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360 Grad: Unerwünschte Neger

Im 2007 erschienen Film «The Great Debaters» wurde "Negro" mit "Neger" übersetzt. Ein massiver Fehler, wie Julian Miller erklärt.

Manchmal sind es die vermeintlich kleinen Fehler, die einen zur Weißglut treiben können.

Zum Beispiel im 2007 erschienen Film «The Great Debaters» mit Denzel Washington in der Hauptrolle, der vom ersten schwarzen Debattierclub in den USA handelt, der auch gegen Weiße antreten durfte – für Deutsche vielleicht ein doppelt schweres Thema. Denn während man bei amerikanischen Zuschauern zumindest rudimentäre Kenntnisse über die Zeit der Jim Crow Laws, der Großen Depression, die vor allem den Süden des Landes wirtschaftlich dahinraffte, und der „Great Migration“ voraussetzen kann, handelt es sich bei alldem für ein deutsches Publikum erst einmal um böhmische Dörfer.

Das verlangt einem Synchronstudio natürlich viel ab. Neben perfekten Sprachkenntnissen und dem richtigen Gespür für Dramaturgie ist ein umfangreiches Hintergrundwissen über die (afro-)amerikanische Lebensweise und Kultur unabdingbar, um den Film vernünftig ins Deutsche übertragen zu können. Doch das war beim zuständigen Verleiher Mondo Entertainment in Hamburg wohl nicht der Fall. Anders lässt sich einer der massiven Patzer nämlich nicht erklären.

Im amerikanischen Original wird in einer Kernszene nämlich mit „We as Negroes...“ debattiert. Ins Deutsche wird das dann hurtig mit „Wir als Neger“ übersetzt. Und damit beweist man dann, dass man genauso viel Ahnung von der afroamerikanischen Kultur hat wie Dieter Bohlen von der theoretischen Kernphysik.

Denn „Neger“ ist im Deutschen seit jeher ein negativ konnotierter Begriff, mit dem nicht nur eine Hautfarbe klassifiziert wird, sondern der stets einen stereotypisierenden Charakter hatte. Das sollte Grund genug sein, warum dieses Wort für alle schwarzen Deutschen als Selbstbezeichnung kategorisch durchfällt. „Neger“ ist nicht nur heute ausschließlich als Beleidigung zu sehen.

Doch ein „Neger“ ist eben kein „Negro“, da sich letzterer Begriff im amerikanischen Raum semantisch auf gänzlich andere Weise entwickelt hat und bis in die 70er Jahre auch als Selbstbezeichnung der schwarzen Bevölkerung der USA gedient hat. Auch Martin Luther-King hatte offensichtlich wenig gegen den „Negro“ einzuwenden, verwendete er das Wort allein in seiner monumentalen „I Have a Dream“-Rede Dutzende Male. Im Zuge der Euphemismus-Tretmühle kam zwar auch dieses Wort ein Stück weit in Verruf und wurde (unter anderem auf Betreiben von Malcolm X und Jesse Jackson) von „Black“ bzw. „African-American“ als wertneutrale Bezeichnung abgelöst – doch eine derartige Stigmatisierung hat „Negro“ (anders als „Neger“) nicht zur Folge. Sogar auf den offiziellen Volkszählungsbögen der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 2010 findet sich der „Negro“ noch - mit der Begründung, dass sich viele ältere Afroamerikaner mit dieser Bezeichnung heute noch identifizieren. Eine Entrüstung hierüber kam in der amerikanischen Bevölkerung dabei nicht einmal ansatzweise auf. Man stelle sich das einmal in Deutschland mit dem Begriff „Neger“ vor.

Das sollte erklären, warum ein Film, der im amerikanischen Süden der 30er Jahre spielt und in dem sich Schwarze als „Negroes“ bezeichnen, die Realität abbildet, seine Synchronfassung, in der sich Schwarze selbst „Neger“ nennen, diese allerdings nicht akkurat zu transportieren vermag und von hochgradigem Dilettantismus zeugt. Das deutsche „Neger“ ist allenfalls mit dem amerikanischen „Nigger“ zu vergleichen – und so würde sich Denzel Washingtons Figur wohl auf keinen Fall selbst bezeichnen.

Auf Quotenmeter.de-Anfrage teilte der Verleiher Mondo Entertainment mit, dass die „Neger“-Übersetzung in enger Absprache mit der Synchronfirma und den Übersetzern stattgefunden habe und man nach wie vor zu dieser Übersetzung stehe.

Selbstverständlich wäre es angesichts der Faktenlage verfehlt, den Zuständigen offenen Rassismus zu unterstellen. Das ist nicht der Punkt. Vielmehr offenbart dieses Beispiel einen gravierenden Mangel an kulturellem Hintergrundwissen und der notwendigen Empathie für einen derartigen Stoff. Was man im einundzwanzigsten Jahrhundert aber eigentlich voraussetzen können sollte.

Mit 360 Grad schließt sich auch nächste Woche wieder der Kreis.
16.12.2011 00:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/53814
Julian Miller

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360 Grad

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