In diesen Tagen beginnt der Prozess gegen einen Betreiber der Website kino.to, welche im Juni vom Netz genommen wurde. Nutzer des Streaming-Dienstes stellten schon damals die Frage, ob auch sie selbst mit Strafen rechnen müssten. Rechtsanwalt Christian Solmecke klärt auf.
575.800 – eine Zahl, die erschreckt. Exakt so viele Abmahnungen sind im vergangenen Jahr an Nutzer von Internet-Tauschbörsen und illegalen Netzdiensten verschickt worden, die sich auf unlauterem Wege kostenlosen Zugang zu urheberrechtlich geschützten Produkten wie Musik, Filmen, Spielen oder Software verschafft haben. Der Abmahn-Wahnsinn in Deutschland grassiert auch 2011. Fraglich ist, welche Dienste eine Abmahnung mit teils heftiger Geldbuße nach sich ziehen: Klassische Filesharing-Angebote tun dies, aber auch Streaming-Plattformen wie der Website kino.to, die im Juni geschlossen wurde?
Das Portal ermöglichte Zugang zu über 30.000 Filmen und Serien, die per Stream kostenlos über das Internet geschaut werden konnten. Kino.to hatte mehrere hunderttausend Nutzer pro Tag und war eine der beliebtesten Internetseiten im deutschsprachigen Raum. Gegen einen mutmaßlichen Betreiber der Seite wird in diesen Tagen erstmals der Prozess gemacht. Die Anklageschrift wegen gewerbsmäßiger Urheberrechtsverletzungen umfasst exorbitante 15.000 Seiten. Umso wichtiger, dass jemand Klarheit im Paragraphen-Dickicht schafft und erklärt, ob auch einfache Nutzer von kino.to künftig mit Strafen und Abmahnungen rechnen müssen.
Christian Solmecke, Anwalt einer Kölner Kanzlei und spezialisiert in den Bereichen Internetrecht und E-Commerce, vertritt tausende Filesharer, die wegen ihrer Downloads abgemahnt wurden. Er gibt eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob auch ehemalige Nutzer von kino.to künftig einen Brief der Staatsanwaltschaft ins Haus erhalten: „Diese Frage kann eindeutig mit Nein beantwortet werden. Die Rechtslage um die Nutzung der Streamingplattform ist zwar umstritten, doch die GVU hat bereits angekündigt, dass man nur gegen die Betreiber und nicht gegen die Nutzer vorgehen wolle.“ User der Website können also vorerst aufatmen.
Aber wie sieht es bei der Nutzung anderer, neuer Video-on-Demand-Portale wie kinox.to aus, die sich als Nachfolger etabliert haben und mittlerweile ebenfalls millionenfach angeklickt werden? Solmecke: „Hier ist die Rechtslage nicht eindeutig. Der reine Konsum von Streaming-Diensten ist nicht rechtswidrig, sodass die Nutzer bei dieser Auslegung nichts zu befürchten haben.“ Doch gerade aufgrund der unklaren Rechtslage weist der Kölner Anwalt auf das Gefahrenpotenzial hin, denn einige Juristen argumentieren, dass „beim Anschauen der Streaming-Filme für kurze Zeit eine flüchtige Kopie des Films im Arbeitsspeicher des Rechners angelegt wird. Da diese Diskussion vor Gericht noch nicht ausgefochten ist und eine gerichtliche Auseinandersetzung damit auf wackligen Beinen steht, gehe ich nicht davon aus, dass den Nutzern von kino.to juristische Folgen drohen.“
Fakt ist also: Solange kein Gericht die Rechtslage von Streaming-Diensten klärt, kann juristisch dagegen nur schwer vorgegangen werden. Daher könnte es künftig auf einen Präzedenzfall hinauslaufen, bei dem ein Nutzer exemplarisch vor Gericht angeklagt wird – wird dieser für schuldig gesprochen, könnte es tausende von Abmahnungen gegen Streaming-User geben. Auf der sicheren Seite ist man daher nur, wenn offensichtlich legale Dienste genutzt werden. Christian Solmecke warnt zudem ausdrücklich vor der Nutzung von Internet-Tauschbörsen, da man sich hier eindeutig im illegalen Raum bewegt. Der Downloader bietet seine Datei per Filesharing auch automatisch anderen an und macht sich damit strafbar: „Somit wird aus dem passiven Nutzer ein aktiver Weiterverbreiter von Copyright-geschütztem Material – und das kann besonders teuer werden.“ Die Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE vertritt zurzeit „über 13.000 Abgemahnte mit Tauschbörsen-Thematik, die jeweils bis zu 15.000 Euro an die Rechteinhaber bezahlen sollen.“ Oftmals flattern Filesharing-Nutzern mittlerweile nicht nur eine, sondern gleich mehrere Abmahnungen ins Haus.
Gibt es eine eindeutig legale Alternative zu Filesharing? Für Musik kommt laut Solmecke das Internetradio in Frage, von dem man seine Lieblingssongs einfach aufnehmen kann. Dies ist legal, weil auch die Radios legal sind und Verwertungs- oder GEMA-Gebühren zahlen. Komplexe Aufnahmeprogramme ermöglichen es beispielsweise, vom User angegebene Lieblingslieder aus einer Anzahl von hunderten Radiostationen herauszufiltern und einzeln aufzunehmen. Der Song wird gleich mit sogenannten Tags versehen, sodass der Titel, das Album oder der Künstlername automatisch mit auf der Festplatte abgespeichert werden.
Für audiovisuelles Material, also Filme und Serien, gibt es aber – außer den kostenpflichtigen Modellen – keine so einfache Alternative, die eindeutig legal ist. Sogenannte Online-Videorecorder bieten nur geringfügigen Nutzen, da Serien- oder Filmaufnahmen meist im Voraus eingeplant und größere Dateien im Anschluss heruntergeladen werden müssen. Zudem ist man auf das Free-TV-Programm der Sender angewiesen und unterliegt weiteren Einschränkungen, die nur gegen Gebühren zu umgehen sind. Nutzer illegaler Streaming-Seiten wie kinox.to müssen zwar jetzt noch keine Strafen befürchten, aber die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) selbst sieht mit dem Anschauen eines gestreamten kommerziellen Films bereits eine Strafbarkeit gegeben, da im Zwischenspeicher der Festplatte eine temporäre Kopie angefertigt würde. Diese sei mit einer dauerhaft gespeicherten Kopie gleichzusetzen und damit illegal. Sollte die GVU ihre Meinung in Zukunft vor Gericht durchsetzen können, drohen Benutzern der Streaming-Portale tatsächlich Strafen. Und der Abmahn-Wahnsinn in Deutschland würde neue Dimensionen erreichen.