Der Kultursender reformiert sich ab Januar. Unser Kolumnist vergleicht das neue Schema mit dem aktuellen Programm.
Im kommenden Jahr führt der öffentlich-rechtliche Kultursender arte ein neues Programmschema ein, das insbesondere am Nachmittag und Abend klare Veränderungen mit sich bringen wird. In der Daytime sollen weniger Wiederholungen und mehr Erstausstrahlungen gezeigt werden, die gleichzeitig allerdings zugänglicher seien – so wird sonntags unter dem Titel «Kultur à la carte» unter anderem ein Kulturgespräch stattfinden. Dokus sollen ebenfalls massentauglicher gemacht werden und verstärkt als visuell beeindruckende Sendungen mit eingänglichen musikalischen Klängen daherkommen – sie sollen also weniger auf Anspruch setzen. Im Vorfeld kommentierte der Geschäftsführer des Dokumentarfilmerverbands AG DO daher gegenüber dem Spiegel: “Das sind Töne, die wir bislang von arte nicht kannten.“
Ist die Programmreform des Kultursenders, der vielen fernsehkritischen Bundesbürgern noch ein Hort der kulturellen Bereicherung und des intellektuellen Anspruchs ist, nun gut oder schlecht? So negativ wie befürchtet dürften die neuen Programmierungen nicht ausfallen. Eine klarere Struktur am Vorabend hilft auch treuen Zuschauern, sich stärker für arte zu entscheiden und den Sender erschließbarer zu machen. So soll in der Primetime künftig jeder Wochentag monothematisch bespielt werden: montags mit Kinofilmen, dienstags mit Dokumentationen, mittwochs mit Autorenfilmen, donnerstags mit Serien, freitags mit Fernsehfilmen, samstags mit einem jungen Musikprogramm und sonntags mit Events und Kultur-Übertragungen.
Zwar hört sich die klare Struktur in der Theorie gut an, doch verzichtet arte damit auf die hochgeschätzte eigene Flexibilität im Programm. Mehrmals pro Woche zeigte der Sender im Sommer beispielsweise Reihen wie «Summer of the 80s» oder in diesem Jahr «Summer of Girls», die verschiedene Sendungen zum Thema vereinten. Ob dies in diesem starreren Programmschema noch so groß wie zuletzt möglich ist, dürfte fraglich sein. Ebenso könnte zumindest einer der beiden Themenabende wegfallen, die arte immer ausgezeichnet haben: Hier werden zweimal pro Woche (dienstags und sonntags) zu einem bestimmten Inhalt Dokumentationen, Filme, Diskussionen oder weitere Sendungen wie Porträts gezeigt. Mit dem neuen Programmschema hat sich diese Vielfalt größtenteils erledigt.
Zum Vergleich mit dem neuen Primetime-Konzept folgt eine exemplarische Beschreibung des Abendprogramms von arte in der kommenden Woche: Am Montag zeigt man nach dem Umweltmagazin «Global» eine mehrstündige Inszenierung von der Berliner Staatsoper – künftig werden auf diesem Sendeplatz ausländische Filme gezeigt. Am Dienstag strahlt arte unter dem Themenabend „Hauptsache gesund!“ zwei Gesellschaftsdokus und eine anschließende Debatte über das Thema aus. Anschließend folgt ein Designerporträt – normalerweise gehört der späte Dienstag den Qualitätsserien wie zuletzt «Breaking Bad» und «Twin Peaks». Diese werden künftig donnerstags zur besten Sendezeit gezeigt. Ansonsten beibt es am Dienstag bei Dokumentationen. Mittwoch sehen die Zuschauer in der kommenden Woche bei arte zwei Geschichtsdokus und einen Dramafilm – dieser zweite Doku-Abend entfällt ab 2012 zugunsten des Autorenkinos. Einen Tag später zeigt der Kultursender zunächst das hochgelobte UK-Drama «This is England», anschließend einen Doku-Film über Bon Jovi und schließlich das Musikmagazin «Tracks». Künftig werden musikalische Inhalte am Samstag zu sehen sein – wo sie die jüngere Zielgruppe aber nicht mehr ideal erreichen. Am Freitag werden ebenfalls ein Drama und anschließend zwei Dokumentationen gesendet, Samstag zeigt man eine Geschichtsdoku und eine «Polizeiruf 110»-Wiederholung und am Sonntag setzt arte im Themenabend „Bella Italia“ auf das Drama «Der Leopold» sowie zwei anschließende Dokus.
Allgemein fällt daher auf, wie stark die Primetime des Senders mit Dokumentationen oder Dokumentarfilmen vernetzt ist – diese werden bisher an fast jedem Abend ausgestrahlt. Künftig wird arte die Masse an Doku-Programmen in der Primetime reduzieren, auch wenn für 2012 insgesamt 80 Stunden mehr Doku-Ausstrahlungen als in diesem Jahr angekündigt sind. Ein Großteil davon wird sicherlich in der Daytime zu sehen sein, während die Primetime mit mindestens drei Filmabenden pro Woche einen neuen Schwerpunkt setzt. Intelligent ist die Programmierung eines einheitlichen Serienabends am Donnerstag, weniger dagegen das Konzept für den Samstag: Hier sollen am Spätabend künftig unter dem Titel «Tracks Night» musikbezogene Programme für die jüngere Zielgruppe laufen – allerdings ist der Samstagabend dafür ein gänzlich unpassender Zeitpunkt.
Letztlich wird arte sein Programm nicht neu erfinden und weiterhin verlässliche Unterhaltung und Information bieten. Wie sinnvoll das neue Schema wirklich ist und ob die meisten hochgelobten Dokumentationen tatsächlich weichgespült werden, lässt sich freilich erst sagen, wenn sie selbst zu sehen sind. Die Programmreform ist eine Chance, neue Zuschauer zu gewinnen und alten eine verlässliche Orientierung zu bieten. Sie kann das hervorragende Image des Senders aber auch ankratzen, wenn zu sehr auf massentaugliche, anspruchslose Ware gesetzt wird. Dennoch bleibt arte auch 2012 sicherlich eine erste Adresse für gutes Fernsehen – beispielsweise mit der angekündigten Dokumentation «24 h Jerusalem», die, ähnlich wie ihr Vorgänger «24 h Berlin», einen ganzen Tag lang bei arte zu sehen sein wird und in Echtzeit über das Leben in der israelischen Hauptstadt berichtet.
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