewalt. Letztere hält ähnlich wie in David Cronenbergs «A History of Violence» so plötzlich und drastisch in den Film Einzug, dass ihre ohnehin schon hohe Intensität noch einmal verstärkt wird. Die großartige und die hypnotische Wirkung einiger Bilder untermalende Musik, welche größtenteils aus 80er-Jahre-Synth-Pop-Klängen besteht, komplettiert schließlich die Kombination aus scheinbar unvereinbaren Elementen, die einen großen Reiz von «Drive» ausmacht.

Doch würde dies alles ohne den faszinierenden Protagonisten wohl nur halb so gut funktionieren. Die Figur des namenlosen Fahrers mag auf den ersten Blick zunächst nicht sonderlich spektakulär wirken, wäre «Drive» doch längst nicht der erste Film mit einem abgebrühten und emotionslosen Antihelden. Doch offenbaren sowohl seine weitere Entwicklung als auch Ryan Goslings überaus nuanciertes Spiel, dass der Fahrer sehr viel mehr ist als das. Immer wieder durchbricht Gosling seine scheinbar vordefinierte Rolle mit einem zurückhaltenden Auftreten und einem sympathischen Lächeln, was bei einer solchen Figur doch jedes Mal aufs Neue überrascht. Spannend wird der wortkarge Fahrer jedoch vor allem dadurch, dass sein wahres Wesen auch mit seinem aktiver werdenden Auftreten weitestgehend im Dunkeln bleibt. So herrscht auch stets Ungewissheit über sein bisheriges Leben sowie seine grundlegenden Handlungsmotive. Zu seiner Vergangenheit erhält man allenfalls subtile Andeutungen in Randbemerkungen oder durch Goslings einnehmende Mimik, ohne jedoch, dass wirklich etwas Handfestes preisgegeben wird. Eine genaue Einordnung fällt so bis zum Ende äußerst schwer. Doch gerade das macht die Figur so ungeheuer interessant.

Wenn man sich also auf die Eigenarten von «Drive» einlässt und nicht mit falschen Erwartungen an den Kinobesuch herangeht, steht einem ein Filmerlebnis der besonderen Art bevor. Der krass kontrastierte Mix aus ruhigem Drama, gemächlicher Romanze, gelegentlicher Action sowie äußerst brutalem und nicht zuletzt deswegen so intensiven Thriller erzeugt eine ganz eigenwillige Stimmung und macht es überaus schwer, sich der Faszination von «Drive» zu entziehen. Die großartige Besetzung, allen voran Ryan Gosling, sowie die von ihm verkörperte undurchsichtige Hauptfigur sorgen schließlich endgültig dafür, dass «Drive» auch nach dem Verlassen des Kinosaals noch eine Weile nachwirkt.

«Drive» ist seit dem 26. Januar in vielen deutschen Kinos zu sehen.
27.01.2012 10:16 Uhr Kurz-URL: qmde.de/54618
Markus Trutt

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Drive

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