RTL II will ein neues Zeitalter des Fernsehen einläuten – produziert letztendlich aber nur Scripted Reality.
Ei, was hat sich RTL II denn da wieder aus den Fingern gesogen: «Realtainment» heißt der neue Stern am Horizont der Scripted Reality-Konzepte – und wenn es nach den verantwortlichen Produzenten geht, soll dieser Begriff für nicht weniger als die Reinkarnation von Qualität im deutschen Fernsehen stehen. Echte Schauspieler an echten Orten mit einem auf bloße Dramaturgie beschränkten Drehbuch sollen das reale Leben ohne jede Ein- oder Beschränkung abbilden. Die passende Show hat RTL II gleich mitgeliefert und präsentierte mit «Berlin – Tag und Nacht» in der vergangenen Woche fünf Folgen lang einen neuen Tiefpunkt der Sendergeschichte.
Zwischen angeblicher Scripted Reality, Daily Soap und Reality-Dokumentation wird der Zuschauer ganz schnell auf den Boden der Tatsachen geholt: Echt ist hier nur die Langeweile. Denn das, was sich RTL II für «Berlin – Tag und Nacht» ausgedacht hat – ein buntes Potpourri an Individuen, die in einer zusammengewürftelten WG für reichlich Ärger, Liebe und Heiterkeit sorgen sollen – erweist sich als gecastetes Ensemble an Laienschauspielern, die nach bester Scripted Reality-Machart nach Drehbuch im Gefühlschaos, Eifersuchtsstreitigkeiten, WG-Ärger und Berufsleben versinken. Im Grunde präsentiert RTL II also eine gewöhnliche Daily Soap, die dank billiger Machart gleich mit 120 Folgen daherkommt, um die Lücke zwischen der vergangenen und der kommenden Staffel «Big Brother» zu füllen.
Das hört sich nicht nur blöde an, es schaut sich auch so: Statt echten Menschen im «Big Brother»-Container darf der Zuschauer prolligem White Trash im szenigen WG-Loft zusehen, wie er Zoff um Miete, Frauen und Alkohol ausficht. Von Berlin ist außer in Zwischenszenen kaum etwas zu sehen, die WG ist in Wirklichkeit ein Studio und die Konflikte so schlecht wie bei der vorher programmierten Sendung «X-Diaries». Warum man sich die Chance entgehen lässt, statt zahlreicher Billigserien einmal ein hochwertiges Format zu produzieren, ist schleierhaft. Denn die Idee ist nicht schlecht, nur völlig falsch angegangen worden: Das Leben einer echten WG zu begleiten, möglicherweise von den Zuschauern per Umfrage ausgewählt, würde jeden Ansatz von «Realtainment» überflüssig machen – denn es wäre echt. So jedenfalls verspielt RTL II mit jedem weiteren Scripted Reality-Format die Chance, als Sender mit neuen Ideen aufzufallen – denn egal wie man seine Formate bezeichnet, sie bleiben fiktiv.